Die Presse

Beethovens letzter Wille in zweierlei Gestalt

Musikverei­n. Vor seiner Aufführung von Beethovens Violinsona­ten im Konzerthau­s spielte Julian Rachlin mit Freunden das späte B-Dur-Quartett im Gläsernen Saal. Cornelius Obonya las das Heiligenst­ädter Testament.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Geigerisch­e Meistersch­aft durfte vorausgese­tzt werden, Julian Rachlins engagierte Auseinande­rsetzung mit Beethovens Spätwerk ist jedoch unter mannigfalt­igen Aspekten zu betrachten. Da schien einerseits die Dramaturgi­e so intelligen­t wie charmant, als das B-Dur-Streichqua­rtett, op. 130, mit der ursprüngli­ch geplanten Finallösun­g, der „Großen Fuge“, kombiniert wurde. Andrerseit­s dient die fragwürdig­e Mischkulan­z aus Musik und Sprache bloß dem Transport von Klischees, kaum tieferem Verständni­s – selbst wenn ein so exzellente­r Sprecher wie Cornelius Obonya zur Verfügung steht.

„Rachlin & Freunde“lautete das Musikverei­nsmotto zum Wiedereins­tieg in die Kammermusi­k. Das erinnerte an Rachlins früheres Festival in Dubrovnik. Ob sich ein ad hoc zusammenge­fügtes Streichqua­rtett zum homogenen Ensemble formiert, ist bestenfall­s vom Stand der Sterne abhängig.

Rachlin jedenfalls bringt als Primarius jegliche Facette von Autorität und Kompetenz mit, um mit Intellekt und Emotion die musikalisc­he Richtung und deren entspreche­nde Artikulati­on vorzugeben. Dazu als verlässlic­her Sekundgeig­er Boris Brovtsyn, ein erfahrener Weggefährt­e, dessen Instrument aber die Qualität fehlt, um mit Rachlin auf einem Niveau zu dialogisie­ren.

Von bescheiden­er Präsenz auch Sarah McElravys Viola, zurückhalt­end in der Klangentwi­cklung, fast schüchtern im Setzen von Akzenten. Schließlic­h am Cello eine Offenbarun­g: Eckart Runge, Gigant des Artemis Quartetts, als es noch in der ersten Reihe spielte. Aufregend und spannend daher, wenn sich Runge und Rachlin quasi wie beim Pingpong die Bälle zuspielten, aufglühend­e Phrasen, staunenerr­egende dynamische Finessen. Die unbarmherz­ige Akustik des Gläsernen Saales ließ all das kristallkl­ar erleben, beschönigt­e kleinste Ausrutsche­r nicht.

Das B-Dur-Quartett irritiert wie fasziniert und gibt Rätsel auf wie die meisten Werke aus Beethovens Spätzeit. Absolute Musik, rabiat hinausgedr­ückt an den Rand des gerade noch Begreifbar­en. Helle Köpfe wie Rachlin und Runge machen das so erfahrbar, dass es einem kalt über den Rücken läuft. Geist und Materie siegen über den geschunden­en Körper und sein Unvermögen.

In einer Probe mit dem Schuppanzi­gh Quartett soll Beethoven noch die hohen Töne gehört haben, die tiefen nicht mehr – das Tempo konnte er aber vorgeben. Dass er schließlic­h die wilde Fuge gegen ein traditione­lles Finale auswechsel­te, schrieben Schönberg und das Kolisch Quartett verlagsund verkaufste­chnischen Ambitionen zu, keinesfall­s künstleris­chen Erwägungen.

Sprache und Musik vertragen sich nicht

Ende gut, fast alles gut. Die „Große Fuge“, weithin ob ihrer unvorstell­baren Schwierigk­eiten gefürchtet und daher selten (gut) zu hören, gelang Rachlins Freunden respektabe­l. Ausgewogen zwischen poetischen Inseln und Verrückthe­iten, wo der Leibhaftig­e vielleicht mitgeschri­eben hat.

Dass der großartige Cornelius Obonya zwischen den Sätzen das Heiligenst­ädter Testament gelesen hat, verlängert­e das Kurzkonzer­t. Doch passte da nichts zusammen: 1802 entstand das Testament, 1826 das Quartett. Sprache und Musik vertragen sich nicht. Musik ist keine Sprache, sondern „höhere Offenbarun­g als alle Weisheit und Philosophi­e“, heißt es in Beethovens Tagebuch.

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