Vorfälle, die nicht vorfallen
Expedition Europa: Migranten-Hotspots in Serbien und 100 Corona-Euro von Vuˇci´c.
Von der EU weitgehend unbemerkt, sperrte Präsident Vuciˇc´ das EU-Beitrittsland Serbien rabiat zu: Ausnahmezustand, Ausgangsverbot ab 17 oder 13 Uhr, Ausgangssperre für Migranten und Menschen über 65, Einreiseverbot sogar für Staatsbürger. Im Mai sperrte Vuciˇc´ schlagartig wieder auf. Die Geflüchteten, die sich seit der Flüchtlingskrise im Grenzstädtchen Sidˇ sammeln, durften nach zwei Monaten Kasernierung raus. Nur dass ihnen Vuciˇc,´ „als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme“, sogleich die Armee schickte.
So komme ich wieder in die Vojvodina. Im Winter 2015/2016 betrachtete ich in Sidˇ den großen Treck und hörte die Geschichten der oft selbst im serbischkroatischen Krieg vertriebenen Einheimischen. Nun bin ich zum ersten Mal seit Corona im Ausland, ein arges Gefühl. Am Siderˇ Bahnhof noch das „Cafe´ am Wegesrand“, immer noch oder schon wieder das Auto vom UNHCR, vor dem Flüchtlingsheim spielen Kinder. Der Armee-Einsatz ist PR, vor den drei Lagern sind einzelne Krafthünen mit breiten weißen Ledergürteln aufgepflanzt. Neu sind die Schlangen vor den Banken.
Es gibt wieder Nachtleben. Kein Mundschutz nirgends, etwaigen Aerosolen wird durch inwendige Desinfektion und schneidenden Rauch der Garaus gemacht. In meinem liebsten Tschecherl feiern junge, müde, teils in Blaumann gekleidete Burschen mit Jugosongs wie diesem: „Das Beisl ist mein Schicksal, das Beisl ist meine Wahrheit“.
Sympathie für die Gäste
Vuciˇc´ begründete die Armee-Entsendung mit „kleinen Diebstählen“, der Bürgermeister mit illegalem Eindringen in „verlassene Häuser“und mit einer Verdoppelung der Migrantenzahl auf 2000. Die Flüchtlingsbetreuer verlauteten: „Es gab keine Vorfälle.“
Ich gehe an die Hotspots. Dass an einem Kiosk im Dorf Adasevciˇ drei Schachteln Zigaretten gestohlen wurden, dürfte stimmen. Ansonsten: Vorfälle gab es im Dorf Sot, sagen sie in der Stadt Sid.ˇ Vorfälle gab es in Sid,ˇ sagen sie in Sot. Wieder überrascht mich die Sympathie, die einige für die Gäste äußern. „Problemlos“, sagen zwei Dörflerinnen in Sot. Sot hat mehr verlassene als intakte Häuser, von eingedrungenen Migranten wissen sie nichts. Die Ältere, 74, Schubkarre voller Unkraut, sagt: „Ich war drei Monate eingesperrt, Freiwillige haben mir eingekauft.“Das Lager Principovac, in dem nur junge Männer untergebracht sind, liegt direkt an einem Grenzübergang. Der Zaun ist hoch, und der davor stehende Kraftkrieger und zwei Grenzpolizisten reden von „vielen“Vorfällen, halt eher in Adasevci.ˇ Ein Grenzpolizist zeigt mir auf die nahe Waldlinie: „Das ist schon Kroatien, wir können nicht jeden erwischen. Serbien gibt ihnen alles, aber sie wollen nicht zu uns, sie wollen zu euch.“
Ich spreche mit einem Geflüchteten, der vom Lager nach Sidˇ wandert, 13 Kilometer. Jawad Khan Hassan Kheil, 25, „Mittelschicht“, Paschtune aus Pakistan. Er sagt, er sei seit 2012 von zu Hause weg, habe illegal in einer türkischen Schuhfabrik verdient und sei zehn Monate auf der Reise. Dem „Agenten“, der ihn nach Griechenland brachte, zahlte er 2500 Dollar, dem nach Nordmazedonien 600, dem nach Serbien auch 600. „Wir sind zu neunt in Istanbul aufgebrochen, acht sind in Europa, nur ich habe kein Geld mehr.“Zwei Mal über die Drina nach Bosnien, ein Mal von Subotica nach Kroatien, jedes Mal aufgegriffen und zurückgeschickt. Hassan Kheil will nach Frankreich. Der Agent für Kroatien-Slowenien-Italien nimmt 5000.
Als ich Sidˇ Adieu sage, sind die Schlangen vor den Banken nicht kürzer, denn Vuciˇc´ zahlt jedem Erwachsenen