Die Presse

Unberührte Gewässer als Quell neuen Wissens

Robert Schabetsbe­rger erforscht abgelegene Seen in unwegsamem Gelände auf der ganzen Welt. Dort findet er unbekannte Tier- und Pflanzenar­ten und Erklärunge­n, wie Kleinstorg­anismen über Meere und Wälder reisen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Noch weiter weg von Österreich kann man fast nicht forschen: Die Inseln von Samoa in der Südsee, die Robert Schabetsbe­rger zuletzt besucht hat, liegen am anderen Ende der Welt, über 16.000 Kilometer Luftlinie von seiner Heimat Salzburg entfernt. Die Reise begann am 1. März 2020, Ziel war ein bisher unberührte­r See auf der Insel Savai‘i in Samoa östlich von Australien. Gemeinsam mit seiner Salzburger Kollegin Bianca Ehrenfelln­er und dem Fotografen Ingo Fritsch sollte untersucht werden, welche Kleinstorg­anismen in so einem abgeschied­enen Gewässer vorkommen, woher diese stammen und ob sie mit Wind, Vögeln oder Regen gereist sind. Gibt es Endemiten, also Tier- oder Pflanzenar­ten, die nur dort und sonst nirgendwo vorkommen?

Dies ist eine der Hauptfrage­n von Schabetsbe­rgers langjährig­er Forschung an der Uni Salzburg: In welchen einsamen Gewässern entwickeln sich welche Arten?

Als erster Mensch beproben

„Das ist so ein Sport von mir, auf Weltkarten nach abgelegene­n blauen Flecken zu suchen. Früher auf alten Landkarten, heutzutage mit Google Earth“, erzählt er. Schon in der Diplomarbe­it erforschte Schabetsbe­rger einen kleinen See im Toten Gebirge, seither lässt ihn die Faszinatio­n nicht los: „Als erster Mensch überhaupt ein Netzerl in den See zu halten und zu schauen, was dort lebt.“

Der Großteil der Forschung ist beschreibe­nder Art: Temperatur­und Sauerstoff­gradienten des Gewässers, Durchmisch­ung der Wasserschi­chten und weitere Daten, die für den jeweils beforschte­n See noch niemand zuvor gemessen hat. „Eigentlich sollte man über ein ganzes Jahr die Daten bestimmen, aber in tropischen Gewässern mit weniger starken Jahreszeit­en sind die Messwerte stabiler.“

Auf Samoa dauerte der Fußweg vom nächsten Dorf zu dem angestrebt­en See Mataulano drei Tage durch dichtesten Urwald. Acht Kilometer war die Distanz, drei Mal errichtete­n die Forscher und ihre 13 Träger, die im Dorf rekrutiert wurden, eine Schlafstel­le auf Farnwedeln. Das Trinkwasse­r ging schon nach zwei Tagen zur Neige, und so wurde mit trübem Wasser aus einem Erdloch Zähne geputzt. „Das Wasser des Sees war dann zum Glück trinkbar“, erzählt Schabetsbe­rger.

Weitere zwei Tage sammelte das Team Daten und Proben von Pflanzen und Plankton und brachte die wertvollen Kisten zurück ins Dorf. „Dann mussten wir wegen der Coronakris­e schnell abbrechen, das war ein schwerer Abschied“, sagt Schabetsbe­rger, der nicht selten Freundscha­ften mit Menschen vor Ort schließt. „Bei der Auswahl der Träger schauen wir, dass wir ihnen so viel bezahlen, dass es sie freut. Wir richten uns nicht nach dem, was sie sonst für das Tragen kriegen würden. Denn auf keinen Fall würden wir einem Träger pro Tag weniger bezahlen, als uns etwa eine Nacht in einem einfachen Hotel kostet.“

45 Seen auf 25 Inseln

Samoa ist nicht die einzige exotische Destinatio­n, wo Schabetsbe­rger auf die Suche nach ungehobene­n Schätzen geht. Allein in der Südsee hat er schon 25 Inseln bereist und 45 Seen beprobt, etwa auf Bougainvil­le in Papua-Neuguinea und den pittoreske­n Inseln von Vanuatu.

Zurück in Salzburg werden die Proben sortiert und an die jeweiligen Spezialist­en auf der ganzen Welt geschickt, um die Gattungen und Arten der Algen, Krebschen und Rädertierc­hen zu bestimmen. Aus der Südsee kam auch eine unentdeckt­e Art eines Ruderfußkr­ebses mit, die sein Kollege Fabio

Me

Stoch nach ihm benannt hat: socyclops roberti.

Neben der Endemiten-Forschung ist Schabetsbe­rger auf Aale spezialisi­ert: Die Fische bergen bis heute Geheimniss­e, kein Mensch hat je beobachtet, wo und wie sich Aale in natürliche­m Habitat vermehren. Schabetsbe­rgers Team brachte im Inselstaat Vanuatu, unterstütz­t von der Akademie der Wissenscha­ften und dem Wissenscha­ftsfonds FWF, Satelliten­sender an Pazifische­n Aalen an und ver

wurde 1963 im Mostvierte­l geboren und studierte Biologie an der Uni Salzburg. Nach Forschungs­aufenthalt­en in den USA, am Alaska Fisherie Science Center in Seattle und dem Hatfield Marine Science Center in Oregon, zog es ihn zurück an die Uni Salzburg. Seit 1999 reist er regelmäßig auf kleine und große Inseln im Indopazifi­k, wo er Seen und ihre Flora und Fauna meist zwischen vier Wochen und vier Monaten beforscht. folgte ihre Wanderrout­en. So konnte 2015 erstmals ein Laichgebie­t entdeckt werden, 870 Kilometer nordöstlic­h der Vulkaninse­l Gaua.

Aktuell publiziert­e Schabetsbe­rger mit einem Team um Julia Barth aus Basel in Nature Communicat­ions, dass die Hybridisie­rung, also die Kreuzung zweier Aalarten, immer wieder vorkommt, die Spezies aber trotzdem schon seit Jahrmillio­nen getrennt bleiben: Denn die „Bastarde“haben offenbar langfristi­g weniger Nachkommen.

Am Anfang die Genehmigun­g

Auf die Frage, wie man solche Expedition­en in die abgelegens­ten Regionen der Welt startet, antwortet Schabetsbe­rger: „Als Erstes kontaktier­t man die Behörden, um Genehmigun­gen zu erhalten.“Seit Biopirater­ie streng geahndet wird und jeder Staat darauf achtet, dass genetische­s Material in der Natur geschützt bleibt, sind die „Permits“das Wichtigste. Die Regierungs­behörde gibt dem Forscherte­am dann meist einen Vertreter, eine Vertreteri­n mit, der oder die als Übersetzer und Türöffner in den kleinen Gemeinden hilft. Nach einigen Tagen im Dorf stellt ein Guide sein Trägerteam zusammen. „Wenn man den Menschen auf Augenhöhe begegnet, klappt alles“, so Schabetsbe­rger. Aus den Anfangshür­den, die in seinen ersten Expedition­en in den 1990er-Jahren an der westafrika­nischen Küste in teils diktatoris­chen Systemen zu Konflikten geführt haben, hat er gelernt und merkt nun: „Untereinan­der streiten die lokalen Bewohner schon, aber meist nicht mit uns.“

Respekt hat Schabetsbe­rger vor Krankheite­n und Unfällen, wenn die Reise zum nächsten Arzt Tage dauert. „Aber das Immunsyste­m gewöhnt sich an die Umstände: Wir merken bei jungen Kollegen, die das erste Mal mitkommen, wie schnell eine kleine Wunde zu einem eitrigen Problem wird. Bei uns ,Alten‘ gibt es höchstens noch Sorgen, wenn man sich in Madagaskar beim Sprung von einem Baum den Knöchel verstaucht oder einem ein halb blinder Taxifahrer über den Fuß fährt, wie zuletzt in Samoa 2019.“

 ?? [ Ingo Fritsch ] ?? Den See Mataulano, den Schabetsbe­rger untersucht, kannten die Samoaner nur aus Erzählunge­n ihrer Vorfahren.
[ Ingo Fritsch ] Den See Mataulano, den Schabetsbe­rger untersucht, kannten die Samoaner nur aus Erzählunge­n ihrer Vorfahren.

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