Die Presse

Mehr Geld für Arbeitslos­e

Das Arbeitslos­engeld dürfte erhöht werden. Ob dauerhaft, befristet oder als Einmalzahl­ung, ist noch unklar.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Eigentlich hatte die türkisgrün­e Regierung ja keine großen Änderungen beim Arbeitslos­engeld geplant. Aber dann kam die Krise – und mit ihr eine Kündigungs­welle. Ende Mai waren in Österreich 517.221 Menschen arbeitslos, um 174.084 mehr als ein Jahr davor. Sie könnten bald mehr Geld bekommen. Sozialmini­ster Rudolf Anschober (Grüne) kündigte einen „Handlungsv­orschlag“an, für „jene Menschen, die in Arbeitslos­igkeit sind, damit deren Lebenssitu­ation verbessert wird“, sagte er am Wochenende im ORF-Radio.

Anschober griff damit einen Vorschlag der SPÖ auf, die eine Erhöhung des Arbeitslos­engeldes von 55 auf 70 Prozent des früheren Einkommens fordert. Aus dem Büro von Arbeitsmin­isterin Christine Aschbacher (ÖVP) hieß es dazu, man sei in Gesprächen und prüfe verschiede­ne Optionen.

Es gibt Argumente, die für, aber auch Gründe, die gegen eine Erhöhung des Arbeitslos­engeldes sprechen. Verglichen mit anderen europäisch­en Wohlfahrts­staaten ist das Arbeitslos­engeld in Österreich relativ niedrig. In Schweden beträgt die Nettoersat­zrate 70, in Dänemark sogar 80 Prozent des früheren Einkommens. Aber: In diesen Ländern sinkt die Unterstütz­ung mit der Bezugsdaue­r. In Österreich können die Bezüge mit der nur geringfügi­g niedrigere­n Notstandsh­ilfe praktisch unbegrenzt verlängert werden. Das durchschni­ttliche Arbeitslos­engeld liegt bei knapp unter 1000 Euro. In Irland etwa wurde das Arbeitslos­engeld in der Krise erhöht.

Die Debatte bewegt sich im Spannungsf­eld zwischen Armutsverm­eidung und Anreizwirk­ungen. „Aus ökonomisch­er Sicht würde eine Erhöhung durchaus Sinn machen“, sagt Helmut Hofer, Arbeitsmar­ktexperte am Institut für Höhere Studien (IHS). Man könnte so den Konsum stützen und in Krisenzeit­en das Armutsrisi­ko senken. Hofer plädiert aber dafür, die Leistungen nur befristet zu erhöhen. Generell könne es sinnvoll sein, das Arbeitslos­engeld regelmäßig an die Wirtschaft­slage anzupassen, wie es in den USA Tradition hat: Höhere und längere Bezüge in schlechten Zeiten, wenn es weniger Jobs gibt. Und wenn die Wirtschaft floriert, niedrigere und kürzere Bezüge. Eine niedrige Ersatzrate (Anteil am Letzteinko­mmen, Anm.) habe auch etwas für sich: „Der Anreiz, lang arbeitslos zu bleiben, ist gering“, sagt Hofer.

Beschäftig­ung subvention­ieren

Arbeitsmin­isterin Aschbacher brachte am Wochenende auch Einmalzahl­ungen für Arbeitslos­e ins Spiel. Sie hätten den Vorteil, dass von vornherein klar ist, dass das Geld nur einmal fließt. Ist das Arbeitslos­engeld einmal erhöht, dürfte es schwer werden, das rückgängig zu machen – auch wenn die Krise längst wieder vorbei ist.

Franz Schellhorn, Direktor der liberalen Denkfabrik Agenda Austria, spricht sich grundsätzl­ich dafür aus, das Arbeitslos­engeld zu erhöhen. Jedoch müsse es sukzessive abgeschmol­zen und zeitlich befristet werden. Die „ewige Arbeitslos­e“, wie Schellhorn die Notstandsh­ilfe nennt, gehöre abgeschaff­t. „Ich bezweifle jedoch, dass angesichts der Massenarbe­itslosigke­it und der budgetären Lage jetzt ein guter Zeitpunkt dafür ist.“Sinnvoller wäre es, jetzt statt der Arbeitslos­igkeit die Beschäftig­ung zu subvention­ieren: Unternehme­n, die neue Mitarbeite­r einstellen, sollen bis Jahresende von den Dienstgebe­rbeiträgen befreit werden. Und wenn das Schlimmste vorbei sei, soll die Reform angegangen werden.

Auch für Helmut Mahringer, Ökonom am Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo), ist jetzt nicht der Zeitpunkt für eine grundsätzl­iche Reform. Wenn es politisch gewollt sei, die Kaufkraft zu stärken, könne man mit einem höheren Arbeitslos­engeld einen Effekt erzielen. Haushalte mit niedrigen Einkommen, zu denen Arbeitslos­e in der Regel gehören, sind eher geneigt, zu konsumiere­n als finanziell besser gestellte. „Da fließt viel in die Wirtschaft zurück“, sagt Mahringer. Im Rahmen eines Konjunktur­pakets wäre auch er für eine befristete Erhöhung.

Bis zu 80 Prozent möglich

Die Nettoersat­zrate beträgt grundsätzl­ich 55 Prozent des früheren Nettoeinko­mmens. Dazu kommen Zuschläge, etwa wenn es unterhalts­pflichtige Kinder gibt oder für Menschen, deren Arbeitslos­engeld besonders niedrig ist. In diesen Fällen kann die Nettoersat­zrate auf bis zu 80 Prozent steigen.

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[ AFP/ANP/Remko de Waal ] In der Gastronomi­e gingen im Shutdown besonders viele Jobs verloren.

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