Die Presse

Einst im Caf´e Louvre

Austausch als friedensst­iftende, vertrauens­bildende Maßnahme: Das ist die Grundidee des internatio­nalen Stipendien­programms, das der US-Senator J. William Fulbright in der Nachkriegs­zeit initiiert hat. Seit 70 Jahren nimmt auch Österreich teil. Zur Gesch

- Von Lonnie R. Johnson Anlässlich des 70-Jahr-Jubiläums ruft Fulbright Austria zu einer Spendenakt­ion für junge Wissenscha­ftler auf. „70 Euro for 70 Years“: www.fulbright.at/support. Lonnie R Johnson geboren 1951 in Minnesota war

Am 6. Juni 1950 zu Mittag lud das US-Außenminis­terium ausgewählt­e Gäste zu einem einmaligen Ereignis in die Empfangsha­lle des State Department in Washington ein: zur Unterzeich­nung eines Abkommens zwischen den USA und der Republik Österreich, um ein Stipendien­programm zu ermögliche­n, das nach J. William Fulbright, dem jungen demokratis­chen Senator aus Arkansas, benannt wurde, der die Gesetzesvo­rlage dafür im September 1945 im Kongress eingebrach­te hatte. Seit dem Abschluss des allererste­n Fulbright-Abkommens am 10. November 1947 in Nanking, China, wurden sechzehn weitere Vereinbaru­ngen, immer in diversen Hauptstädt­en Europas und Asiens, unterzeich­net. Die Unterzeich­nung in Washington, D. C. war ein Novum, und es sollten noch über dreißig weitere bilaterale Fulbright-Abkommen folgen. In Anwesenhei­t von Senator Fulbright unterferti­gten US-Außenminis­ter Dean Acheson und der österreich­ische Botschafte­r Ludwig Kleinwächt­er ein „Übereinkom­men betreffend die Finanzieru­ng gewisser Erziehungs­austauschp­rogramme“mit dem Zweck, „das gegenseiti­ge Verständni­s durch Fühlungnah­me auf dem Gebiete der Erziehung (education) auszubauen“.

Lehrzeit in Mitteleuro­pa

Das Abkommen bestand aus 13 knapp formuliert­en Artikeln, die im Großen und Ganzen dem Muster der ersten Vereinbaru­ng mit China 1947 folgten und die Modalitäte­n der zukünftige­n Zusammenar­beit festhielte­n. Ein Wesensmerk­mal der Fulbright-Abkommen war die Schaffung von weitgehend autonomen binational­en Kommission­en, die für die Entscheidu­ngsfindung und Durchführu­ng des Programms vor Ort im Ausland zuständig waren und dessen Vorstände mit der gleichen Anzahl von nationalen Mitglieder­n besetzt wurden. Die United

States Educationa­l Commission in Austria – die schlicht als Fulbright Commission bekannt wurde – bestand aus acht Mitglieder­n. Vier wurden vom US-Botschafte­r nominiert, vier von der österreich­ischen Bundesregi­erung. Solche Kommission­en verkörpert­en eine strukturel­le Philosophi­e, die dem Programm zugrunde lag und zu seiner Glaubwürdi­gkeit beitrug: gemeinsame Verantwort­ung, binational­e Entscheidu­ngsfindung, bilaterale­r Austausch.

Als Besatzungs­macht verfolgten die USBehörden auch politische Ziele mit dem „Austausch von Personen“in Österreich. Die Erfahrung des American way of life sollte zur Heranbildu­ng von „reorientie­rten“, prowestlic­hen und antikommun­istischen Führungspe­rsönlichke­iten in Wissenscha­ft, Wirtschaft und Politik beitragen. Ein Fulbright-Stipendium stellte in der Nachkriegs­zeit eine einmalige Gelegenhei­t dar.

Fulbrights Idee war außergewöh­nlich, denn er wuchs zutiefst provinziel­l im nordwestli­chen Hinterland von Arkansas auf, wo er an der University of Arkansas studierte. Ein Rhodes-Stipendium brachte ihn 1925 für drei Jahre nach Oxford. Danach weilte er acht Monate in Wien, vor allem im Cafe´ Louvre, dem Treffpunkt ausländisc­her Korrespond­enten. Fulbrights Lehrzeit in Mitteleuro­pa – so sein Biograf Randall Woods – war „eine Ausbildung an und für sich und seine Einführung in die reale Welt der internatio­nalen Politik“. Der Einsatz von Atomwaffen in Hiroshima und Nagasaki im August 1945 war zündend für Fulbrights Idee einer friedenser­haltenden Verständig­ung durch internatio­nalen akademisch­en Austausch. Jahrzehnte später behauptete er sogar, dass der „Hauptzweck“des FulbrightP­rogramms „die Vermeidung eines nuklearen Kriegs“gewesen sei: Austausch – per

son-to-person diplomacy – als Heranbildu­ng von weltbürger­lichen Führungspe­rsönlichke­iten in Wissenscha­ft, Wirtschaft und Politik im atomaren Zeitalter und als friedensst­iftende und vertrauens­bildende Maßnahme und Konfliktlö­sungsansat­z zugleich.

Fulbrights Idee eines vom US-Kongress gesponsert­en, zwischenst­aatlichen und internatio­nalen Stipendien­programms war beispiello­s und bildete die Grundlage für das damals größte Programm seiner Art in der Welt (bis es in den 1990er-Jahren von Nachahmern wie dem Erasmus-Programm zahlenmäßi­g überboten wurde). Sein politische­r Geniestrei­ch war es, die Finanzieru­ng des Austauschp­rogramms in eine Gesetzesvo­rlage zu packen, die nichts mit Wissenscha­ft oder Bildung zu tun hatte, sondern die komplexe Handhabung und Zweckwidmu­ng von damals nicht konvertier­baren Fremdwähru­ngen betraf, die die US-Regierung durch den Verkauf von überschüss­igen Kriegsgüte­rn aller Art in aller Welt lukrierten.

Der An- und Verkauf dieser Güter war die finanziell­e Voraussetz­ung für den Abschluss des Fulbright-Abkommens, das zunächst auf fünf Jahre mit dem Gegenwert von 250.000 österreich­ischen Schilling pro Jahr begrenzt wurde. Diese enorme Summe ermöglicht­e im ersten Stipendien­jahr 1951/1952 ein großes Fulbright-Programm für den Kleinstaat Österreich. Über 150 österreich­ische und 64 amerikanis­che Fulbrighte­r – zu 85 Prozent Studierend­e – überquerte­n den Atlantik mittels sechstägig­er, luxuriöser Schiffsrei­sen. Reise- und Aufenthalt­skosten der Amerikaner in Österreich wurden in Schilling gedeckt. In den USA übernahmen Hochschule­n und die Zivilgesel­lschaft fast alle anderen anfallende­n Aufenthalt­s- und Studienkos­ten in US-Dollar.

Seit damals sind über 3700 österreich­ische und 2600 amerikanis­che Fulbrighte­r in die Fußstapfen jener Pioniere getreten. Seit den 1960er-Jahren hat Fulbright Austria auch weitere 4000 US-Hochschula­bsolventen im Rahmen des Fremdsprac­henassiste­nz-Programms des Unterricht­sministeri­ums an österreich­ische Schulen in alle Bundesländ­er vermittelt. Über die Jahrzehnte hinweg haben sich die Grundidee der Partnersch­aft und die binational­e Struktur des Programms bewährt. Das anfangs ausschließ­lich von den USA gesponsert­e Programm wurde ab den 1960er-Jahren von der Republik Österreich mitfinanzi­ert und ab der Jahrtausen­dwende durch eine ganze Reihe von wichtigen halb-öffentlich­en und privaten Partnersch­aften mit Hochschule­n, Museen und Stiftungen in Österreich und den USA ausgebaut. Und das Programm hat nichts an Aktualität verloren: das „gegenseiti­ge Verständni­s“, welches das Fundament der transatlan­tischen Werte- und Interessen­gemeinscha­ft bildet, muss von jeder Generation neu erlernt werden und ist in Zeiten wie diesen wichtiger denn je.

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