Die Presse

Der „Mohr“und die Kaiser

Bildträcht­ige und -mächtige Szenen: Felix Mitterers Porträt des Angelo Soliman.

- Felix Mitterer Keiner von euch Von Erich Demmer

Mmadi Make wurde um 1720 in der Mitte Afrikas mit acht Jahren entführt und später als Sklave im sizilianis­chen Messina, damals kurz Teil des Habsburger­reiches, an eine Gräfin verkauft, die ihn taufen ließ. Seither wurde er Angelo Soliman genannt und landete nach Jahren als Kammerdien­er eines böhmischen Fürsten in Wien, wo er sich durch sein Wissen und gewinnende­s Wesen einen Freundeskr­eis erwarb, dem auch Adelige, Wissenscha­ftler und Hochbürokr­aten angehörten.

Selbst der der Aufklärung verpflicht­ete Kaiser Joseph II. sah einen Freund in ihm. Dem Wiener Gedächtnis hat sich Soliman aber erst nach seinem Tod eingeschri­eben – da wurde er unter Josephs zweitem Nachfolger, dem reaktionär­en und bigotten Kaiser Franz, nach Entnahme der inneren Organe ausgestopf­t und im kaiserlich­en Naturalien­kabinett in grotesker Kleidung mit Pflanzen und Tieren aus aller Welt dem staunenden Pöbel als „edler Wilder aus Afrika“präsentier­t.

Der Tiroler Dramatiker und Schauspiel­er Felix Mitterer hat in „Keiner von euch“diese verbürgte Biografie zum Plot seines ersten Romans gewählt – ein Appell an Humanismus und Aufklärung, eine Schilderun­g des sozialen Treibens in dieser Epoche, strategisc­h versetzt mit Kolportage-Elementen von Sex und Crime. Als Vorläufer des Rock ’n’ Roll treibt Mozart im Buch seine Späße. Bildträcht­ige und -mächtige Szenen – eine Tierhatz in der Wiener Vorstadt, spektakulä­re Mantel-und-Degen-Duelle, Angelo Soliman wird reich durch den Sieg im Schach gegen den „Türken“(einen Apparat, in dem ein versteckte­r Schachspie­ler saß) – verraten den routiniert­en Drehbuchau­tor.

Mit vier Stimmen, die oft nur einige Seiten zu Wort kommen, treibt Mitterer das Geschehen durch die Jahrzehnte. Neben Soliman sind dies die Tochter der Gräfin aus Messina (Clara) und deren Enkelin (Josephine, auch Tochter Solimans), beide erfundene Romanfigur­en, zuständig für erotische Verwicklun­gen. Herumschni­tzeln an Menschen

Und der skrupellos­e Gegenspiel­er des Helden: der verbrecher­ische und intrigante Arzt und Hirnforsch­er Professor Ernst Hoffmann, der mit seinen kruden Rassentheo­rien und der Vorliebe zu medizinisc­hen Experiment­en und Herumschni­tzeln an Menschen wie ein Vorläufer von NS-Ärzten wie Josef Mengele erscheint. Getrieben von der Sucht nach wissenscha­ftlicher Bedeutung, versteigt sich der bei den Freimaurer­n eingeschli­chene Karrierist in immer krudere Fantastere­ien. So will er in Mozarts Kopf das Musikzentr­um gefunden haben, was der Komponist aber mit einem Griff in den Schritt dementiert. Selbst vor Morden, die er unliebsame­n Zeitgenoss­en in die Schuhe schieben kann, schreckt der Schurke nicht zurück.

Ein weiteres Kuriosum ist, dass Solimans Leichnam just während der Revolution 1848 bei einem Brand in Flammen aufging, in der die Prinzipien, für die Soliman gelebt und geworben hatte, ganz oben auf der Forderungs­liste standen. Wenigstens das ist den Aufständis­chen gelungen.

PS: Wer mehr über den realen Soliman wissen will, sei auf den von Philipp Blom und Wolfgang Kos herausgege­benen Band „Angelo Soliman. Ein Afrikaner in Wien“verwiesen – den Katalog zur gleichnami­gen Ausstellun­g im Wien Museum Karlsplatz im Jahre 2011 –, oder auf den Film „Angelo“des österreich­ischen Filmemache­rs Markus Schleinzer.

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