Forschen, nicht nur ausstellen!
Österreichische Kunst. Während die ganze Welt Wien um 1900 feiert, wird dieses Gebiet gerade am Wiener Institut für Kunstgeschichte „stiefmütterlich behandelt“, so eine lauter werdende Kritik. Das sieht man dort ganz und gar nicht so.
Die Kritik am Wiener Umgang mit Leben und Werk Gustav Klimts wird lauter.
RECHTSPANORAMA
Die Eröffnung der Albertina Modern mit einem erstmals derart umfassend gegebenen Überblick zur österreichischen Nachkriegskunst macht das Thema aktueller denn je: Die österreichische Kunstgeschichte ist zu wenig erforscht. Nicht nur seit 1945, sondern seit dem Biedermeier. Die Wiener Museen sowie der Wiener Kunsthandel folgen zwar sehr wohl dem großen, auch internationalen Interesse und programmieren dazu seit Jahren eine Ausstellung nach der anderen. Doch bleiben sie dabei relativ allein, es folgt keine mit ähnlicher Verve aufgenommene wissenschaftliche Beschäftigung, vor allem am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien. Was sich in Lehrangebot wie in Abschlussarbeiten spiegelt.
Kritik daran kommt seit Jahren von Kunstmarkt und Museumsszene – denn die Suche nach spezialisiertem Nachwuchs samt Publikationen gestaltet sich immer schwieriger. Was auch Auswirkungen auf die Käuferschaft hat, die so den Einordnungen des Kunsthandels bei weniger bekannten, „wiederentdeckten“Künstlern ausgeliefert ist – also am Ende Werbetexten, wenn auch oft gut, sogar pionierhaft recherchiert.
„Es ist kein Geheimnis, dass ein eigenes Ordinariat für österreichische Kunstgeschichte nötig wäre“, so Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder zur „Presse“. „Um unsere Kunstgeschichte wird sich sonst niemand kümmern, die Deutschen, die Franzosen, die Amerikaner betreiben die jeweils eigene.“Zwar bezweifle er nicht, dass verschiedene Teile der Wiener Kunstgeschichte in der aktuellen Lehre vorkommen. Aber es fehle sowohl systematische Verankerung als auch Professoren bzw. Mitarbeiter, die sich mit Leidenschaft österreichischen Spezifika widmen, meint Schröder.
Schwerpunkte Asien und Islam
Ein Blick auf die online aufgelisteten Schwerpunkte des immerhin größten Kunstgeschichte-Instituts Europas lässt das erahnen: Moderne und Gegenwartskunst Europas und Amerikas, barocke Kunst und Kultur Mitteleuropas und Italiens, mittelalterliche Kunst und vormoderne Medienkultur sowie die islamische Kunst Westasiens und des Balkans wie auch die Kunst Ostasiens, vor allem Chinas. Ein Durchkämmen der vergangenen Vorlesungsverzeichnisse bestärkt die Ahnung – nur punktuell kommen österreichische Themen vor, vor allem in kleineren Lehrveranstaltungen, aktuell etwa Valie Export und der soziale Wohnbau.
Das eine solle das andere nicht verdrängen, meint Schröder dazu, aber es bestehe „enormer Ergänzungsbedarf“. Er würde davor warnen, „die österreichische Kunstgeschichte wie Heimatkunde zu behandeln. Dafür ist sie zu wichtig, weil auch eben in den Museumssammlungen verortet – in denen sich die universitären Schwerpunkte Byzantinismus, islamische Kunst und Asien nicht in annähernd vergleichbarem Ausmaß widerspiegeln.“
Die manchmal geäußerte Häme, dieses höfliche Desinteresse des Instituts liege an den mittlerweile überwiegend aus Deutschland bzw. der Schweiz stammenden Professoren, teilt er nicht. Nur: „Ein Aufsatz über eine islamische Schale hat vielleicht nicht den Einfluss, den etwa die Forschung von Figuren wie einst Renate Wagner-Rieger aufs Wiener Stadtbild hatten.“In den 1960erund 1970er-Jahren hatte das Wiener Kunstgeschichte-Institut noch „gesellschaftliche Macht und Autorität“, erinnert sich Schröder. Was daran lag, dass man sich darauf bezog, was in diesem Land an Substanz vorhanden ist. Das Wissen konnte dadurch unmittelbar angewendet werden.
Ohne bösen Willen, meint der AlbertinaDirektor, habe man beim Verfolgen eines „falsch verstandenen Internationalismus“übersehen, die österreichische Kunstgeschichte zu betreuen. Die sei allerdings nicht nur eine der Zweiten Republik, „sondern die Kunstgeschichte eines damaligen Kaiserreichs“.
Noch werden Nachlässe bewahrt
In dieses Horn bläst auch KunstgeschichteProfessor in Martina Pippal:„M an muss die österreichische Kunstgeschichte in größerem Zusammenhang sehen – ein Schwerpunkt sollten Zentraleuropa und Österreich sein.“Ohne die ungarischen Entwicklungen sei etwa der Historismus oder der Stimmungsrealismus in Wien nicht zu verstehen. Pippal betreut, obwohl ihr eigentliches Spezialgebiet Mittelalter ist, die meisten Abschlussarbeiten österreichischer Kunstgeschichte der Moderne. „Anlass dafür, dass ich das ankurbelte, war, als vor 20 Jahren im Kunsthandel plötzlich Künstler gehypt wurden, über die es keine wissenschaftlichen Arbeiten gab. Von vielen dieser Künstler, der Zwischenkriegszeit etwa, bewahren die Enkel heute noch ganze unerforschte Nachlässe.“Daher, so Pippal, wäre es wichtig, das jetzt aufzuarbeiten – „bevor sich alles zerstreut“.
Demnächst geht Pippal allerdings in Pension – so wie ihre Kollegin Ingeborg Schemper es schon ist und Monika Dachs es ebenfalls bald sein wird. Diese drei betreuten aber den Großteil der Abschlussarbeiten zur österreichischen Kunstgeschichte. Zum Vergleich: Beim Professor für neueste Kunstgeschichte finden sich in der Liste der von ihm betreuten Arbeiten seit acht Jahren nur drei mit österreichischem Thema, zwei davon allein zu Maria Lassnig. Pippals Sorge, „ob die Betreuung von Themen auf diesem Gebiet in dem Ausmaß noch möglich sein wird, wenn wir alle drei weg sind“, wirkt also durchaus nachvollziehbar.
Experten wie Natter schrieben Briefe
Dazu gab es sogar bereits einen Termin mit der für die Lehre zuständigen UniversitätsVizerektorin Christa Schnabl, initiiert von den „Freunden des Hagenbunds“, einem Verein, der sich um das Erbe dieser Wiener Künstlervereinigung um 1900 bemüht. Derzeit ist man hier sehr aktiv um dieses Thema bemüht. Obmann Peter Sroubek: „Wir glauben, dass diese Zeit von 1900 bis 1938 sehr stiefmütterlich behandelt wird, noch dazu, wenn all diese Professorinnen in Pension gehen.“Motiviert davon, haben auch bereits Fachleute wie Rainald Franz aus dem MAK oder Klimt-Spezialist Tobias Natter zu dem Thema Briefe an den derzeitigen Vorsitzenden des Instituts, Asien-Fachmann Lukas Nickel, geschrieben.
Von der „Presse“darauf angesprochen, versteht dieser die Sorge, auf dem Gebiet schlecht aufgestellt zu sein, „gar nicht“. Österreichische Kunst sei sogar breit vertreten, meint Nickel, komme auch in der Überblicksvorlesung „natürlich vor“. Wobei in denen der vergangenen Jahren, wie „Presse“Recherchen ergaben, etwa der Name Klimt nur als Art Fußnote bei Rodin aufscheint, Gerstl oder die Wiener Werkstätte gar nicht existieren. Was Nickel allerdings teilt, sei der prinzipielle Wunsch, eine eigene Professur für österreichische Kunstgeschichte einzurichten, eine solche stehe sogar dezidiert im Entwicklungsplan des Instituts: „Das wäre sehr schön, aber so einfach ist es leider nicht, neue Stellen zu bekommen. Das ist die Entscheidung von Fakultät und Rektor.“