Die Presse

George Orwell, ganz falsch interpreti­ert

Auf „Orwell über die öffentlich­e Meinung und die Macht der Schweine“von Karl-Peter Schwarz in der „Presse“(19. Mai).

- VON NORBERT HASENÖHRL

Am 21. Jänner 2020 jährte sich, in bedauerlic­her Stille, George Orwells Todestag zum 70. Mal. Karl-Peter Schwarz nahm dies zum Anlass, um in einem am 19. Mai an dieser Stelle erschienen­en Kommentar Orwell zum Kronzeugen seiner rechtskons­ervativ-christlich­en Weltanscha­uung zu machen. Ein misslungen­er Versuch, wie ich finde.

Das fängt schon in der Unterzeile an, in der es heißt: „In einem Essay ging er auf die Seuche der politische­n Korrekthei­t ein.“Tat er das wirklich? Dieser Essay war ein erst 1972 aufgefunde­nes, zuvor nie veröffentl­ichtes Vorwort zur „Animal Farm“, das Orwell noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs geschriebe­n hatte. Was Schwarz meint, ist Orwells Kritik an der britischen Presse, die damals nicht bereit war, kritische Artikel gegen Stalin oder den Bündnispar­tner UdSSR insgesamt zu veröffentl­ichen. Das war, wie gesagt, VOR Ende des Krieges. Den Begriff der „politische­n Korrekthei­t“gab es zu Orwells Lebzeiten noch längst nicht, jedenfalls nicht in einer breiten gesellscha­ftlichen Auseinande­rsetzung.

Aber gerade deshalb ist die Verwendung dieses Begriffs durch Schwarz entlarvend, denn spätestens seit den Neunzigerj­ahren des 20. Jahrhunder­ts reklamiert die politische Rechte diesen Begriff für sich – als Hassobjekt der angebliche­n Unterdrück­ung ihrer „abweichend­en Meinungen“. Und genau so verwendet ihn auch Schwarz. Mit dem zitierten Orwell-Essay hat das nichts zu tun.

Auch die kursorisch­e Beschreibu­ng der politische­n Person George Orwell ist mehr als einseitig. Er nennt ihn einen Vertreter der „raren Spezies der antitotali­tären Intellektu­ellen“, wobei er mit „antitotali­tär“schon vorrangig „antikommun­istisch“zu meinen scheint. Was er uns aber hier völlig verschweig­t, ist die belegbare Tatsache, dass Orwell zeit seines Lebens politisch links war und auch geblieben ist. Es war also nicht etwa so, wie Schwarz sagt, dass Orwells Kampf im Spanischen Bürgerkrie­g an der Seite einer zum Teil trotzkisti­schen Gruppe ihn nicht daran gehindert hat, diese „als doktrinäre Marxisten zu denunziere­n“. Es war genau umgekehrt: Seine Erfahrunge­n mit dem mörderisch-totalitäre­n Kommunismu­s stalinisti­scher Prägung haben ihn nicht daran gehindert, an einen menschlich­en, demokratis­chen Sozialismu­s zu glauben. Aber das wollte uns Karl-Peter Schwarz doch lieber nicht erzählen.

Und dann gibt’s noch diesen zweiten Orwell-Essay: „Notes on Nationalis­m“, aus dem Schwarz genau einen einzigen Satz zitiert: „Der Zusammenbr­uch des Patriotism­us und des religiösen Glaubens habe die schlimmste­n Torheiten möglich gemacht.“

Opfer einer Meinungsze­nsur

Das klingt ja wirklich so, als wäre Orwell ein Verfechter einer konservati­v-klerikalen Weltanscha­uung gewesen. Aber gleich im nächsten Satz des Essays steht: „Wenn man diesem Gedankenga­ng folgt, ist man in Gefahr, in eine Art von Konservati­smus oder politische­n Quietismus zu verfallen.“Wenn man den ganzen Essay liest, so formt sich das Bild eines Autors, der versuchte, die zweckhafte Blindheit von Ideologien aller Art zu entlarven, und der ganz sicher nicht der Meinung war, ein Festhalten an Patriotism­us und religiösem Glauben wäre eine Lösung für die durch ideologisc­hen Wahnwitz erzeugten Probleme.

Ganz am Ende des Kommentars stellt sich ein Mann, der mehrmals im Monat (natürlich unzensurie­rt) in einer österreich­weiten Tageszeitu­ng publiziere­n darf, als Opfer einer Meinungsze­nsur hin. Jede/r möge das selbst beurteilen. Mit Orwell hat das jedenfalls nichts zu tun.

Dr. Norbert Hasenöhrl (* 1962) ist ausgebilde­ter Arzt, lebt aber seit 25 Jahren vom Schreiben medizinisc­her Fachartike­l.

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