Beethovens letzter Wille in zweierlei Gestalt
Musikverein. Vor seiner Aufführung von Beethovens Violinsonaten im Konzerthaus spielte Julian Rachlin mit Freunden das späte B-Dur-Quartett im Gläsernen Saal. Cornelius Obonya las das Heiligenstädter Testament.
Geigerische Meisterschaft durfte vorausgesetzt werden, Julian Rachlins engagierte Auseinandersetzung mit Beethovens Spätwerk ist jedoch unter mannigfaltigen Aspekten zu betrachten. Da schien einerseits die Dramaturgie so intelligent wie charmant, als das B-Dur-Streichquartett, op. 130, mit der ursprünglich geplanten Finallösung, der „Großen Fuge“, kombiniert wurde. Andrerseits dient die fragwürdige Mischkulanz aus Musik und Sprache bloß dem Transport von Klischees, kaum tieferem Verständnis – selbst wenn ein so exzellenter Sprecher wie Cornelius Obonya zur Verfügung steht.
„Rachlin & Freunde“lautete das Musikvereinsmotto zum Wiedereinstieg in die Kammermusik. Das erinnerte an Rachlins früheres Festival in Dubrovnik. Ob sich ein ad hoc zusammengefügtes Streichquartett zum homogenen Ensemble formiert, ist bestenfalls vom Stand der Sterne abhängig.
Rachlin jedenfalls bringt als Primarius jegliche Facette von Autorität und Kompetenz mit, um mit Intellekt und Emotion die musikalische Richtung und deren entsprechende Artikulation vorzugeben. Dazu als verlässlicher Sekundgeiger Boris Brovtsyn, ein erfahrener Weggefährte, dessen Instrument aber die Qualität fehlt, um mit Rachlin auf einem Niveau zu dialogisieren.
Von bescheidener Präsenz auch Sarah McElravys Viola, zurückhaltend in der Klangentwicklung, fast schüchtern im Setzen von Akzenten. Schließlich am Cello eine Offenbarung: Eckart Runge, Gigant des Artemis Quartetts, als es noch in der ersten Reihe spielte. Aufregend und spannend daher, wenn sich Runge und Rachlin quasi wie beim Pingpong die Bälle zuspielten, aufglühende Phrasen, staunenerregende dynamische Finessen. Die unbarmherzige Akustik des Gläsernen Saales ließ all das kristallklar erleben, beschönigte kleinste Ausrutscher nicht.
Das B-Dur-Quartett irritiert wie fasziniert und gibt Rätsel auf wie die meisten Werke aus Beethovens Spätzeit. Absolute Musik, rabiat hinausgedrückt an den Rand des gerade noch Begreifbaren. Helle Köpfe wie Rachlin und Runge machen das so erfahrbar, dass es einem kalt über den Rücken läuft. Geist und Materie siegen über den geschundenen Körper und sein Unvermögen.
In einer Probe mit dem Schuppanzigh Quartett soll Beethoven noch die hohen Töne gehört haben, die tiefen nicht mehr – das Tempo konnte er aber vorgeben. Dass er schließlich die wilde Fuge gegen ein traditionelles Finale auswechselte, schrieben Schönberg und das Kolisch Quartett verlagsund verkaufstechnischen Ambitionen zu, keinesfalls künstlerischen Erwägungen.
Sprache und Musik vertragen sich nicht
Ende gut, fast alles gut. Die „Große Fuge“, weithin ob ihrer unvorstellbaren Schwierigkeiten gefürchtet und daher selten (gut) zu hören, gelang Rachlins Freunden respektabel. Ausgewogen zwischen poetischen Inseln und Verrücktheiten, wo der Leibhaftige vielleicht mitgeschrieben hat.
Dass der großartige Cornelius Obonya zwischen den Sätzen das Heiligenstädter Testament gelesen hat, verlängerte das Kurzkonzert. Doch passte da nichts zusammen: 1802 entstand das Testament, 1826 das Quartett. Sprache und Musik vertragen sich nicht. Musik ist keine Sprache, sondern „höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“, heißt es in Beethovens Tagebuch.