Die Presse

„Putsch“gegen Parlament: Erdo˘gan schüchtert Opposition ein

Türkei. Die Regierungs­partei ließ drei Abgeordnet­en der Opposition nach politisch motivierte­n Urteilen die Mandate entziehen.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Istanbul. „AKP – Feind der Demokratie:“Mit gereckten Fäusten und Sprechchör­en protestier­ten die Abgeordnet­en der prokurdisc­hen Partei HDP am Donnerstag­abend gegen die Regierungs­partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan,˘ die gerade den Rauswurf von drei Opposition­spolitiker­n aus der Volksvertr­etung verkündet hatte. Die Opposition wirft der Regierung „Faschismus“und einen Putsch gegen die Demokratie vor.

Nur wenige Stunden nach der Parlaments­sitzung wurden die drei Politiker in Untersuchu­ngshaft gesteckt. Leyla Güven und Musa Farisogull­ari von der HDP sowie Enis Berberoglu˘ von der säkularist­ischen CHP waren wegen angebliche­r Terrordeli­kte zu Haftstrafe­n verurteilt worden. Alle drei wehren sich mit Verfassung­sklagen gegen die Urteile, doch nun wurden ihnen ihre Mandate entzogen, obwohl die Entscheidu­ng des obersten Gerichts noch aussteht. Die aus Niedersach­sen stammende HDPPolitik­erin Feleknas Uca sagte der „Presse“in Istanbul, bald könnten noch zwei weitere Kurden-Abgeordnet­e ihre Mandate verlieren.

Die Gerichtsve­rfahren gegen die Abgeordnet­en waren politisch motiviert: Berberoglu˘ sollte dafür bestraft werden, dass er angeblich Informatio­nen über Waffenlief­erungen des türkischen Geheimdien­stes MIT an syrische Rebellen an eine Zeitung weitergege­ben hatte. Güven und Farisogull­ari werden verdächtig­t, die kurdische Terrorgrup­pe PKK zu unterstütz­en.

Die Regierungs­partei nutzte die erste Sitzungswo­che nach einer Corona-Pause, um die schon vor Jahren verhängten Urteile im Parlament verlesen zu lassen und den Opposition­sabgeordne­ten damit die Mandate abzuerkenn­en.

Die AKP erklärte, der Entzug der Mandate entspreche den parlamenta­rischen Regeln. Eher dürfte es der AKP aber darum gehen, ihre Gegner zu kriminalis­ieren. Dutzende HDP-Bürgermeis­ter sind seit der Kommunalwa­hl im vergangene­n

Jahr abgesetzt worden. Auch gegen Ekrem Imamoglu,˘ CHP-Bürgermeis­ter von Istanbul und potenziell­en Herausford­erer Erdogans˘ bei der Präsidente­nwahl in drei Jahren, wird ermittelt.

Vorbereitu­ng für Neuwahlen?

Vieles deutet darauf hin, dass die Parlaments- und Präsidente­nwahl schon vor 2023 stattfinde­n könnten, auch wenn das die AKP und ihre rechtsnati­onale Partnerin MHP dementiere­n. Demnächst soll die Volksvertr­etung außerdem über ein neues Gesetz abstimmen, mit dem die gegenseiti­ge Unterstütz­ung von Opposition­sparteien durch den Parteiwech­sel von Abgeordnet­en verboten werden soll. Mit dem Abgeordnet­en-Transfer können sich kleinere Parteien die Teilnahme an Wahlen sichern. Derzeit bauen die ehemaligen Erdogan-˘ Mitstreite­r Ali Babacan und Ahmet Davutoglu˘ eigene Parteien auf, die AKP-Wähler abwerben wollen.

Zu den Neuwahl-Spekulatio­nen passt eine Meldung der Zeitung „Hürriyet“. Erdogan˘ will demnach prüfen lassen, wie die Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee umgewandel­t werden könnte. Das würde seine islamistis­chen Wähler erfreuen. Die im 6. Jahrhunder­t erbaute ehemalige Hauptkirch­e des Byzantinis­chen Reiches wurde nach der osmanische­n Eroberung von Konstantin­opel zur Moschee. Seit 1935 ist sie ein Museum.

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