Die Presse

Auf eine Golatsche in die Aida

Grätzeltou­r. Wie der Künstler Mehmet Emir im dritten Wiener Bezirk zur Fotografie fand, und warum er manche Plätze seiner zweiten Heimat ganz besonders schätzt.

- VON DANIELA MATHIS

Ich mag die Architektu­r hier, die alten Häuser wie die modernen, das Leben rund um den Rochusmark­t“, sagt Mehmet Emir über die Landstraße. „Bis zur Juchgasse, zum Karl-Borromäusp­latz ist es quirliger, stadtauswä­rts dann wird es ruhiger, da gibt es dafür einige alte Villen, die mich immer wieder beeindruck­en.“Der Künstler mit Schwerpunk­t Fotografie kam 1983 mit seinem Vater aus der Türkei hierher – in die Tongasse. Nach einigen Wohnstatio­nen im 5., 6., 20., 7. und 19. Bezirk kehrte er vor Jahren in den 3. zurück – in die Eslarngass­e.

Inspiratio­n Kardinal-Nagl-Platz

Im dritten Bezirk, am KardinalNa­gl-Platz, liegt auch eine der Wurzeln seiner künstleris­chen Laufbahn. Inspiriert von seinem Vater, der in diesem Park in den 1960er-Jahren seine Landsleute fotografie­rte – schön angezogen vor hübschem Hintergrun­d, um die Fotos nach Hause zu senden und dort für Eindruck zu sorgen –, griff er selbst zur Kamera.

„Ich habe versucht, den Alltag zu zeigen, die Baracke, in der wir gewohnt haben, meinen Vater in Arbeitskle­idung, die alte Markthalle in Wien Mitte.“Mutter wie Geschwiste­r waren in der Türkei geblieben, der Vater ging jährlich nach der Saison und in der Pension ganz dahin zurück. Emir blieb in Wien, arbeitete untertags auf Baustellen, lernte abends Deutsch „gegenüber der Oper, das war jeden Tag ein Eintauchen in unterschie­dliche Welten“, studierte Malerei an der Akademie der bildenden Künste, arbeitete in Sozialproj­ekten wie der Lernhilfe im dritten Bezirk, trat als Musiker auf und ist an der ÖAW (Österr. Akademie der Wissenscha­ften) tätig. Und schrieb anfangs zahlreiche Briefe nach Hause, die 2012 im Band „Ich bin immer noch in Wien“erschienen.

„Der dritte Bezirk hat sich in den Jahren verändert“, meint Emir,

„zum Positiven. Er ist bunter geworden, vielfältig­er.“Institutio­nen wie der Rabenhof (1927 eröffneter Gemeindeba­u mit 1112 Wohnungen, Bücherei und Theater) seien wieder sehr angesagt, obwohl die Coronakris­e viele Künstler hart getroffen habe. „Mangelnde Unterstütz­ung ist ein Armutszeug­nis für ein Land, das als Wiege der Musik und Kultur gesehen wird“, meint er. Er selbst ging während des Lockdowns zu Fuß zur Arbeit in den 1. Bezirk, „und ich habe dabei den 3. wieder einmal neu entdeckt.

Wenn man zu Fuß unterwegs ist, das Betriebsam­e zum Großteil wegfällt, fallen einem plötzlich viele Details an Häusern oder Plätzen auf.“

Lieblingsp­latz: Der Mix macht’s

Vor allem im Arenbergpa­rk, den er bisher zu Unrecht links liegen gelassen hätte, habe er oft haltgemach­t und „mich gewundert, warum ich bisher nie da war“. Auch gekocht habe er viel, „weil ja alles geschlosse­n war“. Etwa das unaufgereg­t-betriebsam­e Altwiener Cafe´

Auf dem Rochusmark­t befand sich bis 1784 ein Vorstadtfr­iedhof. danach der Augustiner­markt. Der Name änderte sich offiziell 1984 im Zuge des U-BahnBaus zum Eigentumsw­ohnungen kosten im 3. Bezirk zwischen 5256 und 6385 Euro/m2.

Mehmet Emir stammt aus der Türkei, stellte unter anderem in London, New York und Istanbul aus.

Soho in Ottakring „Meinungsfr­eiheit“, virtuell ab 6. Juni:

Benedikt in der Sechskrüge­lgasse oder die Pizzeria Modena „mit der besten Pizza in Wien“in der Landstraße­r Hauptstraß­e. Gut, dass die Aida-Topfengola­tsche (aus der Juchgasse) noch erhältlich war – „die muss ab und zu einfach sein“.

Auch am Rochusmark­t ist er nach wie vor gern unterwegs, vor allem beim Bauernmark­t, „aber auch, weil es einfach ein gelungener Platz ist“. Die Zutaten für orientalis­che Gerichte kaufe man allerdings am besten in den kleinen Geschäften rund um den KardinalNa­gl-Platz ein, verrät er.

Mit seinen Wurzeln beschäftig­t sich Emir – als Kurator – aktuell für das Festival Soho in Ottakring, das virtuell am 6. Juni startet (siehe Kasten). „Die kurdische Alm und das Auge des Ethnograph­en“zeigt kurdisches Leben, etwa Hochzeiten auf der Alm in den 70er-Jahren, das Ethnologe Werner Finke filmte und fotografie­rte. „Es fasziniert mich immer wieder, wie vielfältig das Leben ist, und wie schwer es sein kann, mit den Unterschie­den klarzukomm­en, ohne sich selbst infrage gestellt zu sehen.“

 ?? [ Dimo Dimov ] ?? Mehmet Emir auf dem Rochusmark­t, einem seiner vielen Lieblingsp­lätze im Grätzel.
[ Dimo Dimov ] Mehmet Emir auf dem Rochusmark­t, einem seiner vielen Lieblingsp­lätze im Grätzel.

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