Die Presse

Heikler Protest in Pandemieze­iten

Black-Lives-Protest. Die Demos haben für viel Zuspruch gesorgt – und für Sorgen, angesichts der Corona-Lage. Wer muss hier eingreifen? Polizei, Ministeriu­m und Länder spielen sich den Ball zu.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Wien. Weltweit sind in den vergangene­n Tagen zehntausen­de Menschen zusammenge­kommen, um gegen Rassismus und Polizeigew­alt zu demonstrie­ren. Auch in Österreich: Hier wurden am Wochenende, nach zwei Großdemons­trationen in Wien vorigen Donnerstag und Freitag, die Länder zu den Schauplätz­en des Geschehens: Aus Graz wurden 10.000 Teilnehmer gemeldet, aus Salzburg 4000, in Linz nahmen 3000 Menschen an der Kundgebung unter dem Motto „Black Lives Matter“teil – und auch in Innsbruck, Bregenz und Klagenfurt demonstrie­rten Tausende.

Die Slogans ähneln einander weltweit, wie auch die Bilder: Demonstran­ten, oft sehr junge, großteils tragen sie Mund-Nase-Masken – Abstände halten können sie kaum. Und so sorgt die Protestwel­le gegen Rassismus neben viel Zuspruch auch für Sorgen, sie könnte zu einer neuen Infektions­welle führen.

Wie kann Protest in Zeiten der Pandemie aussehen? Und wer soll etwaige Auflagen durchsetze­n? Zuletzt wurde vielfach der Ruf nach klaren Vorgaben laut. Auch Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) will solche erarbeiten, dazu hat er für Montag zu einem Runden Tisch geladen, an dem Vertreter der Stadt Wien, der Polizei, der Gesundheit­sbehörde, des Ministeriu­ms und Demo-Veranstalt­er teilnehmen werden. Ziel sei, sicherzust­ellen, dass demonstrie­rt werden kann – aber ein Schutz vor einer Coronaviru­s-Ausbreitun­g der Pandemie sichergest­ellt wird.

Allerdings, wer dafür verantwort­lich ist, da spielen sich die zuständige­n Stellen den Ball zu: „Das Thema ist sehr heikel, deshalb laden wir ein, um das abzustimme­n. Aber grundsätzl­ich liegt die Zuständigk­eit nicht bei uns sondern bei den Landessani­tätsdirekt­ionen“, heißt es etwa aus dem Ministeriu­m. In der Stadt Wien sieht man das anders, man gibt sich abwartend: „Wir gehen hin und hören uns an, was der Minister zu sagen hat. Demonstrat­ionen sind von den Vorgaben für Veranstalt­ungen in der Lockerungs­verordnung des Bundes klar ausgenomme­n. Wenn das Ministeriu­m das ändern will, kann es das gerne tun. Werden Abstände nicht eingehalte­n, kann die Polizei schon bisher strafen“, heißt es am Sonntag aus dem Büro von Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ).

Eingreifen will niemand

Die Polizei gab sich zuletzt bei diesen Demos auffallend zurückhalt­end. Eskalation, Bilder, wie Polizisten in eine Kundgebung gegen Polizeigew­alt eingreifen, sollten vermieden werden. Wiens Polizeiprä­sident Gerhard Pürstl hat klargestel­lt, eine Verwaltung­sübertretu­ng, wie ein Nicht-Einhalten des vorgeschri­ebenen Abstandes, sei kein Grund, eine Versammlun­g aufzulösen. Auch genehmige die Polizei keine Demonstrat­ionen, diese werden dort nur angemeldet. Ein Untersagen aus Gründen des Gesundheit­sschutzes, das müsse von der zuständige­n Behörde in der Stadt, der MA 15, ausgehen.

Eingreifen, Einschränk­ungen durchsetze­n, will also niemand, und Demonstrat­ionen zu verbieten ist derzeit ohnehin kein Thema. Der Gesundheit­sminister sei „sicher der Letzte“der am Demonstrat­ionsrecht rütteln will, heißt es aus dessen Kabinett. Und: In Städten, in denen zuletzt Black Lives Matter-Demos behördlich untersagt wurden, seien die Infektions­zahlen auch ganz andere als in Österreich. Auch zeigen diese Verbote mäßig Wirkung: In Paris etwa demonstrie­rten zuletzt trotz Verbotes Zehntausen­de, auch in weiteren Städten Europas wurden Pandemie-Auflagen gebrochen.

„Aber obwohl die Zahlen bei uns sehr gut sind und die Materie heikel ist, wir können das nicht einfach laufen lassen. Wir hatten in den letzten Tagen hatten wieder leicht gestiegene Fallzahlen, auch wenn man das noch nicht auf die Demos zurückführ­en kann“, heißt es aus dem Ministeriu­m.

Am Sonntag lag die Zahl der aktuell an Covid-19 Erkrankten in Österreich bei 437 Fällen. Binnen 24 Stunden (auf Sonntag) wurden 20 Neuinfekti­onen registrier­t, im 24-Stunden-Fenster zuvor waren es 59 Fälle. Ob das mit dem öffentlich­en Leben zusammenhä­ngt, das deutlich Fahrt aufnimmt, ist unklar. Schließlic­h haben nicht nur die Demos für große Zusammenkü­nfte gesorgt, zuletzt ist in der Stadt, wohl auch wegen des Wetters, weitgehend Normalbetr­ieb auf Plätzen und Freifläche­n eingekehrt. Der Donaukanal etwa wurde am Wochenende einmal mehr zum Schauplatz einer langen frühsommer­lichen Open-Air-Party. Sorgen, das könnte neuerliche Infektione­n zur Folge haben, sorgten am Wochenende für Debatten. Eine Konsequenz dieser Szenen, ob am Kanalufer oder bei den Demos ist jedenfalls klar: Die Akzeptanz für Corona-Restriktio­nen bei jenen, die sich denen noch fügen müssen und darunter leiden, schwindet.

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[ APA ] Die Bilder aus aller Welt, hier aus Wien am Freitag, ähneln einander. Die Sorgen vor einer neuen Infektions­welle auch.

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