Das Comeback der Apostel in Orvieto
Italien. Die Rückkehr des vorbarocken Skulpturen-Zyklus in den Dom ist nur ein Grund für eine Reise in das umbrische Städtchen, sobald es wieder möglich ist.
Nach 122 Jahren im Exil kehrte heuer im Winter der Skulpturen-Zyklus der Verkündigung, der Apostel und der vier Schutzheiligen zurück in den Dom von Orvieto. Die gewaltigen vorbarocken Statuen bevölkern wieder einen der eindrucksvollsten Kirchenbauten Italiens. Ein schöner Anlass, sich nach Orvieto aufzumachen, sobald Reisen nach Italien wieder möglich sind.
Das in die umbrische Hügellandschaft eingebettete Slow-Travel-Städtchen lockt vor allem in kulinarischer Hinsicht, ebenso wie in künstlerischer, denn Orvieto ist auch eine Papst-Stadt.
Geglückte Rückführung
Majestätisch säumen die monumentalen Statuen das Kirchenschiff. Am Ende des 19. Jahrhunderts waren sie aus dem Dom entfernt worden. Damals wollte man den Dom ganz auf mittelalterlich trimmen. Jetzt sind die steinernen Gestalten wieder zu einer Attraktion geworden. Um die Rückkehr der Statuen, der einzigen vollständigen Gruppierung ihrer Art aus dem Vorbarock, gab es lange Diskussionen. Die Schriftstellerin Susanna Tamaro, Ehrenmitglied der Dombauhütte, fasst zusammen: „Die Wiederaufstellung dieser großartigen Statuen steht am Ende eines mühsamen Prozesses. Die Rückführung ist ein geglücktes Unterfangen, mit dem der Dom kunstvoll wiederbelebt wurde.“
Die uralte Stadt liegt auf einem Tuffplateau, weithin sichtbar und eingebettet in eine unberührte Waldlandschaft. „Orvieto ist eine Citt`a d’Arte, eine Stadt der Kunstschätze“, sagt Roberta Tardani, die Bürgermeisterin. Tardani ist seit 10. Juni 2019 im Amt, als erste Frau steht sie der Stadt vor. „Seit 1999 ist Orvieto der Sitz der Vereinigung Citt`a Slow zur Pflege des ruhigen und ökologischen Genusses. Uns geht es dabei um die Pflege der Lebensqualität“, stellt Roberta Tardani entschlossen fest, „in Orvieto folgen wir der natürlichen Stimmung des Lebens.“
Seit dem Mittelalter begeistert Orvieto mit seinem Dom und rund um diesen mit einem Gassengewirr, das wie aus der Zeit gefallen wirkt. Orvieto ist päpstlich. Im Jahr 1364 wurde es in den Kirchenstaat eingegliedert und in konfliktreichen Zeiten suchten die Päpste das umbrische Städtchen gern auf, weil sie sich auf dem exponierten Tufffelsen sicher fühlten. Aus Angst, dass der Stadt während einer Belagerung das Wasser ausgehen könnte, beauftragte ein Petrus-Vertreter den gelehrten Künstler Giuliano da Sangallo, einen Brunnen zu graben, der bis heute als ausgeklügeltes Renaissance-Meisterwerk gilt.
Naturgemäß gehören auch die weltlichen Genüsse zur Lebensart von Orvieto. Trattorien, Osterien und Enotheken beleben die Gassen der stillen Stadt, manche sind sogar in den Tuffstein hineingehauen, so zum Beispiel Le Grotte del Funaro, ein unterirdisches Gewölbe, in dem Käse, Salami, Schinken und Schmorgerichte mit lokalen Weinen angeboten werden.
Orvietos Gedächtnis reicht weit zurück in die Jahrhunderte und Jahrtausende. In vorchristlicher Zeit, und auch vor der Eroberung durch die Römer, war Orvieto die heilige Stadt der Etrusker. In der damals Velsna genannten Siedlung wurden besondere religiöse Spiele und raffinierte Ausformungen des Totenkultes zelebriert. Giuseppe della Fina ist der Direktor des Museums Claudio Faina. Das Museum ist in einem Palazzo direkt gegenüber der kunstvollen Fassade des Doms von Orvieto untergebracht und birgt eine der wichtigsten archäologischen Sammlungen Italiens. „Die Grafen Mauro und Eugenio Faina konnten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihrer Leidenschaft für die Antike freien Lauf lassen“, erzählt della Fina, „alle etruskischen Fundstücke, die rund um Orvieto aus der Erde auftauchten oder die im Handel zu erwerben waren, trugen sie in einem Privatmuseum zusammen. Kurz nach der Einigung Italiens im Jahr 1861 existierten noch keine Gesetze, die das archäologische und kulturelle Erbe zum Staatsmonopol deklarierten, und doch landete mit der Zeit der Großteil der Sammlung in öffentlicher Hand.“1954 schenkte Claudio Faina den Palazzo inklusive seiner Sammlung der Stadt Orvieto, und er rief eine Stiftung ins Leben, die das Museum betreibt.
„Zwei in Leder gebundene Notizbücher von Luciano Bonaparte, einem Bruder von Napoleon, sind unsere größten Schätze“, sagt der Museumsdirektor. Der Bruder von Napoleon ließ sich in Cannino in der Nähe der etruskischen Stadt Vulci nieder. Im Jahr 1828 begann er dort mit Ausgrabungen, die eines der großen Abenteuer der italienischen Archäologie des 19. Jahrhunderts wurden. Luciano Bonaparte förderte eine riesige Anzahl von Materialien zutage. Die Fundstücke wurden auf die verschiedensten Museen in Europa und in den Vereinigten Staaten aufgeteilt, damals war es eben noch möglich, Kulturgut in aller Welt zu verkaufen. Und Luciano Bonaparte publizierte seine Ausgrabungen. „In den zwei Notizbüchern erzählt Bonaparte auf Italienisch und Französisch von den Grabungen“, erklärt Giuseppe della Fina hocherfreut.
„In diesen Aufzeichnungen dokumentiert er seinen Handel mit den archäologischen Funden.“
Außergewöhnlich schöne Stücke befinden sich im Museo Claudio Faina: Keramikvasen zeigen Männer und Frauen beim Bankett. Bei den Etruskern waren, anders als später bei den Römern, die Frauen gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft, und das Feiern war ihnen nicht verboten wie in der römischen Kultur.
Im Wein landeten jedoch allerlei heute seltsam anmutende Zutaten. Claudio Bizzarri, dem Leiter der archäologischen Grabungen von Orvieto, lässt der Gedanke an diese kulinarische Vorliebe der Etrusker die Haare zu Berge stehen: „Aus Texten von Homer erfahren wir, dass in den Wein wirklich alles hineingegeben wurde. Angefangen beim Ziegenkäse, der in das Getränk gerieben wurde, bis hin zum Gerstenmehl, das alle Schwebstoffe auf den Boden des Gefäßes sinken ließ.“Wohlhabende Etrusker aßen Rind- und
Schweinefleisch, Wildschwein, Rehe und Hasen. Die Masse der Besitzlosen dagegen ernährte sich hauptsächlich von einem Getreidebrei, der auch heute noch ein zentraler Bestandteil der toskanischen Küche ist – die Minestra di Farro. Die Griechen nannten die Etrusker wegen dieses Eintopfs spöttisch „Breifresser“. Zum Wein der etruskischen Bankett-Eliten wurden rohe Zwiebeln gereicht.
Zeichen der Götter
Das bedeutendste Heiligtum der Etrusker befand sich in der Nähe von Orvieto, Fanum Voltumnae hieß es. Architektur-Elemente aus Terrakotta, die von vielen verschiedenen Gebäuden stammen, wurden bereits zutage gefördert. Die Fanum-Grabung liegt am Fuße des Tufffelsens, etwas außerhalb des Stadtgebietes. Einmal im Jahr kamen die Regenten aller etruskischen Städte beim Fanum zusammen. Märkte, Gladiatorenkämpfe, Pferderennen, Theatervorstellungen und heilige Handlungen sind in den Grabungen belegbar. „Die Etrusker wollten alles, was den Willen der himmlischen – oder auch höllischen – Kräfte verraten konnte, erkennen“, sagt Claudio Bizzarri, „ihnen ging es darum, herauszufinden, ob das, was die Menschen gerade taten, den Göttern gefiel.“Dabei waren die Etrusker äußerst aufmerksam gegenüber den Signalen, die sie aus der Welt, die sie umgab, empfingen, dem Flug der Vögel, der Bewegungen der Wolken, allem, was mit der Natur verbunden ist, Erdbeben, Geräusche und Blitze. Somit lässt sich die Symbiose des Städtchens auf dem Tuffstein mit der Natur schon auf die Etrusker zurückführen. Eine faszinierende Reise durch die Jahrtausende mit erfreulicher Aktualität im Zeitalter des nachhaltigen Tourismus auf der Suche nach der natürlichen Stimmung des Lebens.
Der schnellste Weg nach Orvieto führt über den Flughafen in Rom, von dort aus sind es noch gut 100 Kilometer bis in das umbrische Städtchen.
Weitere Infos zu Reisen in die Region gibt es bei der Italienischen Zentrale für Tourismus (Enit) in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1b/XVI; Telefon 01/505 16 39, https://www.enit.at.
Infos zu Orvieto außerdem unter www.bellaumbria.net/de/orvieto.