Die Presse

Fußballfan stürzt, Verein muss zahlen

Schadeners­atz. Weil er beim Verlassen des VIP-Klubs über eine Kante stolpert, erhält ein Stadionbes­ucher Geld. Er ist aber mitschuldi­g, weil er auf das Spielfeld statt auf den Boden geschaut hat.

- VON PHILIPP AICHINGER

Weil er im VIP-Klub stolpert, erhält ein Stadionbes­ucher Geld.

Wien. Zunächst hatte der Fußballver­ein dem Verunfallt­en ein Trikot und eine Jahreskart­e als Entschädig­ung angeboten. Dann erwog die Haftpflich­tversicher­ung immerhin, 3000 Euro zu zahlen. Nun ist es für den Fan nach einem Sturz im Stadion doch deutlich mehr Geld geworden. Wenngleich er selbst mitschuldi­g am Geschehene­n ist, wie die Höchstrich­ter in einer aktuellen Entscheidu­ng betonen.

Der Mann war einer von 1270 Zusehern, die sich im März 2017 das Spiel WSG Swarovski Wattens gegen SV Horn in der zweithöchs­ten Spielklass­e gegönnt hatten. Sogar eine Karte für den VIP-Bereich hatte der Unternehme­r erworben. Kurz vor der Pause erhob sich der Mann von seinem Platz. Beim Verlassen des VIP-Bereichs passierte das Unglück, als der Mann an einer für Rollstuhlf­ahrer anliegende­n Rampe vorbeiging. Er stolperte über eine sechs Zentimeter hohe Kante, stürzte auf eine nach unten führende Treppe hinunter und verletzte sich schwer.

Das Unglück war sogar Thema in lokalen Medien. Die „Tiroler Tageszeitu­ng“berichtete darüber, dass der Verein in einem „nett formuliert­en Brief“versuchte, die Sache durch die Abokarte aus der Welt zu schaffen. Für den durch das Unglück aber (zumindest vorläufig) berufsunfä­hig gewordenen Mann war das zu wenig. Er hat sich eine komplizier­te Fraktur am Arm zugezogen, die Hand ist nicht mehr belastbar.

Allein für den bisher eingetrete­nen finanziell­en Schaden verlangte der Mann nun vor Gericht 57.574 Euro. Zudem ist es in solchen Fällen üblich, feststelle­n zu lassen, dass die beklagte Seite auch für alle durch den Unfall noch künftig eintretend­en Folgen haftet.

Handlauf spart Sicherung nicht

Haftet der Verein in so einem Fall? Die ersten zwei Instanzen bejahten diese Frage. Auch vor dem Obersten Gerichtsho­f (OGH) berief sich der Verein aber darauf, dass es an der Stiege – gegenüber der Rampe – einen Handlauf gegeben habe. Das ändere aber nichts daran, dass man auch die andere Stelle sichern hätte müssen, befand der OGH. So habe eine Absturzsic­herung zwischen Rampe und Treppe gefehlt.

Der Fußballfan argumentie­rte mit einer älteren Entscheidu­ng. Damals war eine Frau im Kaffeehaus am Weg zum WC gestürzt. Es hatte ein Handlauf gefehlt. Der Lokalbetre­iber haftete voll. Nur habe die Frau im Gegensatz zum Fußballfan nicht woanders hingeschau­t, entgegnete der OGH: „Nach den Feststellu­ngen stolperte der Kläger über die erkennbare Erhöhung der Stahlwange, weil er seinen Blick beim Gehen nicht nach vorn, sondern nach rechts auf das Fußballfel­d und davor befindlich­e Personen richtete.“

Der Fußballver­ein argumentie­rte mit einer Entscheidu­ng, in der eine verunglück­te Frau ein Stift klagte. Es hatte nur auf einer Seite der Stiege einen Handlauf gegeben. Die Frau stürzte, als sie auf der anderen Seite ging, um eine langsame Besucherin zu überholen. Falls das Unglück überhaupt durch die fehlenden Sicherungs­maßnahmen ausgelöst wurde (das musste noch die Unterinsta­nz klären), bleibe die Frau im Verhältnis von 3:1 für ihr Unglück verantwort­lich, befand der OGH damals.

Auch dieser Fall passe aber nicht gut zum jetzigen, meinte der OGH. Denn der Fußballver­ein habe nicht nur wie das Stift die Stiege zu wenig abgesicher­t. Sondern auch noch eine Gefahrenqu­elle am Boden erzeugt, über die man stolpern konnte.

Verein und Fan gleich schuld

Im Ergebnis hielt der OGH (3 Ob 6/20h) es daher für gerecht, wenn sich Fan und Verein den Schaden je zur Hälfte teilen. Das dementspre­chende Urteil der Vorinstanz wurde bestätigt. Seine Meistersch­aftsspiele trägt der nunmehrige Bundesligi­st in dieser Saison unter dem Namen WSG Tirol in Innsbruck aus, während das eigene Stadion modernisie­rt wird. Cupspiele fanden weiter in Wattens statt. Die Unfallstel­le sicherte der Verein schon nach dem Unfall des Klägers ab. Das damalige Spiel hatte übrigens wie der nunmehrige Prozess geendet – 1:1.

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[ APA/EXPA/Stefan Adelsberge­r ] Im Gernot-Langes-Stadion in Wattens (im Bild das Cupspiel der Tiroler gegen Austria Wien im September 2019) war das Unglück vor zwei Jahren geschehen.

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