„Putsch“gegen Parlament: Erdo˘gan schüchtert Opposition ein
Türkei. Die Regierungspartei ließ drei Abgeordneten der Opposition nach politisch motivierten Urteilen die Mandate entziehen.
Istanbul. „AKP – Feind der Demokratie:“Mit gereckten Fäusten und Sprechchören protestierten die Abgeordneten der prokurdischen Partei HDP am Donnerstagabend gegen die Regierungspartei von Präsident Recep Tayyip Erdogan,˘ die gerade den Rauswurf von drei Oppositionspolitikern aus der Volksvertretung verkündet hatte. Die Opposition wirft der Regierung „Faschismus“und einen Putsch gegen die Demokratie vor.
Nur wenige Stunden nach der Parlamentssitzung wurden die drei Politiker in Untersuchungshaft gesteckt. Leyla Güven und Musa Farisogullari von der HDP sowie Enis Berberoglu˘ von der säkularistischen CHP waren wegen angeblicher Terrordelikte zu Haftstrafen verurteilt worden. Alle drei wehren sich mit Verfassungsklagen gegen die Urteile, doch nun wurden ihnen ihre Mandate entzogen, obwohl die Entscheidung des obersten Gerichts noch aussteht. Die aus Niedersachsen stammende HDPPolitikerin Feleknas Uca sagte der „Presse“in Istanbul, bald könnten noch zwei weitere Kurden-Abgeordnete ihre Mandate verlieren.
Die Gerichtsverfahren gegen die Abgeordneten waren politisch motiviert: Berberoglu˘ sollte dafür bestraft werden, dass er angeblich Informationen über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an syrische Rebellen an eine Zeitung weitergegeben hatte. Güven und Farisogullari werden verdächtigt, die kurdische Terrorgruppe PKK zu unterstützen.
Die Regierungspartei nutzte die erste Sitzungswoche nach einer Corona-Pause, um die schon vor Jahren verhängten Urteile im Parlament verlesen zu lassen und den Oppositionsabgeordneten damit die Mandate abzuerkennen.
Die AKP erklärte, der Entzug der Mandate entspreche den parlamentarischen Regeln. Eher dürfte es der AKP aber darum gehen, ihre Gegner zu kriminalisieren. Dutzende HDP-Bürgermeister sind seit der Kommunalwahl im vergangenen
Jahr abgesetzt worden. Auch gegen Ekrem Imamoglu,˘ CHP-Bürgermeister von Istanbul und potenziellen Herausforderer Erdogans˘ bei der Präsidentenwahl in drei Jahren, wird ermittelt.
Vorbereitung für Neuwahlen?
Vieles deutet darauf hin, dass die Parlaments- und Präsidentenwahl schon vor 2023 stattfinden könnten, auch wenn das die AKP und ihre rechtsnationale Partnerin MHP dementieren. Demnächst soll die Volksvertretung außerdem über ein neues Gesetz abstimmen, mit dem die gegenseitige Unterstützung von Oppositionsparteien durch den Parteiwechsel von Abgeordneten verboten werden soll. Mit dem Abgeordneten-Transfer können sich kleinere Parteien die Teilnahme an Wahlen sichern. Derzeit bauen die ehemaligen Erdogan-˘ Mitstreiter Ali Babacan und Ahmet Davutoglu˘ eigene Parteien auf, die AKP-Wähler abwerben wollen.
Zu den Neuwahl-Spekulationen passt eine Meldung der Zeitung „Hürriyet“. Erdogan˘ will demnach prüfen lassen, wie die Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee umgewandelt werden könnte. Das würde seine islamistischen Wähler erfreuen. Die im 6. Jahrhundert erbaute ehemalige Hauptkirche des Byzantinischen Reiches wurde nach der osmanischen Eroberung von Konstantinopel zur Moschee. Seit 1935 ist sie ein Museum.