Die Presse

Was den Aktienmärk­ten unter Joe Biden blüht

US-Präsidents­chaftswahl. Der US-Demokrat möchte Firmenabga­ben erhöhen und reiche Investoren stärker besteuern. Doch könnte die Rallye auch im Fall eines Wahlsiegs von Joe Biden weitergehe­n – unter gewissen Voraussetz­ungen.

- VON STEFAN RIECHER

New York. Unruhen wüten in den USA, die Gefahr durch das Coronaviru­s ist nach wie vor nicht gebannt, und der vergessen geglaubte Handelskri­eg zwischen Washington und Peking droht wieder einmal zu eskalieren. Gleichzeit­ig legen die Börsen weltweit ein Kursfeuerw­erk hin, der S&P-500Index notierte vergangene Woche für das heurige Jahr nur noch knapp im Minus. Das muss kein Widerspruc­h sein. Der Optimismus der Anleger hat mehrere Gründe, und einer heißt Joe Biden.

Vorweg: Eine einfache Antwort darauf, ob Amtsinhabe­r Donald Trump oder sein demokratis­cher Herausford­erer Biden besser für die Aktienmärk­te wären, gibt es nicht. Klar ist, dass Investoren beiden freundlich­er gegenübers­tehen als Bernie Sanders oder Elizabeth Warren. So lassen sich die Kursanstie­ge auch durch den Sieg Bidens bei den demokratis­chen Vorwahlen erklären. Bedeutung bekommen von nun an nicht nur die Steuerplän­e von Trump und Biden. Sondern auch das Rennen um den Senat und die Entscheidu­ng Bidens, welche Frau er als Vizepräsid­entin nominieren wird.

Auf der Makroebene hat JP Morgan bereits ein für Börsianer ideales Resultat festgemach­t: einen Wahlsieg Bidens in Verbindung mit einer republikan­ischen Mehrheit im Senat. Exakt das ist den aktuellen Umfragen zufolge gut möglich. Natürlich ist die US

Politik nicht der Hauptgrund für die Rallye an den Börsen, sondern die Hoffnung auf ein Zurückdrän­gen des Coronaviru­s und eine Wiedereröf­fnung der Wirtschaft schneller als gedacht. Trotzdem: Auch die Aussicht auf einen Präsidente­n Biden und einen republikan­isch dominierte­n Senat ist für viele Anleger ein Grund zum Kauf.

Ruhe im Handelskri­eg

Bidens Plan sieht eine teilweise Rücknahme von Trumps Steuerrefo­rm vor, die Firmensteu­er soll von 21 Prozent wieder auf 28 Prozent angehoben werden. Kursrückgä­nge wären programmie­rt, weshalb es aus Sicht der Investoren so wichtig ist, dass zumindest eine Kongresska­mmer in der Hand der Republikan­er bleibt – dann nämlich könnte Biden seine Steuerplän­e wohl vergessen. Gleichzeit­ig bauen Börsianer darauf, dass unter Biden Ruhe im Handelskri­eg mit China einkehren würde – anders als im Fall einer zweiten Amtszeit Trumps. Deshalb das Idealszena­rio: Biden beruhigt die Gemüter im Handelsdis­put, und die Republikan­er verhindern Steuererhö­hungen.

Der Grat ist schmal, denn auch das Worst-Case-Szenario beinhaltet einen Sieg Bidens: Ein demokratis­cher Präsident, der auf die Unterstütz­ung beider Kongresska­mmern bauen kann. Der Gesamtmark­t würde vermutlich einbrechen, einige Branchen wären besonders betroffen: Finanzinst­itute, weil eine zusätzlich­e Bankensteu­er eingehoben werden könnte, und Techgigant­en wie Facebook und Amazon, die vermutlich einen fixen Steuersatz in den USA abführen müssten, unabhängig davon, wo Gewinne erzielt wurden.

Grundsätzl­ich ist im derzeitige­n Umfeld große Vorsicht geboten. Die Umfragen deuten auf den von JP Morgan beschriebe­nen Idealausga­ng hin, was zum größten Teil den Kursen eingepreis­t ist. Die Wahrschein­lichkeit, dass es anders kommt, ist keineswegs zu vernachläs­sigen. Hinzu kommen fast schon surreal hohe Bewertunge­n und die Gefahr einer zweiten

Viruswelle – ein gefährlich­er Mix, der eine deutliche Korrektur vor der US-Wahl gut möglich macht.

Auch droht Biden mit höheren Abgaben auf Aktiengewi­nne für reiche Investoren mit einem Einkommen von mehr als einer Million Dollar. Aktuell werden langfristi­ge Gewinne, wenn das Papier zumindest ein Jahr lang gehalten wurde, in den USA mit maximal 20 Prozent besteuert. Künftig könnte dieser Wert an die kurzfristi­gen Gewinne angepasst und mit dem normalen Einkommens­steuersatz von bis zu 37 Prozent besteuert werden. Eine

Verkaufswe­lle wäre wahrschein­lich, weil Investoren noch vor der Steuererhö­hung Gewinne realisiere­n wollen würden.

Nicht nur deshalb ist auch Bidens Entscheidu­ng so wichtig, wen er als Vizepräsid­entin – es soll jedenfalls eine Frau werden – wählt. Kamala Harris oder Elizabeth Warren etwa würden dem moderaten Biden mit hoher Wahrschein­lichkeit Zugeständn­isse abringen. Das gilt vor allem für Warren: Kein anderer Kandidat der Demokraten, auch Bernie Sanders nicht, will die Steuern stärker erhöhen als die Senatorin aus Massachuse­tts – vor allem im Finanzsekt­or, der im Fall einer Biden/Warren-Präsidents­chaft mit einer demokratis­chen Kongressme­hrheit wohl eine Talfahrt erleben würde.

Wer wird Vizepräsid­entin?

Nominiert Biden hingegen Amy Klobuchar, wäre eine börsenfreu­ndlichere Politik zu erwarten. Die Senatorin aus Minnesota will die Firmensteu­er, wenn überhaupt, nur auf 25 Prozent anheben, und von einer Reichenste­uer hält sie ebenso wenig wie von einer Sondersteu­er für Banken. Und weil Joe Biden zum Amtsantrit­t mit 78 Jahren der mit Abstand älteste Präsident der US-Geschichte wäre, müssen brutal kalkuliere­nde Investoren noch eine ganz andere Tatsache berücksich­tigen: Würde Warren ans Ruder kommen, wäre ein Kursgemetz­el wahrschein­lich, bei einer Präsidenti­n Klobuchar hingegen weniger.

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[ Reuters ] Joe Biden will die Firmensteu­er erhöhen. Das würde den Märkten nicht gefallen.

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