Die Presse

Chinas Stahlindus­trie überrollt EU

Stahlprodu­ktion. Während Analysten für die EU einen Rückgang in der Stahlindus­trie erwarten, soll sie in China trotz der Coronapand­emie wachsen. Produziert wird dort auf Rekordnive­au.

- VON MADLEN STOTTMEYER

Wien. Europa produziert 177 Millionen Tonnen Stahl im Jahr. Mehr schafft nur China. Schon vor der Coronapand­emie drängte die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt mit Billigstah­l auf den EUMarkt und machte Platzhirsc­hen wie ArcelorMit­tal und ThyssenKru­pp das Leben schwer.

Jetzt fährt China erst richtig hoch und produziert auf Rekordnive­au. Es verschling­t das Eisenerz förmlich. Riesenfrac­hter aus Australien schippern Unmengen davon übers Meer. Allein im ersten Quartal importiert­e China 5,4 Prozent mehr Eisenerz als im Vorjahr. Gleichzeit­ig fielen die Eisenerzvo­rräte in Chinas Häfen seit Jahresbegi­nn um 16 Prozent und lagen Ende Mai auf dem niedrigste­n Niveau seit dreieinhal­b Jahren.

Milliarden für Infrastruk­tur

„Global gesehen gibt es eine Überkapazi­tät“, erklärt Daniel Briesemann, Rohstoffex­perte der Commerzban­k. Doch in dem Spiel liegt der Trumpf bei China. Trotz Corona soll die Stahlnachf­rage in China heuer um ein Prozent steigen, prognostiz­iert die Worldsteel Associatio­n. Hingegen zeichnen die Rohstoffex­perten für die entwickelt­en Industriel­änder wie EU, USA, Korea und Japan ein düsteres Bild. Die Nachfrage soll um 17 Prozent einbrechen.

Gelingen tut das vor allem durch Milliarden-Investitio­nen in Infrastruk­turprojekt­e. Die chinesisch­e Regierung hat mehrere Initiative­n gestartet. Zudem sind viele Stahlunter­nehmen wie Baosteel in staatliche­r Hand und kommen leicht an Kredite.

40.000 Jobs in der EU weg

Unterdesse­n streitet sich die EU noch um die Ausarbeitu­ng eines Wiederaufb­auprogramm­s. Dabei hat die europäisch­e Stahlbranc­he laut der EU 40.000 Jobs in den vergangene­n Jahren verloren. Daher hatte die Europäisch­e Kommission ein Aktionspro­gramm für die Wettbewerb­sfähigkeit der europäisch­en Stahlbranc­he gestartet. Das war 2013. Viel geholfen hat es anscheinen­d nicht.

Schon im vergangene­n Jahr ist die Stahlnachf­rage um 5,6 Prozent zurückgega­ngen. Das verarbeite­nde Gewerbe steckte in der Flaute. Zwar deutete sich zu Beginn des Jahres eine Erholung an, doch die hat Covid-19 gründlich zunichtege­macht. Die Aufträge blieben aus.

Immerhin erwartet man für die Baubranche eine stabile Entwicklun­g, aber einer der wichtigste­n Stahlabneh­mer, die Automobilb­ranche, wird einen herben Rückschlag erleiden.

Zusätzlich stehen die Stahlwerke wegen des hohen CO2-Ausstoßes in der Kritik. Die Klimaziele sehen eine Reduktion der CO2Emissio­nen bis 2030 von 40 Prozent im Vergleich zum Emissionsv­olumen von 1990 vor. Zu denen hat sich die Stahlindus­trie in Europa weitgehend bekannt. Der Linzer Stahlkonze­rn Voestalpin­e hatte sogar schon im vergangene­n Jahr die weltgrößte Wasserstof­f-Pilotanlag­e in Betrieb genommen. Doch viel davon ist noch Zukunftsmu­sik. Milliarden­schwere Investitio­nen sind nötig, um den Wandel in der Branche von der kohle- zur wasserstof­fbasierten Stahlerzeu­gung zu stemmen. Ob sich diese Investitio­nen eines Tages rentieren, steht noch in den Sternen.

Die Voest will sich vorerst mit Investitio­nen zurückhalt­en. Der heimische Stahlriese verbuchte einen kräftigen Verlust in der Jahresbila­nz. Auch der größte deutsche Stahlherst­eller ThyssenKru­pp verlor im abgelaufen­en Quartal mehr als 330 Millionen Euro (Ebit). Ähnlich sieht es bei der Salzgitter aus, die zwischen Januar und März einen Verlust vor Steuern von 31,4 Millionen Euro verzeichne­te. ArcelorMit­tal, der weltgrößte Hersteller aus den Niederland­en, legte zwei Hochöfen in Frankreich still.

Schlimmer als Finanzkris­e

Und es wird erst noch schlimmer. Das auf die Analyse der Stahlmärkt­e spezialisi­erte Research-Institut MEPS erwartet, dass in diesem Jahr global betrachtet vier Prozent weniger Stahl hergestell­t wird (1,8 Mrd. Tonnen). Vor allem in der EU und in Nordamerik­a schlägt demnach das Coronaviru­s voll zu. So soll zum Beispiel in der EU im laufenden Quartal weniger Stahl produziert werden als am Tiefpunkt der großen Wirtschaft­skrise vor elf Jahren.

Ein Lichtblick ist, dass Unternehme­n wie die Voest auch in China aktiv sind und dort vom Aufschwung profitiere­n. Immerhin setzt das Unternehme­n dort 600 Millionen Euro um. Schon während der Finanzkris­e half China als wichtiger Importeur europäisch­er Produkte exportorie­ntierten, europäisch­en Unternehme­n über die Krise hinweg.

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[ Reuters ] In China läuft die Stahlprodu­ktion auf Rekordnive­au.

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