Wir brauchen eine neue Bescheidenheit!
Gastbeitrag. Nach der Eindämmung der Pandemie müssen wir uns jetzt um die Herstellung einer Welt kümmern, in der ein ökonomisches und soziales Auskommen garantiert ist. Die Politik darf damit aber nicht allein gelassen werden.
Mensch, werde wesentlich! Dieser Zuruf aus vergangenen Zeiten gilt in einem hohen Ausmaß auch für heute. Was meine ich damit? Eine grundsätzlichere Diskussion als jene, die wir bislang hatten, muss nun beginnen. Bisher war dafür verständlicherweise kaum Zeit, denn der Kampf darum, die Folgen des Virus zu minimieren, bzw. überhaupt auszuschalten, hatte unbedingte Priorität. Jetzt muss allerdings die Herstellung einer Welt Priorität bekommen, in der ein ökonomisches und soziales Auskommen garantiert ist, die Menschen in Frieden zusammenleben können und uns allen wieder Zukunftsperspektiven eröffnet werden.
Was ist dazu notwendig? Zuallererst muss in der öffentlichen Diskussion klargestellt werden, dass die erfolgreiche und zweifellos notwendige Strategie, dass, übertrieben formuliert, alles auf das Kommando der Regierung zu hören hat, zwar Krisen kanalisieren kann und hat, aber nicht tragfähig genug ist, um eine gemeinsame gute Zukunft zu eröffnen. Anders gesagt: Wir brauchen eine breite Diskussion der zivilen Gesellschaft, eine Mobilisierung von Wissenschaft und Kultur, Fantasie und Vielfältigkeit und wahrscheinlich auch gewisse andere verträglichere Formen der Auseinandersetzung, die nur im Wege der Weiterentwicklung unserer Demokratie stattfinden können.
Was ist damit gemeint? Zunächst einmal eine bessere Bestimmung der Themen, dann aber auch der Methoden, diese Ergebnisse zu bekommen. Unter Themen verstehe ich die Tatsache, dass wir bleibend einen beachtlichen Sockel an Arbeitslosigkeit bekommen werden und auch nicht jeder wirtschaftliche Zweig auferstehen wird, wie er war. Wir sehnen uns danach, dorthin zurückzukehren, von wo uns das Virus vertrieben hat – das wird aber nicht gehen. Wobei das nicht nur wirtschaftliche und soziale Gründe hat, sondern auch geistige, um nicht zu sagen philosophische.
Um es vorwegzunehmen: Diese Gedanken eignen sich nicht für politische Programme allein, schon gar nicht für Wahlkämpfe. Wir werden bescheidener werden müssen und erhebliche Zeit mit weniger auskommen müssen, als in vergangenen Zeiten. Es ist zwar schön, wenn die zuständige Ministerin von Grenzöffnungen träumt und die Massen der Touristen viel früher herbeisehnt, das wird aber nicht der Fall sein.
Welt wird sich nicht auflösen
Ich verstehe auch, dass Fluglinien und Flughäfen davon träumen, wieder rekordverdächtige Passagier- und Frachtzahlen zu verzeichnen, aber auch das wird längere Zeit nicht stattfinden. Ebenso ist nicht anzunehmen, dass wir unsere Defizite an Beschäftigten in der Pflege und im Tourismus durch Zuwanderungen aus den Nachbarländern bewältigen können. Das wirft die Frage auf, wie wir ganz allein mit diesen Problemen umgehen. Wobei man dazusagen muss, dass in manchen Bereichen die Chance besteht, dass wir wieder autonomer werden können, wo uns die Globalisierung um bestimmte Produktionsbereiche gebracht hat.
Die Welt wird sich nicht auflösen in insulare Nationalstaaten, sondern lebt in Wirklichkeit davon, dass wir weiter verbunden bleiben. Die Frage ist aber, wie?
Hier taucht auch die Frage nach der Zukunft von Europa auf. Ich sage ausdrücklich Europa und nicht nur EU, wobei diese weitaus mehr geleistet hat, als wir gegenwärtig gestehen. Der inzwischen klein gewordene Kontinent (im globalen Vergleich) muss eine dichtere Form von Kooperation entwickeln, die nicht in Kompetenzfragen für die Europäische Kommission landet, sondern in verträgliche Formen des Zusammenwirkens. Noch immer haben wir nicht begriffen, dass wir in Einbahnstraßen denken: Wir wünschen uns viele Touristen, aber auch Pflege- und Arbeitskräfte, gleichzeitig sollen möglichst wenige von außen kommen, um nicht unseren Frieden zu stören.
Wir denken in Einbahnen
Die Bekämpfung des Coronavirus hat uns gelehrt, dass die Wissenschaft eine enorme internationale Kooperation braucht, um Ergebnisse zu erzielen, wobei wir immer stolz betonen, welche Österreicher dazu beitragen. Dabei vergessen wir aber, dass eben diese Österreicher ausgewandert sind, um dort Erfolg zu haben.
Wir haben auch verlernt, in Alternativen zu denken, denn die Finanzierung unserer Fluggesellschaft (Ist sie das noch?) könnte besser in rasche Bahnverbindungen in die Nachbarländer investiert werden, während die Sehnsucht nach internationalen Verbindungen (USA, China, Japan, etc.) durchaus in Kooperation mit großen internationalen Fluglinien gelöst werden könnte, ohne uns deswegen dem Diktat der Lufthansa auszuliefern. Den Kritikern der Globalisierung muss auch klar sein, dass uns das Internet geholfen hat, die durch den Virus verursachten Probleme in den Griff zu bekommen. Hier wäre es aber notwendig, nicht so sehr der Priorität der nationalen Entscheidungskraft das Wort zu reden, sondern dafür zu sorgen, dass es europäische und globale Systeme gibt, die eine gemeinsame rechtliche Ordnung und eine Garantie der Menschenrechte bewirken.
Es braucht nicht nur eine Auseinandersetzung mit Umweltfragen, sondern auch mit neuen Lebensformen. Man hat in der Not der vergangenen Wochen den Stellenwert der Familie wiederentdeckt; Ethik und Religion haben streckenweise wieder eine neue Bedeutung bekommen und Demokratie und Staat müssen verändert werden, vor allem in der Überprüfung, ob sie allen diesen Herausforderungen wirklich gewachsen sind. Vielleicht braucht es eine neue Bescheidenheit, wenngleich ich zugebe, dass man damit keinen Wahlkampf gewinnen kann. Grenzen werden diskutiert, aber nur nach außen. Wir werden uns selber Grenzen setzen müssen, damit wir leben und überleben können – in Freiheit und Zufriedenheit.
Die Politik ist dabei gefordert, darf aber nicht allein bleiben. Es braucht Bürgersinn, Fantasie und Hausverstand, vor allem aber die Ernsthaftigkeit des Gesprächs. Es geschieht auch nicht von heute auf morgen, sondern schlicht und einfach, um die Gewinnung der Zukunft für unsere Welt. Hier kann man ein Wort verwenden, das viele sagten, aber einmal einer deutschen Bundeskanzlerin übel genommen wurde: „Wir schaffen das.“Das allerdings verlangt eine andere Kultur des Gesprächs und eine größere Tiefe der Auseinandersetzung, aber wir sollten Freude daran haben, dieser Herausforderung zu begegnen.
Die Pandemie, die wir gegenwärtig erleben, war in ihren Dimensionen neu für uns, ist aber ein wichtiger Lernvorgang, der unbedingt Verhaltensänderungen erzeugen muss.
In Variation des oben gebrauchten Zitates möchte ich die Frage stellen: Schaffen wir es?