Was den Aktienmärkten unter Joe Biden blüht
US-Präsidentschaftswahl. Der US-Demokrat möchte Firmenabgaben erhöhen und reiche Investoren stärker besteuern. Doch könnte die Rallye auch im Fall eines Wahlsiegs von Joe Biden weitergehen – unter gewissen Voraussetzungen.
New York. Unruhen wüten in den USA, die Gefahr durch das Coronavirus ist nach wie vor nicht gebannt, und der vergessen geglaubte Handelskrieg zwischen Washington und Peking droht wieder einmal zu eskalieren. Gleichzeitig legen die Börsen weltweit ein Kursfeuerwerk hin, der S&P-500Index notierte vergangene Woche für das heurige Jahr nur noch knapp im Minus. Das muss kein Widerspruch sein. Der Optimismus der Anleger hat mehrere Gründe, und einer heißt Joe Biden.
Vorweg: Eine einfache Antwort darauf, ob Amtsinhaber Donald Trump oder sein demokratischer Herausforderer Biden besser für die Aktienmärkte wären, gibt es nicht. Klar ist, dass Investoren beiden freundlicher gegenüberstehen als Bernie Sanders oder Elizabeth Warren. So lassen sich die Kursanstiege auch durch den Sieg Bidens bei den demokratischen Vorwahlen erklären. Bedeutung bekommen von nun an nicht nur die Steuerpläne von Trump und Biden. Sondern auch das Rennen um den Senat und die Entscheidung Bidens, welche Frau er als Vizepräsidentin nominieren wird.
Auf der Makroebene hat JP Morgan bereits ein für Börsianer ideales Resultat festgemacht: einen Wahlsieg Bidens in Verbindung mit einer republikanischen Mehrheit im Senat. Exakt das ist den aktuellen Umfragen zufolge gut möglich. Natürlich ist die US
Politik nicht der Hauptgrund für die Rallye an den Börsen, sondern die Hoffnung auf ein Zurückdrängen des Coronavirus und eine Wiedereröffnung der Wirtschaft schneller als gedacht. Trotzdem: Auch die Aussicht auf einen Präsidenten Biden und einen republikanisch dominierten Senat ist für viele Anleger ein Grund zum Kauf.
Ruhe im Handelskrieg
Bidens Plan sieht eine teilweise Rücknahme von Trumps Steuerreform vor, die Firmensteuer soll von 21 Prozent wieder auf 28 Prozent angehoben werden. Kursrückgänge wären programmiert, weshalb es aus Sicht der Investoren so wichtig ist, dass zumindest eine Kongresskammer in der Hand der Republikaner bleibt – dann nämlich könnte Biden seine Steuerpläne wohl vergessen. Gleichzeitig bauen Börsianer darauf, dass unter Biden Ruhe im Handelskrieg mit China einkehren würde – anders als im Fall einer zweiten Amtszeit Trumps. Deshalb das Idealszenario: Biden beruhigt die Gemüter im Handelsdisput, und die Republikaner verhindern Steuererhöhungen.
Der Grat ist schmal, denn auch das Worst-Case-Szenario beinhaltet einen Sieg Bidens: Ein demokratischer Präsident, der auf die Unterstützung beider Kongresskammern bauen kann. Der Gesamtmarkt würde vermutlich einbrechen, einige Branchen wären besonders betroffen: Finanzinstitute, weil eine zusätzliche Bankensteuer eingehoben werden könnte, und Techgiganten wie Facebook und Amazon, die vermutlich einen fixen Steuersatz in den USA abführen müssten, unabhängig davon, wo Gewinne erzielt wurden.
Grundsätzlich ist im derzeitigen Umfeld große Vorsicht geboten. Die Umfragen deuten auf den von JP Morgan beschriebenen Idealausgang hin, was zum größten Teil den Kursen eingepreist ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass es anders kommt, ist keineswegs zu vernachlässigen. Hinzu kommen fast schon surreal hohe Bewertungen und die Gefahr einer zweiten
Viruswelle – ein gefährlicher Mix, der eine deutliche Korrektur vor der US-Wahl gut möglich macht.
Auch droht Biden mit höheren Abgaben auf Aktiengewinne für reiche Investoren mit einem Einkommen von mehr als einer Million Dollar. Aktuell werden langfristige Gewinne, wenn das Papier zumindest ein Jahr lang gehalten wurde, in den USA mit maximal 20 Prozent besteuert. Künftig könnte dieser Wert an die kurzfristigen Gewinne angepasst und mit dem normalen Einkommenssteuersatz von bis zu 37 Prozent besteuert werden. Eine
Verkaufswelle wäre wahrscheinlich, weil Investoren noch vor der Steuererhöhung Gewinne realisieren wollen würden.
Nicht nur deshalb ist auch Bidens Entscheidung so wichtig, wen er als Vizepräsidentin – es soll jedenfalls eine Frau werden – wählt. Kamala Harris oder Elizabeth Warren etwa würden dem moderaten Biden mit hoher Wahrscheinlichkeit Zugeständnisse abringen. Das gilt vor allem für Warren: Kein anderer Kandidat der Demokraten, auch Bernie Sanders nicht, will die Steuern stärker erhöhen als die Senatorin aus Massachusetts – vor allem im Finanzsektor, der im Fall einer Biden/Warren-Präsidentschaft mit einer demokratischen Kongressmehrheit wohl eine Talfahrt erleben würde.
Wer wird Vizepräsidentin?
Nominiert Biden hingegen Amy Klobuchar, wäre eine börsenfreundlichere Politik zu erwarten. Die Senatorin aus Minnesota will die Firmensteuer, wenn überhaupt, nur auf 25 Prozent anheben, und von einer Reichensteuer hält sie ebenso wenig wie von einer Sondersteuer für Banken. Und weil Joe Biden zum Amtsantritt mit 78 Jahren der mit Abstand älteste Präsident der US-Geschichte wäre, müssen brutal kalkulierende Investoren noch eine ganz andere Tatsache berücksichtigen: Würde Warren ans Ruder kommen, wäre ein Kursgemetzel wahrscheinlich, bei einer Präsidentin Klobuchar hingegen weniger.