Heikler Protest in Pandemiezeiten
Black-Lives-Protest. Die Demos haben für viel Zuspruch gesorgt – und für Sorgen, angesichts der Corona-Lage. Wer muss hier eingreifen? Polizei, Ministerium und Länder spielen sich den Ball zu.
Wien. Weltweit sind in den vergangenen Tagen zehntausende Menschen zusammengekommen, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Auch in Österreich: Hier wurden am Wochenende, nach zwei Großdemonstrationen in Wien vorigen Donnerstag und Freitag, die Länder zu den Schauplätzen des Geschehens: Aus Graz wurden 10.000 Teilnehmer gemeldet, aus Salzburg 4000, in Linz nahmen 3000 Menschen an der Kundgebung unter dem Motto „Black Lives Matter“teil – und auch in Innsbruck, Bregenz und Klagenfurt demonstrierten Tausende.
Die Slogans ähneln einander weltweit, wie auch die Bilder: Demonstranten, oft sehr junge, großteils tragen sie Mund-Nase-Masken – Abstände halten können sie kaum. Und so sorgt die Protestwelle gegen Rassismus neben viel Zuspruch auch für Sorgen, sie könnte zu einer neuen Infektionswelle führen.
Wie kann Protest in Zeiten der Pandemie aussehen? Und wer soll etwaige Auflagen durchsetzen? Zuletzt wurde vielfach der Ruf nach klaren Vorgaben laut. Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) will solche erarbeiten, dazu hat er für Montag zu einem Runden Tisch geladen, an dem Vertreter der Stadt Wien, der Polizei, der Gesundheitsbehörde, des Ministeriums und Demo-Veranstalter teilnehmen werden. Ziel sei, sicherzustellen, dass demonstriert werden kann – aber ein Schutz vor einer Coronavirus-Ausbreitung der Pandemie sichergestellt wird.
Allerdings, wer dafür verantwortlich ist, da spielen sich die zuständigen Stellen den Ball zu: „Das Thema ist sehr heikel, deshalb laden wir ein, um das abzustimmen. Aber grundsätzlich liegt die Zuständigkeit nicht bei uns sondern bei den Landessanitätsdirektionen“, heißt es etwa aus dem Ministerium. In der Stadt Wien sieht man das anders, man gibt sich abwartend: „Wir gehen hin und hören uns an, was der Minister zu sagen hat. Demonstrationen sind von den Vorgaben für Veranstaltungen in der Lockerungsverordnung des Bundes klar ausgenommen. Wenn das Ministerium das ändern will, kann es das gerne tun. Werden Abstände nicht eingehalten, kann die Polizei schon bisher strafen“, heißt es am Sonntag aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ).
Eingreifen will niemand
Die Polizei gab sich zuletzt bei diesen Demos auffallend zurückhaltend. Eskalation, Bilder, wie Polizisten in eine Kundgebung gegen Polizeigewalt eingreifen, sollten vermieden werden. Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl hat klargestellt, eine Verwaltungsübertretung, wie ein Nicht-Einhalten des vorgeschriebenen Abstandes, sei kein Grund, eine Versammlung aufzulösen. Auch genehmige die Polizei keine Demonstrationen, diese werden dort nur angemeldet. Ein Untersagen aus Gründen des Gesundheitsschutzes, das müsse von der zuständigen Behörde in der Stadt, der MA 15, ausgehen.
Eingreifen, Einschränkungen durchsetzen, will also niemand, und Demonstrationen zu verbieten ist derzeit ohnehin kein Thema. Der Gesundheitsminister sei „sicher der Letzte“der am Demonstrationsrecht rütteln will, heißt es aus dessen Kabinett. Und: In Städten, in denen zuletzt Black Lives Matter-Demos behördlich untersagt wurden, seien die Infektionszahlen auch ganz andere als in Österreich. Auch zeigen diese Verbote mäßig Wirkung: In Paris etwa demonstrierten zuletzt trotz Verbotes Zehntausende, auch in weiteren Städten Europas wurden Pandemie-Auflagen gebrochen.
„Aber obwohl die Zahlen bei uns sehr gut sind und die Materie heikel ist, wir können das nicht einfach laufen lassen. Wir hatten in den letzten Tagen hatten wieder leicht gestiegene Fallzahlen, auch wenn man das noch nicht auf die Demos zurückführen kann“, heißt es aus dem Ministerium.
Am Sonntag lag die Zahl der aktuell an Covid-19 Erkrankten in Österreich bei 437 Fällen. Binnen 24 Stunden (auf Sonntag) wurden 20 Neuinfektionen registriert, im 24-Stunden-Fenster zuvor waren es 59 Fälle. Ob das mit dem öffentlichen Leben zusammenhängt, das deutlich Fahrt aufnimmt, ist unklar. Schließlich haben nicht nur die Demos für große Zusammenkünfte gesorgt, zuletzt ist in der Stadt, wohl auch wegen des Wetters, weitgehend Normalbetrieb auf Plätzen und Freiflächen eingekehrt. Der Donaukanal etwa wurde am Wochenende einmal mehr zum Schauplatz einer langen frühsommerlichen Open-Air-Party. Sorgen, das könnte neuerliche Infektionen zur Folge haben, sorgten am Wochenende für Debatten. Eine Konsequenz dieser Szenen, ob am Kanalufer oder bei den Demos ist jedenfalls klar: Die Akzeptanz für Corona-Restriktionen bei jenen, die sich denen noch fügen müssen und darunter leiden, schwindet.