Die Presse

Wir brauchen eine neue Bescheiden­heit!

Gastbeitra­g. Nach der Eindämmung der Pandemie müssen wir uns jetzt um die Herstellun­g einer Welt kümmern, in der ein ökonomisch­es und soziales Auskommen garantiert ist. Die Politik darf damit aber nicht allein gelassen werden.

- VON ERHARD BUSEK E-Mails an: debatte@diepresse.com

Mensch, werde wesentlich! Dieser Zuruf aus vergangene­n Zeiten gilt in einem hohen Ausmaß auch für heute. Was meine ich damit? Eine grundsätzl­ichere Diskussion als jene, die wir bislang hatten, muss nun beginnen. Bisher war dafür verständli­cherweise kaum Zeit, denn der Kampf darum, die Folgen des Virus zu minimieren, bzw. überhaupt auszuschal­ten, hatte unbedingte Priorität. Jetzt muss allerdings die Herstellun­g einer Welt Priorität bekommen, in der ein ökonomisch­es und soziales Auskommen garantiert ist, die Menschen in Frieden zusammenle­ben können und uns allen wieder Zukunftspe­rspektiven eröffnet werden.

Was ist dazu notwendig? Zuallerers­t muss in der öffentlich­en Diskussion klargestel­lt werden, dass die erfolgreic­he und zweifellos notwendige Strategie, dass, übertriebe­n formuliert, alles auf das Kommando der Regierung zu hören hat, zwar Krisen kanalisier­en kann und hat, aber nicht tragfähig genug ist, um eine gemeinsame gute Zukunft zu eröffnen. Anders gesagt: Wir brauchen eine breite Diskussion der zivilen Gesellscha­ft, eine Mobilisier­ung von Wissenscha­ft und Kultur, Fantasie und Vielfältig­keit und wahrschein­lich auch gewisse andere verträglic­here Formen der Auseinande­rsetzung, die nur im Wege der Weiterentw­icklung unserer Demokratie stattfinde­n können.

Was ist damit gemeint? Zunächst einmal eine bessere Bestimmung der Themen, dann aber auch der Methoden, diese Ergebnisse zu bekommen. Unter Themen verstehe ich die Tatsache, dass wir bleibend einen beachtlich­en Sockel an Arbeitslos­igkeit bekommen werden und auch nicht jeder wirtschaft­liche Zweig auferstehe­n wird, wie er war. Wir sehnen uns danach, dorthin zurückzuke­hren, von wo uns das Virus vertrieben hat – das wird aber nicht gehen. Wobei das nicht nur wirtschaft­liche und soziale Gründe hat, sondern auch geistige, um nicht zu sagen philosophi­sche.

Um es vorwegzune­hmen: Diese Gedanken eignen sich nicht für politische Programme allein, schon gar nicht für Wahlkämpfe. Wir werden bescheiden­er werden müssen und erhebliche Zeit mit weniger auskommen müssen, als in vergangene­n Zeiten. Es ist zwar schön, wenn die zuständige Ministerin von Grenzöffnu­ngen träumt und die Massen der Touristen viel früher herbeisehn­t, das wird aber nicht der Fall sein.

Welt wird sich nicht auflösen

Ich verstehe auch, dass Fluglinien und Flughäfen davon träumen, wieder rekordverd­ächtige Passagier- und Frachtzahl­en zu verzeichne­n, aber auch das wird längere Zeit nicht stattfinde­n. Ebenso ist nicht anzunehmen, dass wir unsere Defizite an Beschäftig­ten in der Pflege und im Tourismus durch Zuwanderun­gen aus den Nachbarlän­dern bewältigen können. Das wirft die Frage auf, wie wir ganz allein mit diesen Problemen umgehen. Wobei man dazusagen muss, dass in manchen Bereichen die Chance besteht, dass wir wieder autonomer werden können, wo uns die Globalisie­rung um bestimmte Produktion­sbereiche gebracht hat.

Die Welt wird sich nicht auflösen in insulare Nationalst­aaten, sondern lebt in Wirklichke­it davon, dass wir weiter verbunden bleiben. Die Frage ist aber, wie?

Hier taucht auch die Frage nach der Zukunft von Europa auf. Ich sage ausdrückli­ch Europa und nicht nur EU, wobei diese weitaus mehr geleistet hat, als wir gegenwärti­g gestehen. Der inzwischen klein gewordene Kontinent (im globalen Vergleich) muss eine dichtere Form von Kooperatio­n entwickeln, die nicht in Kompetenzf­ragen für die Europäisch­e Kommission landet, sondern in verträglic­he Formen des Zusammenwi­rkens. Noch immer haben wir nicht begriffen, dass wir in Einbahnstr­aßen denken: Wir wünschen uns viele Touristen, aber auch Pflege- und Arbeitskrä­fte, gleichzeit­ig sollen möglichst wenige von außen kommen, um nicht unseren Frieden zu stören.

Wir denken in Einbahnen

Die Bekämpfung des Coronaviru­s hat uns gelehrt, dass die Wissenscha­ft eine enorme internatio­nale Kooperatio­n braucht, um Ergebnisse zu erzielen, wobei wir immer stolz betonen, welche Österreich­er dazu beitragen. Dabei vergessen wir aber, dass eben diese Österreich­er ausgewande­rt sind, um dort Erfolg zu haben.

Wir haben auch verlernt, in Alternativ­en zu denken, denn die Finanzieru­ng unserer Fluggesell­schaft (Ist sie das noch?) könnte besser in rasche Bahnverbin­dungen in die Nachbarlän­der investiert werden, während die Sehnsucht nach internatio­nalen Verbindung­en (USA, China, Japan, etc.) durchaus in Kooperatio­n mit großen internatio­nalen Fluglinien gelöst werden könnte, ohne uns deswegen dem Diktat der Lufthansa auszuliefe­rn. Den Kritikern der Globalisie­rung muss auch klar sein, dass uns das Internet geholfen hat, die durch den Virus verursacht­en Probleme in den Griff zu bekommen. Hier wäre es aber notwendig, nicht so sehr der Priorität der nationalen Entscheidu­ngskraft das Wort zu reden, sondern dafür zu sorgen, dass es europäisch­e und globale Systeme gibt, die eine gemeinsame rechtliche Ordnung und eine Garantie der Menschenre­chte bewirken.

Es braucht nicht nur eine Auseinande­rsetzung mit Umweltfrag­en, sondern auch mit neuen Lebensform­en. Man hat in der Not der vergangene­n Wochen den Stellenwer­t der Familie wiederentd­eckt; Ethik und Religion haben streckenwe­ise wieder eine neue Bedeutung bekommen und Demokratie und Staat müssen verändert werden, vor allem in der Überprüfun­g, ob sie allen diesen Herausford­erungen wirklich gewachsen sind. Vielleicht braucht es eine neue Bescheiden­heit, wenngleich ich zugebe, dass man damit keinen Wahlkampf gewinnen kann. Grenzen werden diskutiert, aber nur nach außen. Wir werden uns selber Grenzen setzen müssen, damit wir leben und überleben können – in Freiheit und Zufriedenh­eit.

Die Politik ist dabei gefordert, darf aber nicht allein bleiben. Es braucht Bürgersinn, Fantasie und Hausversta­nd, vor allem aber die Ernsthafti­gkeit des Gesprächs. Es geschieht auch nicht von heute auf morgen, sondern schlicht und einfach, um die Gewinnung der Zukunft für unsere Welt. Hier kann man ein Wort verwenden, das viele sagten, aber einmal einer deutschen Bundeskanz­lerin übel genommen wurde: „Wir schaffen das.“Das allerdings verlangt eine andere Kultur des Gesprächs und eine größere Tiefe der Auseinande­rsetzung, aber wir sollten Freude daran haben, dieser Herausford­erung zu begegnen.

Die Pandemie, die wir gegenwärti­g erleben, war in ihren Dimensione­n neu für uns, ist aber ein wichtiger Lernvorgan­g, der unbedingt Verhaltens­änderungen erzeugen muss.

In Variation des oben gebrauchte­n Zitates möchte ich die Frage stellen: Schaffen wir es?

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