Einst im Caf´e Louvre
Austausch als friedensstiftende, vertrauensbildende Maßnahme: Das ist die Grundidee des internationalen Stipendienprogramms, das der US-Senator J. William Fulbright in der Nachkriegszeit initiiert hat. Seit 70 Jahren nimmt auch Österreich teil. Zur Gesch
Am 6. Juni 1950 zu Mittag lud das US-Außenministerium ausgewählte Gäste zu einem einmaligen Ereignis in die Empfangshalle des State Department in Washington ein: zur Unterzeichnung eines Abkommens zwischen den USA und der Republik Österreich, um ein Stipendienprogramm zu ermöglichen, das nach J. William Fulbright, dem jungen demokratischen Senator aus Arkansas, benannt wurde, der die Gesetzesvorlage dafür im September 1945 im Kongress eingebrachte hatte. Seit dem Abschluss des allerersten Fulbright-Abkommens am 10. November 1947 in Nanking, China, wurden sechzehn weitere Vereinbarungen, immer in diversen Hauptstädten Europas und Asiens, unterzeichnet. Die Unterzeichnung in Washington, D. C. war ein Novum, und es sollten noch über dreißig weitere bilaterale Fulbright-Abkommen folgen. In Anwesenheit von Senator Fulbright unterfertigten US-Außenminister Dean Acheson und der österreichische Botschafter Ludwig Kleinwächter ein „Übereinkommen betreffend die Finanzierung gewisser Erziehungsaustauschprogramme“mit dem Zweck, „das gegenseitige Verständnis durch Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung (education) auszubauen“.
Lehrzeit in Mitteleuropa
Das Abkommen bestand aus 13 knapp formulierten Artikeln, die im Großen und Ganzen dem Muster der ersten Vereinbarung mit China 1947 folgten und die Modalitäten der zukünftigen Zusammenarbeit festhielten. Ein Wesensmerkmal der Fulbright-Abkommen war die Schaffung von weitgehend autonomen binationalen Kommissionen, die für die Entscheidungsfindung und Durchführung des Programms vor Ort im Ausland zuständig waren und dessen Vorstände mit der gleichen Anzahl von nationalen Mitgliedern besetzt wurden. Die United
States Educational Commission in Austria – die schlicht als Fulbright Commission bekannt wurde – bestand aus acht Mitgliedern. Vier wurden vom US-Botschafter nominiert, vier von der österreichischen Bundesregierung. Solche Kommissionen verkörperten eine strukturelle Philosophie, die dem Programm zugrunde lag und zu seiner Glaubwürdigkeit beitrug: gemeinsame Verantwortung, binationale Entscheidungsfindung, bilateraler Austausch.
Als Besatzungsmacht verfolgten die USBehörden auch politische Ziele mit dem „Austausch von Personen“in Österreich. Die Erfahrung des American way of life sollte zur Heranbildung von „reorientierten“, prowestlichen und antikommunistischen Führungspersönlichkeiten in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik beitragen. Ein Fulbright-Stipendium stellte in der Nachkriegszeit eine einmalige Gelegenheit dar.
Fulbrights Idee war außergewöhnlich, denn er wuchs zutiefst provinziell im nordwestlichen Hinterland von Arkansas auf, wo er an der University of Arkansas studierte. Ein Rhodes-Stipendium brachte ihn 1925 für drei Jahre nach Oxford. Danach weilte er acht Monate in Wien, vor allem im Cafe´ Louvre, dem Treffpunkt ausländischer Korrespondenten. Fulbrights Lehrzeit in Mitteleuropa – so sein Biograf Randall Woods – war „eine Ausbildung an und für sich und seine Einführung in die reale Welt der internationalen Politik“. Der Einsatz von Atomwaffen in Hiroshima und Nagasaki im August 1945 war zündend für Fulbrights Idee einer friedenserhaltenden Verständigung durch internationalen akademischen Austausch. Jahrzehnte später behauptete er sogar, dass der „Hauptzweck“des FulbrightProgramms „die Vermeidung eines nuklearen Kriegs“gewesen sei: Austausch – per
son-to-person diplomacy – als Heranbildung von weltbürgerlichen Führungspersönlichkeiten in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik im atomaren Zeitalter und als friedensstiftende und vertrauensbildende Maßnahme und Konfliktlösungsansatz zugleich.
Fulbrights Idee eines vom US-Kongress gesponserten, zwischenstaatlichen und internationalen Stipendienprogramms war beispiellos und bildete die Grundlage für das damals größte Programm seiner Art in der Welt (bis es in den 1990er-Jahren von Nachahmern wie dem Erasmus-Programm zahlenmäßig überboten wurde). Sein politischer Geniestreich war es, die Finanzierung des Austauschprogramms in eine Gesetzesvorlage zu packen, die nichts mit Wissenschaft oder Bildung zu tun hatte, sondern die komplexe Handhabung und Zweckwidmung von damals nicht konvertierbaren Fremdwährungen betraf, die die US-Regierung durch den Verkauf von überschüssigen Kriegsgütern aller Art in aller Welt lukrierten.
Der An- und Verkauf dieser Güter war die finanzielle Voraussetzung für den Abschluss des Fulbright-Abkommens, das zunächst auf fünf Jahre mit dem Gegenwert von 250.000 österreichischen Schilling pro Jahr begrenzt wurde. Diese enorme Summe ermöglichte im ersten Stipendienjahr 1951/1952 ein großes Fulbright-Programm für den Kleinstaat Österreich. Über 150 österreichische und 64 amerikanische Fulbrighter – zu 85 Prozent Studierende – überquerten den Atlantik mittels sechstägiger, luxuriöser Schiffsreisen. Reise- und Aufenthaltskosten der Amerikaner in Österreich wurden in Schilling gedeckt. In den USA übernahmen Hochschulen und die Zivilgesellschaft fast alle anderen anfallenden Aufenthalts- und Studienkosten in US-Dollar.
Seit damals sind über 3700 österreichische und 2600 amerikanische Fulbrighter in die Fußstapfen jener Pioniere getreten. Seit den 1960er-Jahren hat Fulbright Austria auch weitere 4000 US-Hochschulabsolventen im Rahmen des Fremdsprachenassistenz-Programms des Unterrichtsministeriums an österreichische Schulen in alle Bundesländer vermittelt. Über die Jahrzehnte hinweg haben sich die Grundidee der Partnerschaft und die binationale Struktur des Programms bewährt. Das anfangs ausschließlich von den USA gesponserte Programm wurde ab den 1960er-Jahren von der Republik Österreich mitfinanziert und ab der Jahrtausendwende durch eine ganze Reihe von wichtigen halb-öffentlichen und privaten Partnerschaften mit Hochschulen, Museen und Stiftungen in Österreich und den USA ausgebaut. Und das Programm hat nichts an Aktualität verloren: das „gegenseitige Verständnis“, welches das Fundament der transatlantischen Werte- und Interessengemeinschaft bildet, muss von jeder Generation neu erlernt werden und ist in Zeiten wie diesen wichtiger denn je.