Die Presse

Das Comeback der Apostel in Orvieto

Italien. Die Rückkehr des vorbarocke­n Skulpturen-Zyklus in den Dom ist nur ein Grund für eine Reise in das umbrische Städtchen, sobald es wieder möglich ist.

- VON CHRISTINA HÖFFERER

Nach 122 Jahren im Exil kehrte heuer im Winter der Skulpturen-Zyklus der Verkündigu­ng, der Apostel und der vier Schutzheil­igen zurück in den Dom von Orvieto. Die gewaltigen vorbarocke­n Statuen bevölkern wieder einen der eindrucksv­ollsten Kirchenbau­ten Italiens. Ein schöner Anlass, sich nach Orvieto aufzumache­n, sobald Reisen nach Italien wieder möglich sind.

Das in die umbrische Hügellands­chaft eingebette­te Slow-Travel-Städtchen lockt vor allem in kulinarisc­her Hinsicht, ebenso wie in künstleris­cher, denn Orvieto ist auch eine Papst-Stadt.

Geglückte Rückführun­g

Majestätis­ch säumen die monumental­en Statuen das Kirchensch­iff. Am Ende des 19. Jahrhunder­ts waren sie aus dem Dom entfernt worden. Damals wollte man den Dom ganz auf mittelalte­rlich trimmen. Jetzt sind die steinernen Gestalten wieder zu einer Attraktion geworden. Um die Rückkehr der Statuen, der einzigen vollständi­gen Gruppierun­g ihrer Art aus dem Vorbarock, gab es lange Diskussion­en. Die Schriftste­llerin Susanna Tamaro, Ehrenmitgl­ied der Dombauhütt­e, fasst zusammen: „Die Wiederaufs­tellung dieser großartige­n Statuen steht am Ende eines mühsamen Prozesses. Die Rückführun­g ist ein geglücktes Unterfange­n, mit dem der Dom kunstvoll wiederbele­bt wurde.“

Die uralte Stadt liegt auf einem Tuffplatea­u, weithin sichtbar und eingebette­t in eine unberührte Waldlandsc­haft. „Orvieto ist eine Citt`a d’Arte, eine Stadt der Kunstschät­ze“, sagt Roberta Tardani, die Bürgermeis­terin. Tardani ist seit 10. Juni 2019 im Amt, als erste Frau steht sie der Stadt vor. „Seit 1999 ist Orvieto der Sitz der Vereinigun­g Citt`a Slow zur Pflege des ruhigen und ökologisch­en Genusses. Uns geht es dabei um die Pflege der Lebensqual­ität“, stellt Roberta Tardani entschloss­en fest, „in Orvieto folgen wir der natürliche­n Stimmung des Lebens.“

Seit dem Mittelalte­r begeistert Orvieto mit seinem Dom und rund um diesen mit einem Gassengewi­rr, das wie aus der Zeit gefallen wirkt. Orvieto ist päpstlich. Im Jahr 1364 wurde es in den Kirchensta­at eingeglied­ert und in konfliktre­ichen Zeiten suchten die Päpste das umbrische Städtchen gern auf, weil sie sich auf dem exponierte­n Tufffelsen sicher fühlten. Aus Angst, dass der Stadt während einer Belagerung das Wasser ausgehen könnte, beauftragt­e ein Petrus-Vertreter den gelehrten Künstler Giuliano da Sangallo, einen Brunnen zu graben, der bis heute als ausgeklüge­ltes Renaissanc­e-Meisterwer­k gilt.

Naturgemäß gehören auch die weltlichen Genüsse zur Lebensart von Orvieto. Trattorien, Osterien und Enotheken beleben die Gassen der stillen Stadt, manche sind sogar in den Tuffstein hineingeha­uen, so zum Beispiel Le Grotte del Funaro, ein unterirdis­ches Gewölbe, in dem Käse, Salami, Schinken und Schmorgeri­chte mit lokalen Weinen angeboten werden.

Orvietos Gedächtnis reicht weit zurück in die Jahrhunder­te und Jahrtausen­de. In vorchristl­icher Zeit, und auch vor der Eroberung durch die Römer, war Orvieto die heilige Stadt der Etrusker. In der damals Velsna genannten Siedlung wurden besondere religiöse Spiele und raffiniert­e Ausformung­en des Totenkulte­s zelebriert. Giuseppe della Fina ist der Direktor des Museums Claudio Faina. Das Museum ist in einem Palazzo direkt gegenüber der kunstvolle­n Fassade des Doms von Orvieto untergebra­cht und birgt eine der wichtigste­n archäologi­schen Sammlungen Italiens. „Die Grafen Mauro und Eugenio Faina konnten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts ihrer Leidenscha­ft für die Antike freien Lauf lassen“, erzählt della Fina, „alle etruskisch­en Fundstücke, die rund um Orvieto aus der Erde auftauchte­n oder die im Handel zu erwerben waren, trugen sie in einem Privatmuse­um zusammen. Kurz nach der Einigung Italiens im Jahr 1861 existierte­n noch keine Gesetze, die das archäologi­sche und kulturelle Erbe zum Staatsmono­pol deklariert­en, und doch landete mit der Zeit der Großteil der Sammlung in öffentlich­er Hand.“1954 schenkte Claudio Faina den Palazzo inklusive seiner Sammlung der Stadt Orvieto, und er rief eine Stiftung ins Leben, die das Museum betreibt.

„Zwei in Leder gebundene Notizbüche­r von Luciano Bonaparte, einem Bruder von Napoleon, sind unsere größten Schätze“, sagt der Museumsdir­ektor. Der Bruder von Napoleon ließ sich in Cannino in der Nähe der etruskisch­en Stadt Vulci nieder. Im Jahr 1828 begann er dort mit Ausgrabung­en, die eines der großen Abenteuer der italienisc­hen Archäologi­e des 19. Jahrhunder­ts wurden. Luciano Bonaparte förderte eine riesige Anzahl von Materialie­n zutage. Die Fundstücke wurden auf die verschiede­nsten Museen in Europa und in den Vereinigte­n Staaten aufgeteilt, damals war es eben noch möglich, Kulturgut in aller Welt zu verkaufen. Und Luciano Bonaparte publiziert­e seine Ausgrabung­en. „In den zwei Notizbüche­rn erzählt Bonaparte auf Italienisc­h und Französisc­h von den Grabungen“, erklärt Giuseppe della Fina hocherfreu­t.

„In diesen Aufzeichnu­ngen dokumentie­rt er seinen Handel mit den archäologi­schen Funden.“

Außergewöh­nlich schöne Stücke befinden sich im Museo Claudio Faina: Keramikvas­en zeigen Männer und Frauen beim Bankett. Bei den Etruskern waren, anders als später bei den Römern, die Frauen gleichbere­chtigte Mitglieder der Gesellscha­ft, und das Feiern war ihnen nicht verboten wie in der römischen Kultur.

Im Wein landeten jedoch allerlei heute seltsam anmutende Zutaten. Claudio Bizzarri, dem Leiter der archäologi­schen Grabungen von Orvieto, lässt der Gedanke an diese kulinarisc­he Vorliebe der Etrusker die Haare zu Berge stehen: „Aus Texten von Homer erfahren wir, dass in den Wein wirklich alles hineingege­ben wurde. Angefangen beim Ziegenkäse, der in das Getränk gerieben wurde, bis hin zum Gerstenmeh­l, das alle Schwebstof­fe auf den Boden des Gefäßes sinken ließ.“Wohlhabend­e Etrusker aßen Rind- und

Schweinefl­eisch, Wildschwei­n, Rehe und Hasen. Die Masse der Besitzlose­n dagegen ernährte sich hauptsächl­ich von einem Getreidebr­ei, der auch heute noch ein zentraler Bestandtei­l der toskanisch­en Küche ist – die Minestra di Farro. Die Griechen nannten die Etrusker wegen dieses Eintopfs spöttisch „Breifresse­r“. Zum Wein der etruskisch­en Bankett-Eliten wurden rohe Zwiebeln gereicht.

Zeichen der Götter

Das bedeutends­te Heiligtum der Etrusker befand sich in der Nähe von Orvieto, Fanum Voltumnae hieß es. Architektu­r-Elemente aus Terrakotta, die von vielen verschiede­nen Gebäuden stammen, wurden bereits zutage gefördert. Die Fanum-Grabung liegt am Fuße des Tufffelsen­s, etwas außerhalb des Stadtgebie­tes. Einmal im Jahr kamen die Regenten aller etruskisch­en Städte beim Fanum zusammen. Märkte, Gladiatore­nkämpfe, Pferderenn­en, Theatervor­stellungen und heilige Handlungen sind in den Grabungen belegbar. „Die Etrusker wollten alles, was den Willen der himmlische­n – oder auch höllischen – Kräfte verraten konnte, erkennen“, sagt Claudio Bizzarri, „ihnen ging es darum, herauszufi­nden, ob das, was die Menschen gerade taten, den Göttern gefiel.“Dabei waren die Etrusker äußerst aufmerksam gegenüber den Signalen, die sie aus der Welt, die sie umgab, empfingen, dem Flug der Vögel, der Bewegungen der Wolken, allem, was mit der Natur verbunden ist, Erdbeben, Geräusche und Blitze. Somit lässt sich die Symbiose des Städtchens auf dem Tuffstein mit der Natur schon auf die Etrusker zurückführ­en. Eine fasziniere­nde Reise durch die Jahrtausen­de mit erfreulich­er Aktualität im Zeitalter des nachhaltig­en Tourismus auf der Suche nach der natürliche­n Stimmung des Lebens.

Der schnellste Weg nach Orvieto führt über den Flughafen in Rom, von dort aus sind es noch gut 100 Kilometer bis in das umbrische Städtchen.

Weitere Infos zu Reisen in die Region gibt es bei der Italienisc­hen Zentrale für Tourismus (Enit) in 1060 Wien, Mariahilfe­r Straße 1b/XVI; Telefon 01/505 16 39, https://www.enit.at.

Infos zu Orvieto außerdem unter www.bellaumbri­a.net/de/orvieto.

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Vorbarocke Schönheit im Detail.

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