Beendet Corona das Öl-Zeitalter?
Die Krise hat den Ölpreis in den Keller geschickt, die Nachfrage wird sich nur langsam erholen. Der Energiebedarf könnte anders gedeckt werden.
Istanbul/Wien. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Öl ist und bleibt der wichtigste Energieträger der Welt. Doch die Coronakrise könnte den Energiemarkt dauerhaft verändern. Zumindest gglaubt das Saad al-Kuwari, der Chef des Öl-Marketing-Unternehmens Tasweeq in Katar. Erneuerbare Energiequellen sieht er als die voraussichtlichen Gewinner der Pandemie.
Denn Veränderungen der Arbeitswelt, wie der Boom für Online-Arbeit und Videokonferenzen, könnten auf Dauer den Ölverbrauch senken, weil sie Fahrten zum Büro und Geschäftsreisen überflüssig machen. Große Unternehmen wie Facebook wollen Zehntausenden Mitarbeitern erlauben, für immer von zu Hause aus zu arbeiten.
Die Nachfrage nach Öl wird auf absehbare Zeit durch die weltweite Corona-Rezession gebremst und dürfte nur langsam wieder auf das Niveau von vor der Krise klettern. Die internationale Energiebehörde IEA rechnet damit, dass die Nachfrage im laufenden Jahr im Vergleich zu 2019 um acht Prozent einbrechen wird. Der Markt wird laut IEA erst in der zweiten Hälfte des kom
menden Jahres wieder so viel Öl nachfragen wie vor der Krise. Die Investmentbank Goldman Sachs erwartet sogar, dass der Verbrauch erst Ende 2022 wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Kingsmill Bond von der Energie-Denkfabrik Carbon Tracker sieht die Erholung gar in noch weiterer Ferne: Erst 2028 soll sich der Stand auf dem VorCorona-Level stabilisieren.
Ein Doppelschlagp schickte in diesem Frühjahr den Ölpr eis in den Keller: Während die Weltwirtschaft wegen der Krise in die Rezession abrutschte und die Nachfrage nach Öl so drastisch sank, dass die Lager überquollen, lieferten sich Saudiarabien und Russland einen ruinösen Preiskrieg. Zeitweise mussten Verkäufer draufzahlen, um ihr Öl loszuwerden. Nun ist der Ölpreis zum ersten Mal seit März kurzzeitig wieder über die Marke von 40 Dollar pro Fass (159 Liter) geklettert. Nach dem Schock des Frühjahrs gab es zuletzt deutliche Anzeichen einer Besserung. Die Nachfrage aus China steigt mit der Erholung der dortigen Wirtschaft, und Saudiarabien und Russland sind bereit, ihre Produktion auch weiterhin zu drosseln, um den Preis zu stützen.
Förderung wird gedrosselt
Erst am Samstag einigte sich die Organisation Erdölexportierender Länder (Opec) und ihre Kooperationspartner (Opec+) darauf, ihre Produktion bis Ende Juli herunterzufahren. „Wir sind noch nicht aus dem Schneider, und die Herausforderungen bleiben“, sagte der saudiarabische Energieminister Prinz Abdulaziz bin Salman. Beobachter erwarten, dass die Einigung am Montag wohlwollend von den Märkten aufgenommen wird. Die Ölstaaten hatten sich sich bereits im April darauf verständigt, im Mai und Juni täglich fast zehn Millionen Fass (je 159 Liter) weniger Öl aus dem Boden zu holen, was zehn Prozent der globalen Fördermenge entspricht.
Vorerst müssen Ölproduzenten also die Förderung senken, doch Ölquellen können nicht wie Lichtschalter aus- und dann wieder eingeschaltetg werden. Ein Neustart der Ölförder ung nach Stilllegung einer Anlage kann viel Geld kosten – was die Verluste eines Unternehmens verschlimmern kann. Die Krise behindert zudem Neuinvestitionen. In den USA, wo viel Öl aus Ölschiefer gewonnen wird, brauchen Firmen einen Ölpreis von rund 50 Dollar pro Fass, damit sich die Erschließung eines neuen Ölfelds lohnt. Deshalb haben viele Ölförderstaaten auch nur bedingt Interesse an einem stark steigenden Preis, selbst wenn ihre Staatseinnahmen darunter leiden. Denn sie wollen verhindern, dass die Unternehmen im zuletzt weltgrößten Ölförderland USA wieder auf die Beine kommen.
Politiker wollen Abschied
Aber selbst wenn der Ölhahn eines Tages dank einer Erholung der Weltwirtschaft wieder voll aufgedreht werden kann, heißt das nicht, dass für die Ölindustrie wieder alles in Ordnung ist. Denn künftig wird der Energiebedarf möglicherweise anders gedeckt. Deutschland und andere Länder wollen die Krise nutzen, um ihre Volkswirtschaften besser auf den Klimawandel einzustellen. Das Nein zu einer Kaufprämie für Benzinund Dieselautos im neuen Konjunkturpaket der Bundesregierung ist ein Beispiel dafür. Überall auf der Welt wollen Politiker den Abschied vom Öl einleiten. Die Pandemie sei eine einmalige Gelegenheit, eine „saubere“Wirtschaft mit vielen neuen Arbeitsplätzen zu schaffen, schrieb der neuseeländische Klimaminister James Shaw in einem Beitrag für das Klimaportalp Climate Change News.
Der Übergang wird aber Jahre dauern und könnte durch kleinere Ölbooms unterbrochen werden. So verweisen Expertenp darauf, dass die derzeit niedrigen Ölpreise die Umstellung auf eine grünere Energiepolitik bremsen können. Ex-BP-Chef John Browne sagte der „Financial Times“, die Coronakrise werfe zwar ein Schlaglichtg auf die schwierige Zukunft der Ölindustrie. Doch auch andere umstrittene Branchen könnten sich trotz großer Kritik an ihren umwelt- und gesundheitlichen Nachteilen halten.
Eine Rückkehr zu der Zeit vor Corona ist für die Ölindustrie aber schwer vorstellbar. Einigeg Fachleute nehmen deshalb an, dass die Ölnachfrage ihren Höhepunkt überschritten hat. Die IEA erwartete diesen Gipfel erst für das kommende Jahrzehnt. Carbon-Tracker-Experte Bond glaubt dagegen, dass Corona den Wendepunkt schon gebracht hat: „Dem fossilen Sektor hat das letzte Stündlein geschlagen.“