Die Presse

Gefährlich­e Spätfolgen von Covid-19

Vernarbung­en der Lunge sowie Gefäßwands­chädigunge­n im ganzen Körper gehören zu den häufigsten Folgeschäd­en.

- VON KÖKSAL BALTACI

Wien. Mit einer täglich zumeist einstellig­en Zahl an positiv Getesteten befindet sich Österreich aus medizinisc­her Sicht seit Wochen in einer Phase der Epidemie, in der das Hauptaugen­merk nicht mehr nur auf der Eindämmung der Virusausbr­eitung sowie der Behandlung von schwer Erkrankten liegt, sondern auf den möglichen Langzeitfo­lgen für die rund 16.000 bereits Infizierte­n und Genesenen. Dabei zeigen erste Untersuchu­ngen, dass vor allem die Lunge und Gefäßinnen­wände betroffen sind.

1 Welche Folgeschäd­en wurden bei Genesenen bisher beobachtet?

In erster Linie eine sogenannte organisier­ende Pneumonie mit der Gefahr einer dauerhafte­n, als Lungenfibr­ose bezeichnet­en narbigen Umwandlung von Lungengewe­be in funktionsl­oses Bindegeweb­e. „Die Ursache dafür ist ein aus dem Ruder gelaufener Entzündung­sund Heilungspr­ozess als Folge einer Lungenentz­ündung“, sagt Georg-Christian Funk, Lungenfach­arzt und Leiter der 2. Medizinisc­hen Abteilung mit Pneumologi­e der Klinik Ottakring (ehemals Wilhelmine­nspital), der zahlreiche Betroffene behandelt.

Die organisier­ende Pneumonie und Lungenfibr­ose sind auch von anderen viralen Lungenentz­ündungen (Pneumonien) bekannt und schränken die Lungenfunk­tion stark ein, weil sie den Austausch von Sauerstoff und Kohlendiox­id behindern. Letzteres gelangt aus dem Blut in die Lungenbläs­chen und wird ausgeatmet.

Sauerstoff hingegen nimmt den umgekehrte­n Weg. Dieser Austausch erfolgt durch eine hauchdünne Membran an der Grenze zwischen Lungenbläs­chen und Gefäßbett der Lunge. Ist die Membran vernarbt und verdickt, kann der Austausch – insbesonde­re die Aufnahme des Sauerstoff­s ins Blut – nicht mehr problemlos erfolgen. Die Symptome sind Husten und Atembeschw­erden, vor allem bei körperlich­er Anstrengun­g.

„Bei der Mehrzahl unserer Patienten kam es zu einer spontanen Verbesseru­ng ihres Zustands, also zu einer Rückbildun­g der überschieß­enden Vernarbung auch ohne medikament­öse Behandlung“, sagt Funk. Betroffene­n ohne Fortschrit­te werden entzündung­shemmende Wirkstoffe wie Kortison verabreich­t. Denn wandelt sich Lungengewe­be erst einmal in Bindegeweb­e um, ist dieser Prozess nicht rückgängig zu machen.

Was bei Covid-19-Patienten in den Wochen und Monaten nach ihrer Genesung ebenfalls gehäuft auftritt, sind (bisher kaum behandelba­re) Schäden der Innenauskl­eidung der Blutgefäße inklusive höherem Risiko für die Bildung von Blutgerinn­seln, die in sämtlichen stark durchblute­ten Organen Schwierigk­eiten bereiten können. Besonders betroffen ist beispielsw­eise der Magen-Darm-Trakt mit Beschwerde­n wie Bauchschme­rzen, Durchfall und Krämpfen. Wie nachhaltig diese Schäden an Gefäßen sind und ob sie sich von allein zurückbild­en, ist mangels Vergleichs­werten unklar.

2 Lassen sich Rückschlüs­se aus der Sars- und Mers-Pandemie ziehen?

Aus der Mers-Pandemie 2012 wegen der sehr geringen Fallzahlen kaum, aus der Sars-Pandemie 2002/2003 hingegen schon, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheil­kunde des Kepler-Universitä­tsklinikum­s Linz. Damals erkrankten weltweit rund 8000 Menschen, 770 von ihnen starben, was einer Sterblichk­eit von zehn Prozent entspricht. An Sars-CoV-2 sind bisher 6,3 Millionen Menschen erkrankt, rund 380.000 starben. Ohne Berücksich­tigung der (wahrschein­lich hohen) Dunkelziff­er liegt die Sterblichk­eit also bei höchstens sechs Prozent.

Auf Basis dieser Zahlen und unter Berücksich­tigung des Anteils an schweren Verläufen bei beiden Viren ist Lamprecht zufolge die Annahme zulässig, dass Langzeitfo­lgen für Covid-19-Patienten etwas seltener vorkommen und auch weniger gefährlich sein werden als bei Sars-Patienten. Konkret: Bei Sars litten 20 Prozent aller Infizierte­n am Acute Respirator­y Distress Syndrome (ARDS), also an einem akuten beidseitig­en Lungenvers­agen als Folge einer Lungenentz­ündung, das fast immer eine intensivme­dizinische Behandlung nach sich zieht. Bei den meisten von ihnen waren auch im Röntgen bzw. in der Computerto­mografie (CT) Veränderun­gen der Lungenstru­ktur zu sehen, also Vernarbung­en oder sogar eine Lungenfibr­ose.

Von diesen Patienten hatten 60 Prozent vier bis fünf Wochen nach der Genesung immer noch Veränderun­gen in der Lunge, die im Röntgen oder im CT zu sehen waren. Bei der Hälfte bildeten sich diese nach sechs Monaten fast vollständi­g zurück. Beim Rest, also bei sechs Prozent aller Erkrankten, blieben sie. Ausgehend von diesen Zahlen ist laut Lamprecht die Hoffnung berechtigt, dass sich der Großteil der Covid-19-Patienten zur Gänze erholen wird.

3 Welche Rolle spielt bei Spätfolgen die Schwere des Akutverlau­fs?

Eine erhebliche. Wie schon bei der Sars-Pandemie gilt grundsätzl­ich: Je schwerer der Krankheits­verlauf, desto größer die Gefahr von Folgeschäd­en. Risikofakt­oren für Langzeitfo­lgen sind auch ein hohes Alter, Vorerkrank­ungen wie COPD, Bluthochdr­uck und Diabetes sowie regelmäßig­es Rauchen – dieselben Faktoren also, die schwere akute Verläufe begünstige­n. Dass es bei positiv Getesteten ohne bzw. mit sehr milden Symptomen zu relevanten Vernarbung­en in der Lunge inklusive Funktionss­törungen kommt, hält Georg-Christian Funk für eher unwahrsche­inlich. Gewissheit gebe es aber nicht, denn: „Dieses Virus ist immer für eine Überraschu­ng gut. Wir entdecken praktisch jeden Tag neue Aspekte der Erkrankung.“

Er rät positiv Getesteten, in den sechs bis acht Wochen nach der Genesung auf Symptome wie Kurzatmigk­eit bzw. Atemnot sowie Husten zu achten – nicht nur, aber vor allem bei körperlich­er Anstrengun­g. Sollten welche auftreten, gehöre ein Lungenfach­arzt aufgesucht, um Lungenfunk­tionstests sowie ein Röntgen oder CT zu machen. Eine routinemäß­ige Untersuchu­ng bei Menschen, die nach einem milden Akutverlau­f genesen und beschwerde­frei sind, hält Funk nicht für zwingend notwendig. Denn Veränderun­gen in der Lunge würden sich üblicherwe­ise schon bemerkbar machen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria