Zum Reichwerden braucht es Hausverstand
Aktien. Im Unterschied zu Sparbuchsparern tun Aktienanleger gut daran, sich doch etwas mit Wirtschaft und Psychologie zu befassen. Das Wichtigste sind aber nicht Detailkenntnisse. Das Wichtigste ist, selbst zu denken – und nicht alles zu glauben.
Wien. Sie wäre was für die langen Abende während des Lockdown in der Spitzenzeit der Coronakrise gewesen. Aber auch jetzt sollte sie aufs Nachtkästchen jedes Anlegers – die Biografie von Alice Schroeder über den mittlerweile 89-jährigen Warren Buffett, der als einer der besten Anleger aller Zeiten gilt und heute laut Forbes mit 75,2 Milliarden Dollar auf Platz vier der reichsten Menschen der Welt liegt.
Es sind gar nicht unbedingt konkrete Anleitungen, die das Buch mit dem Titel „Das Leben ist wie ein Schneeball“so wertvoll machen. Der Wälzer liest sich ganz einfach so spannend wie ein Krimi – und ist en passant noch nützlich. Und zwar unter anderem dadurch, weil er mit Mythen aufräumt.
Rechnen statt glauben
Etwa mit jenem, dass Frömmigkeit das Leben verlängere, wie Buffett selbst als Kind glaubte. Allerdings nur so lang, bis er während eines Gottesdienstes aus Langeweile im Kirchenliederbuch die Lebenszeit der Komponisten religiöser Lieder studierte. Dort sah er, dass Frömmigkeit die Lebenserwartung nicht zwingend positiv beeinflusste.
Was er daraus lernte? Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Zudem, dass man sich von Mythen befreien und zu den Fakten hinwenden müsse. Und generell wurde er darin bestätigt, dass man dafür einfach rechnen können muss.
Massenweise Börsenneulinge
In der Tat funktioniert Investieren an der Börse ohne eigenes Mitdenken und ohne minimale Beschäftigung mit Wirtschaft und Psychologie nicht. Eben darin unterscheidet sich diese Form der Anlage vom Sparen mit dem Sparbuch, das einst vor Beginn der Niedrigzinspolitik noch Zinsen abgeworfen hat, heute aber diese Funktion nicht mehr erfüllt, weshalb Menschen mit dem Wunsch nach Vermögensaufbau zunehmend bei Aktien landen. Und aufgrund der Möglichkeiten, ohne Berater selbst zu handeln, dies auch vermehrt tun.
Gerade im Zuge der Coronakrise verzeichnen Online-Broker einen auffällig starken Zustrom von neuen Händlern. Der deutsche Online-Broker Flatex etwa hat im ersten Quartal 170.000 Neukunden gewonnen – mehr als dreimal so viele wie im Vergleichszeitraum 2019. In Österreich war die Tendenz ähnlich. Im Crash sahen offenbar viele die große Chance und wollten die Gelegenheit nicht versäumen. So weit, so gut. Welches Wissen aber ist nun unabdingbar, um an der Börse auch Erfolg zu haben?
Trends erkennen
Das Wichtigste ist, Trends zu erkennen, und zwar frühzeitig, ehe sie heißlaufen. Die Börse ist kein
Spielplatz für besserwisserische Individualisten, sie ist konformistisches Schwimmen mit dem Strom. An der Börse antizipiert werden Trends der Wirtschaft von Großanlegern. Um als Kleinanleger die startende Welle zu erkennen, braucht es regelmäßigen Nachrichtenkonsum – und Hausverstand, das große Um und Auf.
So musste man nicht studiert haben, um bald zu erahnen, dass in der ersten Phase der Coronakrise Aktien der Pharma- und Biotechbranche als große Hoffnungsträger boomen werden. Ebenso Onlinehändler aller Art (inklusive Kartonproduzenten), jegliche Dienstleister für das Funktionieren des plötzlich verbreiteten Home-Office und Produzenten von Onlinespielen sowie Sportgeräten für Zeitvertreib und Fitness. Und mit Hausverstand und einem Gespür für Psychologie lässt sich erahnen, dass die Börse nun bereits die Lockerungen der Beschränkungen bei Reise-, Freizeit- und Outdooraktivitäten vorwegnimmt. Wie sie ja überhaupt Entwicklungen antizipiert. Das Ganze gilt natürlich gleichermaßen für die großen langfristigen Trends, die unabhängig vom Coronaphänomen stattfinden und durch dieses vielleicht beschleunigt werden – Digitalisierung etwa.
Einflüsterer und Grundgesetze
Der eigene Hausverstand ist kein Widerspruch zum Schwimmen mit dem Strom. Denn er ist das wichtigste Instrument, um eigennützigen Einflüsterern, von denen es im Umfeld der Börse genug gibt, mit ihren Versprechen von schnellem Reichtum mittels gehypter Einzelaktien nicht zu glauben und sie von seriösen Anlageberatern zu unterscheiden. Und er hilft, sich Grundgesetze der Natur und des Risikomanagements vor Augen zu halten.
Die zwei vermutlich wichtigsten unter ihnen: Erstens, dass der Weg von oben nach unten kürzer ist als der von unten nach oben, sprich, wenn eine Aktie um 50 Prozent fällt, braucht es 100 Prozent Wertzuwachs zurück zum Ausgangsniveau. Und zweitens, dass man nicht alle Eier in einen Korb legt, wie es im Sprichwort heißt, sondern das Geld auf unterschiedliche Anlageklassen, Branchen und Länder streut. Dass dies der zielführendste Weg ist, hat der spätere Nobelpreisträger William Forsyth Sharpe bereits im Jahr 1964 theoretisch nachgewiesen.