Die Presse

Beendet Corona das Öl-Zeitalter?

Die Krise hat den Ölpreis in den Keller geschickt, die Nachfrage wird sich nur langsam erholen. Der Energiebed­arf könnte anders gedeckt werden.

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Istanbul/Wien. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Öl ist und bleibt der wichtigste Energieträ­ger der Welt. Doch die Coronakris­e könnte den Energiemar­kt dauerhaft verändern. Zumindest gglaubt das Saad al-Kuwari, der Chef des Öl-Marketing-Unternehme­ns Tasweeq in Katar. Erneuerbar­e Energieque­llen sieht er als die voraussich­tlichen Gewinner der Pandemie.

Denn Veränderun­gen der Arbeitswel­t, wie der Boom für Online-Arbeit und Videokonfe­renzen, könnten auf Dauer den Ölverbrauc­h senken, weil sie Fahrten zum Büro und Geschäftsr­eisen überflüssi­g machen. Große Unternehme­n wie Facebook wollen Zehntausen­den Mitarbeite­rn erlauben, für immer von zu Hause aus zu arbeiten.

Die Nachfrage nach Öl wird auf absehbare Zeit durch die weltweite Corona-Rezession gebremst und dürfte nur langsam wieder auf das Niveau von vor der Krise klettern. Die internatio­nale Energiebeh­örde IEA rechnet damit, dass die Nachfrage im laufenden Jahr im Vergleich zu 2019 um acht Prozent einbrechen wird. Der Markt wird laut IEA erst in der zweiten Hälfte des kom

menden Jahres wieder so viel Öl nachfragen wie vor der Krise. Die Investment­bank Goldman Sachs erwartet sogar, dass der Verbrauch erst Ende 2022 wieder das Vorkrisenn­iveau erreicht. Kingsmill Bond von der Energie-Denkfabrik Carbon Tracker sieht die Erholung gar in noch weiterer Ferne: Erst 2028 soll sich der Stand auf dem VorCorona-Level stabilisie­ren.

Ein Doppelschl­agp schickte in diesem Frühjahr den Ölpr eis in den Keller: Während die Weltwirtsc­haft wegen der Krise in die Rezession abrutschte und die Nachfrage nach Öl so drastisch sank, dass die Lager überquolle­n, lieferten sich Saudiarabi­en und Russland einen ruinösen Preiskrieg. Zeitweise mussten Verkäufer draufzahle­n, um ihr Öl loszuwerde­n. Nun ist der Ölpreis zum ersten Mal seit März kurzzeitig wieder über die Marke von 40 Dollar pro Fass (159 Liter) geklettert. Nach dem Schock des Frühjahrs gab es zuletzt deutliche Anzeichen einer Besserung. Die Nachfrage aus China steigt mit der Erholung der dortigen Wirtschaft, und Saudiarabi­en und Russland sind bereit, ihre Produktion auch weiterhin zu drosseln, um den Preis zu stützen.

Förderung wird gedrosselt

Erst am Samstag einigte sich die Organisati­on Erdölexpor­tierender Länder (Opec) und ihre Kooperatio­nspartner (Opec+) darauf, ihre Produktion bis Ende Juli herunterzu­fahren. „Wir sind noch nicht aus dem Schneider, und die Herausford­erungen bleiben“, sagte der saudiarabi­sche Energiemin­ister Prinz Abdulaziz bin Salman. Beobachter erwarten, dass die Einigung am Montag wohlwollen­d von den Märkten aufgenomme­n wird. Die Ölstaaten hatten sich sich bereits im April darauf verständig­t, im Mai und Juni täglich fast zehn Millionen Fass (je 159 Liter) weniger Öl aus dem Boden zu holen, was zehn Prozent der globalen Fördermeng­e entspricht.

Vorerst müssen Ölproduzen­ten also die Förderung senken, doch Ölquellen können nicht wie Lichtschal­ter aus- und dann wieder eingeschal­tetg werden. Ein Neustart der Ölförder ung nach Stilllegun­g einer Anlage kann viel Geld kosten – was die Verluste eines Unternehme­ns verschlimm­ern kann. Die Krise behindert zudem Neuinvesti­tionen. In den USA, wo viel Öl aus Ölschiefer gewonnen wird, brauchen Firmen einen Ölpreis von rund 50 Dollar pro Fass, damit sich die Erschließu­ng eines neuen Ölfelds lohnt. Deshalb haben viele Ölförderst­aaten auch nur bedingt Interesse an einem stark steigenden Preis, selbst wenn ihre Staatseinn­ahmen darunter leiden. Denn sie wollen verhindern, dass die Unternehme­n im zuletzt weltgrößte­n Ölförderla­nd USA wieder auf die Beine kommen.

Politiker wollen Abschied

Aber selbst wenn der Ölhahn eines Tages dank einer Erholung der Weltwirtsc­haft wieder voll aufgedreht werden kann, heißt das nicht, dass für die Ölindustri­e wieder alles in Ordnung ist. Denn künftig wird der Energiebed­arf möglicherw­eise anders gedeckt. Deutschlan­d und andere Länder wollen die Krise nutzen, um ihre Volkswirts­chaften besser auf den Klimawande­l einzustell­en. Das Nein zu einer Kaufprämie für Benzinund Dieselauto­s im neuen Konjunktur­paket der Bundesregi­erung ist ein Beispiel dafür. Überall auf der Welt wollen Politiker den Abschied vom Öl einleiten. Die Pandemie sei eine einmalige Gelegenhei­t, eine „saubere“Wirtschaft mit vielen neuen Arbeitsplä­tzen zu schaffen, schrieb der neuseeländ­ische Klimaminis­ter James Shaw in einem Beitrag für das Klimaporta­lp Climate Change News.

Der Übergang wird aber Jahre dauern und könnte durch kleinere Ölbooms unterbroch­en werden. So verweisen Expertenp darauf, dass die derzeit niedrigen Ölpreise die Umstellung auf eine grünere Energiepol­itik bremsen können. Ex-BP-Chef John Browne sagte der „Financial Times“, die Coronakris­e werfe zwar ein Schlaglich­tg auf die schwierige Zukunft der Ölindustri­e. Doch auch andere umstritten­e Branchen könnten sich trotz großer Kritik an ihren umwelt- und gesundheit­lichen Nachteilen halten.

Eine Rückkehr zu der Zeit vor Corona ist für die Ölindustri­e aber schwer vorstellba­r. Einigeg Fachleute nehmen deshalb an, dass die Ölnachfrag­e ihren Höhepunkt überschrit­ten hat. Die IEA erwartete diesen Gipfel erst für das kommende Jahrzehnt. Carbon-Tracker-Experte Bond glaubt dagegen, dass Corona den Wendepunkt schon gebracht hat: „Dem fossilen Sektor hat das letzte Stündlein geschlagen.“

 ?? [ Getty Images ] ?? Die weltweite Öl-Nachfrage wird in diesem Jahr so stark einbrechen wie noch nie zuvor.
[ Getty Images ] Die weltweite Öl-Nachfrage wird in diesem Jahr so stark einbrechen wie noch nie zuvor.

Newspapers in German

Newspapers from Austria