Auf eine Golatsche in die Aida
Grätzeltour. Wie der Künstler Mehmet Emir im dritten Wiener Bezirk zur Fotografie fand, und warum er manche Plätze seiner zweiten Heimat ganz besonders schätzt.
Ich mag die Architektur hier, die alten Häuser wie die modernen, das Leben rund um den Rochusmarkt“, sagt Mehmet Emir über die Landstraße. „Bis zur Juchgasse, zum Karl-Borromäusplatz ist es quirliger, stadtauswärts dann wird es ruhiger, da gibt es dafür einige alte Villen, die mich immer wieder beeindrucken.“Der Künstler mit Schwerpunkt Fotografie kam 1983 mit seinem Vater aus der Türkei hierher – in die Tongasse. Nach einigen Wohnstationen im 5., 6., 20., 7. und 19. Bezirk kehrte er vor Jahren in den 3. zurück – in die Eslarngasse.
Inspiration Kardinal-Nagl-Platz
Im dritten Bezirk, am KardinalNagl-Platz, liegt auch eine der Wurzeln seiner künstlerischen Laufbahn. Inspiriert von seinem Vater, der in diesem Park in den 1960er-Jahren seine Landsleute fotografierte – schön angezogen vor hübschem Hintergrund, um die Fotos nach Hause zu senden und dort für Eindruck zu sorgen –, griff er selbst zur Kamera.
„Ich habe versucht, den Alltag zu zeigen, die Baracke, in der wir gewohnt haben, meinen Vater in Arbeitskleidung, die alte Markthalle in Wien Mitte.“Mutter wie Geschwister waren in der Türkei geblieben, der Vater ging jährlich nach der Saison und in der Pension ganz dahin zurück. Emir blieb in Wien, arbeitete untertags auf Baustellen, lernte abends Deutsch „gegenüber der Oper, das war jeden Tag ein Eintauchen in unterschiedliche Welten“, studierte Malerei an der Akademie der bildenden Künste, arbeitete in Sozialprojekten wie der Lernhilfe im dritten Bezirk, trat als Musiker auf und ist an der ÖAW (Österr. Akademie der Wissenschaften) tätig. Und schrieb anfangs zahlreiche Briefe nach Hause, die 2012 im Band „Ich bin immer noch in Wien“erschienen.
„Der dritte Bezirk hat sich in den Jahren verändert“, meint Emir,
„zum Positiven. Er ist bunter geworden, vielfältiger.“Institutionen wie der Rabenhof (1927 eröffneter Gemeindebau mit 1112 Wohnungen, Bücherei und Theater) seien wieder sehr angesagt, obwohl die Coronakrise viele Künstler hart getroffen habe. „Mangelnde Unterstützung ist ein Armutszeugnis für ein Land, das als Wiege der Musik und Kultur gesehen wird“, meint er. Er selbst ging während des Lockdowns zu Fuß zur Arbeit in den 1. Bezirk, „und ich habe dabei den 3. wieder einmal neu entdeckt.
Wenn man zu Fuß unterwegs ist, das Betriebsame zum Großteil wegfällt, fallen einem plötzlich viele Details an Häusern oder Plätzen auf.“
Lieblingsplatz: Der Mix macht’s
Vor allem im Arenbergpark, den er bisher zu Unrecht links liegen gelassen hätte, habe er oft haltgemacht und „mich gewundert, warum ich bisher nie da war“. Auch gekocht habe er viel, „weil ja alles geschlossen war“. Etwa das unaufgeregt-betriebsame Altwiener Cafe´
Auf dem Rochusmarkt befand sich bis 1784 ein Vorstadtfriedhof. danach der Augustinermarkt. Der Name änderte sich offiziell 1984 im Zuge des U-BahnBaus zum Eigentumswohnungen kosten im 3. Bezirk zwischen 5256 und 6385 Euro/m2.
Mehmet Emir stammt aus der Türkei, stellte unter anderem in London, New York und Istanbul aus.
Soho in Ottakring „Meinungsfreiheit“, virtuell ab 6. Juni:
Benedikt in der Sechskrügelgasse oder die Pizzeria Modena „mit der besten Pizza in Wien“in der Landstraßer Hauptstraße. Gut, dass die Aida-Topfengolatsche (aus der Juchgasse) noch erhältlich war – „die muss ab und zu einfach sein“.
Auch am Rochusmarkt ist er nach wie vor gern unterwegs, vor allem beim Bauernmarkt, „aber auch, weil es einfach ein gelungener Platz ist“. Die Zutaten für orientalische Gerichte kaufe man allerdings am besten in den kleinen Geschäften rund um den KardinalNagl-Platz ein, verrät er.
Mit seinen Wurzeln beschäftigt sich Emir – als Kurator – aktuell für das Festival Soho in Ottakring, das virtuell am 6. Juni startet (siehe Kasten). „Die kurdische Alm und das Auge des Ethnographen“zeigt kurdisches Leben, etwa Hochzeiten auf der Alm in den 70er-Jahren, das Ethnologe Werner Finke filmte und fotografierte. „Es fasziniert mich immer wieder, wie vielfältig das Leben ist, und wie schwer es sein kann, mit den Unterschieden klarzukommen, ohne sich selbst infrage gestellt zu sehen.“