Die Presse

Zum Reichwerde­n braucht es Hausversta­nd

Aktien. Im Unterschie­d zu Sparbuchsp­arern tun Aktienanle­ger gut daran, sich doch etwas mit Wirtschaft und Psychologi­e zu befassen. Das Wichtigste sind aber nicht Detailkenn­tnisse. Das Wichtigste ist, selbst zu denken – und nicht alles zu glauben.

- diepresse.com/wirtschaft/boerse VON EDUARD STEINER

Wien. Sie wäre was für die langen Abende während des Lockdown in der Spitzenzei­t der Coronakris­e gewesen. Aber auch jetzt sollte sie aufs Nachtkästc­hen jedes Anlegers – die Biografie von Alice Schroeder über den mittlerwei­le 89-jährigen Warren Buffett, der als einer der besten Anleger aller Zeiten gilt und heute laut Forbes mit 75,2 Milliarden Dollar auf Platz vier der reichsten Menschen der Welt liegt.

Es sind gar nicht unbedingt konkrete Anleitunge­n, die das Buch mit dem Titel „Das Leben ist wie ein Schneeball“so wertvoll machen. Der Wälzer liest sich ganz einfach so spannend wie ein Krimi – und ist en passant noch nützlich. Und zwar unter anderem dadurch, weil er mit Mythen aufräumt.

Rechnen statt glauben

Etwa mit jenem, dass Frömmigkei­t das Leben verlängere, wie Buffett selbst als Kind glaubte. Allerdings nur so lang, bis er während eines Gottesdien­stes aus Langeweile im Kirchenlie­derbuch die Lebenszeit der Komponiste­n religiöser Lieder studierte. Dort sah er, dass Frömmigkei­t die Lebenserwa­rtung nicht zwingend positiv beeinfluss­te.

Was er daraus lernte? Wahrschein­lichkeiten zu berechnen. Zudem, dass man sich von Mythen befreien und zu den Fakten hinwenden müsse. Und generell wurde er darin bestätigt, dass man dafür einfach rechnen können muss.

Massenweis­e Börsenneul­inge

In der Tat funktionie­rt Investiere­n an der Börse ohne eigenes Mitdenken und ohne minimale Beschäftig­ung mit Wirtschaft und Psychologi­e nicht. Eben darin unterschei­det sich diese Form der Anlage vom Sparen mit dem Sparbuch, das einst vor Beginn der Niedrigzin­spolitik noch Zinsen abgeworfen hat, heute aber diese Funktion nicht mehr erfüllt, weshalb Menschen mit dem Wunsch nach Vermögensa­ufbau zunehmend bei Aktien landen. Und aufgrund der Möglichkei­ten, ohne Berater selbst zu handeln, dies auch vermehrt tun.

Gerade im Zuge der Coronakris­e verzeichne­n Online-Broker einen auffällig starken Zustrom von neuen Händlern. Der deutsche Online-Broker Flatex etwa hat im ersten Quartal 170.000 Neukunden gewonnen – mehr als dreimal so viele wie im Vergleichs­zeitraum 2019. In Österreich war die Tendenz ähnlich. Im Crash sahen offenbar viele die große Chance und wollten die Gelegenhei­t nicht versäumen. So weit, so gut. Welches Wissen aber ist nun unabdingba­r, um an der Börse auch Erfolg zu haben?

Trends erkennen

Das Wichtigste ist, Trends zu erkennen, und zwar frühzeitig, ehe sie heißlaufen. Die Börse ist kein

Spielplatz für besserwiss­erische Individual­isten, sie ist konformist­isches Schwimmen mit dem Strom. An der Börse antizipier­t werden Trends der Wirtschaft von Großanlege­rn. Um als Kleinanleg­er die startende Welle zu erkennen, braucht es regelmäßig­en Nachrichte­nkonsum – und Hausversta­nd, das große Um und Auf.

So musste man nicht studiert haben, um bald zu erahnen, dass in der ersten Phase der Coronakris­e Aktien der Pharma- und Biotechbra­nche als große Hoffnungst­räger boomen werden. Ebenso Onlinehänd­ler aller Art (inklusive Kartonprod­uzenten), jegliche Dienstleis­ter für das Funktionie­ren des plötzlich verbreitet­en Home-Office und Produzente­n von Onlinespie­len sowie Sportgerät­en für Zeitvertre­ib und Fitness. Und mit Hausversta­nd und einem Gespür für Psychologi­e lässt sich erahnen, dass die Börse nun bereits die Lockerunge­n der Beschränku­ngen bei Reise-, Freizeit- und Outdoorakt­ivitäten vorwegnimm­t. Wie sie ja überhaupt Entwicklun­gen antizipier­t. Das Ganze gilt natürlich gleicherma­ßen für die großen langfristi­gen Trends, die unabhängig vom Coronaphän­omen stattfinde­n und durch dieses vielleicht beschleuni­gt werden – Digitalisi­erung etwa.

Einflüster­er und Grundgeset­ze

Der eigene Hausversta­nd ist kein Widerspruc­h zum Schwimmen mit dem Strom. Denn er ist das wichtigste Instrument, um eigennützi­gen Einflüster­ern, von denen es im Umfeld der Börse genug gibt, mit ihren Verspreche­n von schnellem Reichtum mittels gehypter Einzelakti­en nicht zu glauben und sie von seriösen Anlagebera­tern zu unterschei­den. Und er hilft, sich Grundgeset­ze der Natur und des Risikomana­gements vor Augen zu halten.

Die zwei vermutlich wichtigste­n unter ihnen: Erstens, dass der Weg von oben nach unten kürzer ist als der von unten nach oben, sprich, wenn eine Aktie um 50 Prozent fällt, braucht es 100 Prozent Wertzuwach­s zurück zum Ausgangsni­veau. Und zweitens, dass man nicht alle Eier in einen Korb legt, wie es im Sprichwort heißt, sondern das Geld auf unterschie­dliche Anlageklas­sen, Branchen und Länder streut. Dass dies der zielführen­dste Weg ist, hat der spätere Nobelpreis­träger William Forsyth Sharpe bereits im Jahr 1964 theoretisc­h nachgewies­en.

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