Werden Konzerne gefährlich, wenn sie in den DAX kommen?
Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen löst die Lufthansa im Frankfurter Leitindex ab. Das macht Mietervertretern Sorgen. Je mehr ein Konzern in der Auslage steht, desto weniger kann er es sich leisten, ethische, soziale oder ökologische Aspekte völlig zu
Der bevorstehende Einzug des Berliner Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen in den DAX passiert in Zeiten einer hoch ideologisch geführten Debatte über Miethöhen in Deutschland. Das Unternehmen soll, wie berichtet, die Lufthansa ablösen, die nach 32 Jahren aus dem Frankfurter Leitindex fliegt.
Der Wechsel findet starke Beachtung: Erstmals seit 14 Jahren ist wieder ein Unternehmen aus Berlin im DAX vertreten. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger fordert, dass die Deutsche Wohnen auch ihre Hauptversammlungen in Berlin und nicht wie bisher in Frankfurt abhält – „auch wenn es Proteste geben sollte“.
Denn in Berlin tobt seit Längerem ein heißer Streit über Miethöhen. Mieterschützer werfen der Deutsche Wohnen, die 116.000 Wohnungen in der Hauptstadt hat, und anderen Vermietern vor, hohe Mieten bei Wiedervermietung zu kassieren und wenig in Instandsetzung zu investieren – Vorwürfe, die die Deutsche Wohnen stets zurückgewiesen hat. Schließlich wurde in Berlin eine Mietpreisdeckelung eingeführt, die auch den zweitgrößten deutschen Wohnimmobilienkonzern (nach der Vonovia) zwingt, Mieten zu senken. Die Deutsche Wohnen erwartet dadurch heuer Mietausfälle von neun Mio. Euro und nächstes Jahr 30 Mio. Euro. Angesichts von Gesamtmieterlösen in Höhe von 862 Mio. Euro im Vorjahr sehen die Anleger das gelassen, die Aussicht auf den DAX-Einzug hat der Aktie noch einmal so richtig Schwung verliehen.
Beim Deutschen Mieterbund sieht man jedoch „keinen Grund zur Freude“. Denn jetzt, so fürchtet man, werde der Druck zu Mietsteigerungen wachsen. Das Unternehmen werde noch stärker in den Fokus internationaler Investoren rücken, und diese erwarten hohe Dividenden.
Nun stellt sich die Frage, warum diese Konflikte ausgerechnet durch den DAX-Einzug eskalieren sollten. Zum einen ist die Deutsche Wohnen bereits in ausländischer Hand. Größter Einzelinvestor ist der US-Vermögensverwalter Blackrock mit einem Anteil von zehn Prozent. Bloomberg-Daten zufolge kommt mehr als ein Drittel der Investoren aus den USA, gefolgt von Kanada, Luxemburg, Norwegen, Großbritannien. Erst auf Platz sechs steht Deutschland, wo – wie in Österreich – Aktienbesitz nicht allzu stark verbreitet ist. Allerdings: Über die Fonds sind indirekt viele Kleinanleger an der Deutsche Wohnen beteiligt.
Zum anderen stellt sich die Frage, warum große institutionelle Investoren besonders gierig sein sollten. Immerhin haben sie auf der Hauptversammlung einer Kürzung ihrer Dividende zugestimmt, um Mietern zu helfen, die durch die Coronakrise in Not geraten sind. Dass das nicht völlig uneigennützig passiert sein mag, ist klar.
Es geht auch um den guten Ruf. Und auf den müssen Unternehmen, die in der ersten Börsenliga spielen, stärker achten als andere. Dass rein äußerliche Imagepolitur zu wenig ist, hat der Zahlungsdienstleister Wirecard zu spüren bekommen, der vor zwei Jahren die Commerzbank aus dem DAX verdrängt hat. Dem Unternehmen gelang es nicht, Vorwürfe der Bilanzmanipulation abzuschütteln. Versuche, sich durch eine KPMG-Prüfung reinzuwaschen, gingen nach hinten los (die Wirtschaftsprüfer fanden zwar nichts Belastendes, hatten aber zu wenige Unterlagen zur Verfügung gestellt bekommen). Der Reputation des Unternehmens hat das schwer geschadet, seit dem DAX-Einzug hat sich der Kurs halbiert.
Fazit: Börsenotierte Unternehmen stehen natürlich unter Druck, Erträge zu liefern. Je mehr sie aber, etwa durch einen DAX-Einzug, international in der Auslage stehen, umso weniger können sie es sich leisten, Compliance-, soziale und Umweltbelange völlig zu vernachlässigen.
E-Mails an: beate.lammer@diepresse.com