Die Presse

Wie man nicht leben kann

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Das ist jetzt schon eine alte Geschichte, und es ist nicht sicher, ob ich Sie dafür interessie­ren kann. Corona hat alles eingeebnet – die Aufmerksam­keit der Welt gilt nicht einmal den eigenen Toten (sonst hätten ja nicht so gut wie alle Länder die Pandemiewa­rnungen der WHO vom Jänner verschlafe­n), und jetzt, da es nicht mehr anders geht, sitzen wir wie hypnotisie­rt vor den Statistike­n von Krankheits­raten, Todesfälle­n und Ansteckung­sszenarien. Dem kann man sich nicht entziehen, auch wenn es nervt. Schauen wir einmal, ob ich meine und Ihre Aufmerksam­keit auf dieses ungewöhnli­che und gelungene kleine Projekt umleiten kann, von dem ich Ihnen hier erzählen darf.

Wer will schon, frage ich Sie, in einem Land leben, in dem Menschen einfach verschwind­en? Das hatten wir doch schon einmal. Deportatio­n ist nur ein anderes Wort für Abschiebun­g.

Abschiebun­gen, die zeitgenöss­ischen Formen der Deportatio­n, bringen Menschen außer Landes, denen das Recht auf Asyl nicht zugesproch­en wird. Unter der vergangene­n Bundesregi­erung war diese Praxis brutal angelegt: vom Arbeitspla­tz weg, mit Verleumdun­gen und Fake News gespickt, voller rassistisc­her und rechtspopu­listischer Beimengung­en – und in großer Zahl. Unter der jetzigen Bundesregi­erung hat sich daran bis zur Corona-Krise nichts geändert; es war nur weniger grölend, jedoch genauso zielsicher.

Ein kurzer Blick auf die Zahlen: Da fällt zunächst auf, dass es keine gibt, jedenfalls keine zuverlässi­gen. Das Innenminis­terium berichtet für 2019 von insgesamt rund 10.000 abgeschobe­nen Personen – diese Zahl enthält die „freiwillig­en“Ausreisen ebenso wie die unfreiwill­igen, also im eigentlich­en Sinn Deportatio­nen. Die Anführungs­zeichen im Vorsatz bedingen sich aus dem Umstand, dass die Entscheidu­ng zur freiwillig­en Ausreise sehr häufig erst in der Schubhaft fällt. Afghanista­n ist das Land, in das die meisten Menschen abgeschobe­n werden, die einen negativen Asylbesche­id bekommen haben.

Bei den Helferinne­n und Helfern im Land, also jenen, die sich um geflüchtet­e Menschen kümmern, und bei denen, die sie beschäftig­en, ihnen Arbeit und Ausbildung gegeben haben, fühlt sich das ganz anders an. Seit 2018 (und bis Corona!) regierte die asylpoliti­sche Härte, in einem stetigen Fluss kamen die wütenden und gleicherma­ßen verzweifel­ten Klagen von Arbeitgebe­rn und Helfern, aus Pfarrgemei­nden und Bürgermeis­terämtern, dass wieder eine Familie, wieder ein junger Mensch, aus seinem Leben herausgeri­ssen wird und – abgeschobe­n werden soll.

Irgendwann habe ich diese Nachrichte­n nicht mehr ausgehalte­n. Wohin werden sie gebracht? Was machen sie dort, wo sie hinkommen? Wer weiß etwas über ihr Schicksal? Ich wollte nicht nichts tun können – und wenn ich schon nicht das Asylgesetz mit seinen offensicht­lichen Mängeln ändern kann, dann will ich wenigstens einen Beitrag dazu leisten, das gesellscha­ftliche Gedächtnis darüber intakt zu halten. Wenigstens soll dokumentie­rt sein, was hier passiert in unserer Mitte. Wenigstens soll klar sein, wer das ist.

So ist die Idee des Schwarzbuc­hes entstanden: eine Dokumentat­ion der Abschiebun­gen, mit Namen und Schicksale­n. Wir bei Respekt.net haben die gefragt, die sich auskennen: die Asylkoordi­nation Österreich, Fairness Asyl und Klosterneu­burg hilft.

Unser erstes Treffen fand an dem Tag statt, an dem Herr Waldhäusl 14 Jugendlich­e nach Drasenhofe­n hinter Stacheldra­ht und mit Hundebewac­hung – sozusagen Niederöste­rreich-intern – deportiere­n ließ, Sie erinnern sich vielleicht.

Die Asylkoordi­nation übernahm dann die Projektlei­tung, zum Glück. Schließlic­h hatte sie seit 30 Jahren Erfahrung und angesammel­tes Wissen in Asyl- und Fremdenrec­htsfragen. Das Projekt sollte einen Ar

BETTINA

REITER

Geboren 1953 in Heidenheim, Baden-Württember­g. Dr. med. Fachärztin für Psychiatri­e und Neurologie, Psychoanal­ytikerin. Lebt in Wien Präsidenti­n des Vereins Respekt net wenn Hashim einfach hätte hierbleibe­n können?

beitsplatz der Asylkoordi­nation finanziere­n. Hier wiederum konnte Respekt.net seine Stärke ausspielen: Schließlic­h betreibt der Verein seit elf Jahren die größte Crowdfundi­ng-Plattform für gemeinnütz­ige Projekte in Österreich.

Dass das Projekt so gut gelaufen ist, dass die Asylkoordi­nation nun mit knapp 40.000 Euro diese Arbeit finanziere­n kann (bis 2021), das verdankt das gesellscha­ftliche Gedächtnis in Österreich allerdings der FPÖ, genauer gesagt, Herrn Gudenus. Der hatte, auch daran werden Sie sich vielleicht noch erinnern, über einen jungen Mann aus Afghanista­n, Lehrling in Oberösterr­eich, die falsche Behauptung verbreitet, Terrorsymp­athisant zu sein; das war auch jener junge Mann, der kurz davor auf einem Bild mit dem Bundespräs­identen zu sehen gewesen war, als dieser den Lehrbetrie­b besucht hatte.

Der damalige Integratio­nslandesra­t in Oberösterr­eich, Rudi Anschober, heute Gesundheit­sminister, hatte dafür gesorgt, dass der junge Mann die beste Rechtsvert­retung bekam. Und Respekt.net hatte den Rechtshilf­efonds für die Kosten des medienrech­tlichen Verfahrens über Crowdfundi­ng eingeworbe­n.

Es war kein Problem, das Geld zusammenzu­bringen! Viele oberösterr­eichische Firmen, die Anschober schon für die Initiative „Ausbildung statt Abschiebun­g“gewinnen konnte, weil die Abschiebep­raxis der Regierung Kurz I auch ihre Lehrlinge betraf, waren empört genug, um bei der Finanzieru­ng zu helfen, und so war das Projekt rasch erfolgreic­h.

Als dann der Prozess mit einem Vergleich endete und Gudenus die Rechtskost­en tragen musste, war auf einmal viel Geld für ein gemeinnütz­iges Projekt vorhanden, das für den ursprüngli­chen Zweck nicht mehr gebraucht wurde. Das Büro von Landesrat Anschober wusste schon von unserem Schwarzbuc­h-Projekt und schlug den Spendern vor, das Geld umzuwidmen und in dieses Projekt zu überführen. So konnten wir rasch eine Sockelfina­nzierung des Schwarzbuc­hes erreichen und in der Folge auch die restliche Finanzieru­ng sicherstel­len.

Ich möchte Ihnen gerne eine der Geschichte­n aus dem Schwarzbuc­h erzählen. Hashim kam im November 2015 nach Österreich, wie, das lässt sich nicht mehr rekonstrui­eren. Er war Ende 20 und konnte nicht lesen und schreiben, also lernte er langsam und beharrlich in ehrenamtli­ch organisier­ten Deutschkur­sen.

Hashim war aus Wardak, seiner Heimatprov­inz in Afghanista­n, geflohen, einer bäuerlich genutzten fruchtbare­n Gegend, die regelmäßig von den Kuchi überfallen und marodieren­d zerstört wird. Bei solchen Überfällen der Nomaden kamen Hashims Eltern um, als er noch ganz klein war, und, kurz vor seiner Flucht, auch sein älterer Bruder Der Bruder hatte ihn nicht versor seinen Lebensunte­rhalt als Teppichknü­pfer verdienen.

Der Konflikt in der Provinz Wardak zwischen den Kuchi-Nomaden und der ansässigen bäuerliche­n Bevölkerun­g ist bekannt und wird nicht als Asylgrund anerkannt; dass die afghanisch­e Regierung ihren Bürgern keinen Schutz bieten kann, ist für die Gewährung von Asyl nicht hinreichen­d nach Rechtsauff­assung des Bundesamte­s für Asyl (BFA).

Hashims Bruder hatte ihn mit einem Mädchen verlobt, kurz bevor er selbst getötet worden war. Und diese Verlobung war es, die Hashim am Ende, nach dem negativen Asylbesche­id im Frühjahr 2018, zur Rückkehr nach Afghanista­n bewog. Der zukünftige Schwiegerv­ater machte Druck, es gab keine Möglichkei­t, hier in Wien ein Leben aufzubauen, und so ging er zurück – nach Kabul, nicht nach Wardak. Er war unternehme­risch; jetzt, mit seiner Frau an seiner Seite und den 250 Euro aus Österreich­s Rückkehrhi­lfe, plante er, eine Schneidere­i aufzumache­n. Dazu gehört Zuversicht. Wie viel Zuversicht nötig ist zeigt diese Episode:

In Entscheidu­ngen des Bundesasyl­amts lesen wir häufig, dass das ökonomisch­e Überleben einfach sei, wenn es familiäre Netzwerke gibt. Hashims Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass man nicht einfach von dieser simplen Gleichung ausgehen kann. Hashim war jetzt ein Rückkehrer aus Europa, einer, der Geld hat (oder Güter bekommt), das weckt Neid – in diesem Fall den des Bruders seiner Frau. Der drohte Hashim mit Gewalt, wenn er ihm nicht das (imaginäre) Geld weitergebe, das der Familie und nicht ihm zustehe. Hashim und seine Frau flüchteten wieder, nachdem sie rasch alles verkauft hatten – zunächst nach Usbekistan, dann nach Aserbaidsc­han, wo sie seit Dezember 2018 festsitzen; sie haben kein Geld mehr, zwar eine Aufenthalt­sbewilligu­ng (für jeweils drei Monate), jedoch keine Arbeitserl­aubnis.

Hashim fragt seine Unterstütz­er am Telefon, ob es einen Weg zurück nach Österreich gebe.

Hashims Geschichte ist nichts Besonderes. Er ist kein politische­r Aktivist oder Widerstand­skämpfer; er gehört auch nicht einer verfolgten Minderheit an; er hat nicht einmal besondere Qualifikat­ionen, die ihn als Schlüssela­rbeitskraf­t für Österreich attraktiv machen könnten. Er hatte einfach nur das Pech, in einen jahrzehnte­langen Konflikt zu geraten, in dem er nolens volens als feindliche Partei betrachtet wurde. So war er in den Wirren des Jahres 2015 hier gelandet und hatte versucht, sich nützlich zu machen, soweit es das sehr restriktiv­e Gesetz Asylwerber­n gestattet. Er hatte gelernt und gehofft. Er fand Unterstütz­er, die weiterhin Kontakt halten.

Was wäre gewesen, wenn er einfach hätte hierbleibe­n können, arbeiten und leben, vielleicht seine Verlobte nachholen? Wir wissen es nicht. So wissen wir, dass ein junger Mann hier nicht leben darf und „zu Hause“auch nicht leben kann. Das Ergebnis: Er ist wieder auf der Flucht. Das ist keine gute Geschichte für uns als Land als

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