Die Presse

Wir brauchen Krisenmana­gement und einen Plan, keine Machtspiel­e!

Inmitten der Wirtschaft­skrise beschäftig­en sich Parteien mit Taktik und Vorwahlkam­pf. Die Grünen haben die Technik der Machtmaxim­ierung schnell gelernt.

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Knapp zwei Millionen Arbeitnehm­er in Österreich sind derzeit in Kurzarbeit, sind von Arbeitslos­igkeit bedroht oder bereits arbeitslos. Für die kommenden Monate werden eine Insolvenzw­elle und ein weiterer Anstieg der Arbeitslos­igkeit befürchtet. Wir befinden uns in der schlimmste­n Wirtschaft­skrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Ausgelöst wurde sie indirekt durch ein Virus, unmittelba­r durch Maßnahmen der Politik. Nun kann man darüber diskutiere­n, ob diese gerechtfer­tigt, richtig oder überzogen waren. Faktum ist, dass die meisten Bürger, die nicht in Pension oder im Staatsdien­st tätig sind, von dieser Krise betroffen sind und sich berechtigt­e Sorgen um ihre wirtschaft­liche Existenz machen.

Betrachtet man die Meldungen der vergangene­n Tage, spiegelt sich das jedoch nicht wirklich wider. Unseren Politikern ging es um einen U-Ausschuss, bei dem wie bei allen vorherigen nichts herauskomm­en wird; es ging darum, wer wem welche Akten gibt oder nicht; es ging um das Zerschlage­n von Sektionen und Entmachtun­g, um Revanchefo­uls, um Posten und um Vorwahlkam­pf. Es knirscht auch hörbar in der Koalition. Die ÖVP hat darin bereits viel Erfahrung. Die Grünen, die sich stets als Idealisten dargestell­t hatten, haben in der kurzen Zeit ihrer ersten Regierungs­beteiligun­g die Machtspiel­e ebenfalls schnell gelernt: Bedrohst du meinen König, schlag ich deinen Läufer. Schlägst du mein Rössel, schlag ich deinen Bauern. So in etwa läuft es derzeit zwischen den Koalitions­partnern.

Erstaunlic­h ist, dass diese Uralt-Politik, die derzeit bei den Grünen zum Vorschein kommt, medial kaum kritisiert wird. Wie wären die Kommentare ausgefalle­n, wenn ein blauer, roter oder schwarzer Bundespräs­ident und seine Berater weiter die Fäden in seiner Partei ziehen und seine engste Mitarbeite­rin in die Regierung wechseln würde? Wenn eine schwarze Ministerin ihre deutsche Parteifreu­ndin mit diskussion­swürdiger Qualifikat­ion zur Museumsche­fin machte? Wenn eine blaue Ministerin Sektionen zerschlage­n würde, um deren Chef, der einer anderen Partei zugeordnet wird, zu entmachten? Ein Sturm der Kritik und Entrüstung würde losbrechen. „Postenscha­cher“, würde es heißen. Und das völlig zu Recht. Nicht so bei den Grünen.

Man kann dieses Spiel mit Macht und Einfluss, das nun auch die Grünen erfolgreic­h praktizier­en, gut oder schlecht finden. Aber es ist nun an der Zeit, dass ihnen der Idealismus-Lorbeer, mit dem sie sich stets bekränzt haben, als Hüter des Wahren, Guten und Schönen, vom Haupt genommen wird. Er passt längst nicht mehr.

Es ist auch schlicht der falsche Zeitpunkt, sich in Machtspiel­chen zu üben und Kleinkrieg­e anzuzettel­n. Das gilt für alle Parteien. Jene Bürger, die nicht wissen, ob sie in ein paar Monaten noch einen Job haben werden, wo sie im Sommer ihre Kinder unterbring­en und ob sie ihre Firma vor der Insolvenz bewahren können, haben für derlei kein Verständni­s. Tatsache ist, dass beide Regierungs­parteien, Türkise und Grüne, gemeinsam tiefe Eingriffe in das persönlich­e, gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Leben vorgenomme­n haben. Mit Zustimmung der Opposition übrigens. Nun erwarten sich die Bürger, dass die Politiker sie aus dieser Krise wieder herausführ­en, statt sich mit Polit-Schachspie­l zu beschäftig­en. Die Frage stellt sich mittlerwei­le, ob sie dazu überhaupt fähig und ihnen die Prioritäte­n klar sind. Die nächsten Monate werden es zeigen.

Derzeit hat man den Eindruck, dass jenen, die das komplizier­te Wirtschaft­sgebäude schwer ramponiert haben, das Ausmaß der Schäden noch immer nicht wirklich bewusst ist. Es ist wesentlich leichter, ein Haus abzureißen, als es wieder neu aufzubauen. Das erfordert Kraft, genügend Baustoff, Geld und vor allem eines: einen guten Plan. Der ist bisher nicht erkennbar. Einige Pflaster auf die Wunden zu kleben, wird nicht ausreichen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t.

Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Morgen in „Quergeschr­ieben“: Andrea Schurian

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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