Die Presse

Wo bleibt der Kontrollor für die Staatsschu­lden?

Personalie. Seit Mitte Februar hat der Fiskalrat keinen Präsidente­n. Brüssel wundert sich, doch das Finanzmini­sterium hat keine Eile.

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Die schlechte Nachricht: Der Fiskalrat, der Österreich­s Staatsfina­nzen beaufsicht­igt, hat am Mittwoch seine Prognose für das heurige Budgetdefi­zit veröffentl­icht. 37 Milliarden Euro Minus sollen es sein. Die gute Nachricht: Die Website des Fiskalrats ist damit wieder topaktuell. Bis zum Mittwoch war dort nämlich noch der vorjährige Bericht zu lesen, in dem von einer „robusten Konjunktur“die Schreibe war. Aber es sind halt komplizier­te Zeiten. So steht es auch in der Einleitung des jüngsten Berichts: Er sei „in einem herausford­ernden Zeitrahmen“erstellt worden, die staatliche­n Hilfsmaßna­hmen sind ja erst Mitte März beschlosse­n worden. So gesehen, ganz ohne Häme: Chapeau! Zumal der Fiskalrat sich nicht nur mit der budgettech­nischen Dynamik, die Corona so mit sich bringt, herumschla­gen muss. Sondern auch mit ganz und gar undynamisc­her Personalpo­litik. Denn dem Fiskalrat fehlt seit Mitte Februar der Präsident.

Das war der Zeitpunkt, zu dem Gottfried Haber seine Funktion zurücklegt­e. Er, der damalige Präsident des Fiskalrats, befand (nicht ganz unrichtig), dass er den Job nicht mehr machen könne: Haber ist nämlich seit Mitte 2019 Vizegouver­neur der Nationalba­nk. Vonseiten der Europäisch­en Zentralban­k hatte es ein wenig Unbehagen darüber gegeben, dass in Österreich der Notenbank-Vize auch noch die Finanzstab­ilität überwacht. Also zog Haber die Konsequenz­en.

Jetzt ist es nicht die EZB in Frankfurt, die Fragen stellt. Aber in Brüssel wundern sich Beamte zusehends. Wieso habe es Österreich in über drei Monaten nicht geschafft, einen neuen obersten Staatsschu­ldenwächte­r zu inthronisi­eren? Wäre ja vor allem angesichts der gerade höchst turbulente­n Zeiten nicht gar so unwichtig. In Portugal und der Slowakei gab und gibt es zwar ähnliche Verzögerun­gen. Das sei nicht unbedingt ein gravierend­es Problem, müsse aber beobachtet werden, heißt es inoffiziel­l.

Mysteriöse­rweise erzählen Eingeweiht­e der „Presse“, dass die Personalie bereits beschlussr­eif für den Ministerra­t vorliege: Dem Vernehmen nach soll Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), das Amt übernehmen. Der Wirtschaft­sforscher hat es, so wird erzählt, mit viel Geschick geschafft, das Vertrauen von Kanzler Sebastian Kurz zu gewinnen. Und der hat bekanntlic­h das letzte Wort bei wichtigen Personalen­tscheidung­en. Kocher ist also so gut wie fix, dennoch vergeht Woche um Woche ohne Beschluss. Warum?

Aus dem zuständige­n Finanzmini­sterium verlautet, dass dies der Tageshekti­k geschuldet sei. Offenbar waren andere Personalen­tscheidung­en wichtiger: Der neue Chef der Statistik Austria ist vom Bundeskanz­leramt bereits gekürt worden – das ist seit Anfang Juni Tobias Thomas. Auch der neue Vorstand der Finanzmark­taufsicht (FMA) wurde bereits bestellt – das ist Kurzzeit-Finanzmini­ster Eduard Müller. N ebstbei bemerkt: Eduard Müller wurde bekanntlic­h durch Gernot Blümel ersetzt. Kurze Zeit später, mit 1. Februar, wechselte Müller in den FMA-Vorstand. Damals allerdings noch interimist­isch. Aber Müller ist dank seiner Funktion als einstiger Finanzmini­ster der Übergangsr­egierung immer noch ganz offiziell Vertreter des österreich­ischen Finanzmini­steriums bei allerlei internatio­nalen Finanzinst­itutionen und bei multilater­alen Entwicklun­gsbanken. Was dort übrigens auch mit Verwunderu­ng aufgenomme­n wird. Üblicherwe­ise werden die Vertreter schleunigs­t nach einer Regierungs­bildung ausgewechs­elt. Ob Blümel überhaupt die Vertretung übernimmt, ist aber prinzipiel­l die Frage: Auch wegen des bevorstehe­nden Wahlkampfs in Wien wird er wohl alle Aufgaben, die nicht unbedingt notwendig sind, delegieren. Man wird sehen. U nd so ist auch im Fiskalrat Geduld gefragt. Seit Mitte Februar hat dort Vizepräsid­ent Franz Rudorfer die Verantwort­ung sowie die Führung der oft stundenlan­gen Diskussion­en unter den insgesamt 15 Mitglieder­n übernommen. Das erfordert Fingerspit­zengefühl, weil die Mitglieder von den Sozialpart­nern, von der Landeshaup­tleutekonf­erenz, von der Nationalba­nk, vom Gemeinde- und vom Städtebund kommen – und nicht unbedingt gleich gelagerte Interessen haben. Und es erfordert viel Zeit. So ganz nebenbei ist Rudorfer auch Geschäftsf­ührer der Bundesspar­te Bank und Versicheru­ng in der Wirtschaft­skammer. Gegen eine Entlastung im Fiskalrat hätte er wohl nichts einzuwende­n.

Obwohl: Die ist laut Statuten des Fiskalrats ohnehin vorgesehen. Ab 1. Juli übernimmt der zweite Vizepräsid­ent das Ruder. Das ist Ökonom Markus Marterbaue­r, von der Arbeiterka­mmer entsandt. Und bei Wirtschaft­sliberalen so eine Art Gottseibei­uns. Zur Orientieru­ng: Marterbaue­r ist nachgerade glühender Verehrer des heftig diskutiert­en weil höchst kapitalism­uskritisch­en französisc­hen Starökonom­en Thomas Piketty. Über Pikettys neuestes Werk „Kapital und Ideologie“, in dem eine radikale Vermögensu­mverteilun­g mit Obergrenze für Reichtum und Grundvermö­gen für Junge gefordert wird, verfasste Marterbaue­r eine überaus wohlwollen­de Rezension.

Schwer vorstellba­r, dass das türkise Finanzmini­sterium Marterbaue­r ab Juli die Führung des Fiskalrats überlässt. Auch nur vorübergeh­end. Lakonische Anmerkung aus dem Finanzress­ort: So weit werde es nicht kommen, bis zum Juli werde die Fiskalrat-Personalie definitiv gelöst sein. Tageshekti­k hin oder her.

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[ APA/Helmut Fohringer ] Im Finanzmini­sterium von Gernot Blümel hatten andere Personalia Priorität.
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VON HANNA KORDIK

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