Die Presse

So sind sie, die Tiroler. Aber nicht nur sie.

Ein Politiker kann eine Frau heute noch „Luder“nennen – ohne Konsequenz­en. Es wird also wieder passieren. Nicht nur in der ÖVP, nicht nur in Tirol.

- VON IRIS BONAVIDA E-Mails an: iris.bonavida@diepresse.com

Josef Geisler hätte mit inhaltlich­en Argumenten kontern können, als die Gewässersc­hutz-Sprecherin des Word Wildlife Fund vor ihm gegen das Wasserkraf­twerk Tumpen-Habichen protestier­te. Der stellvertr­etende Tiroler Landeshaup­tmann hätte auch schlicht darauf hinweisen können, dass er nicht an einer öffentlich­en Diskussion interessie­rt ist. Geisler entschied sich aber im amüsiert-herablasse­nden Tonfall für eine frauenvera­chtende Diffamieru­ng als Antwort: „Widerwärti­ges Luder“, nannte er Marianne Götsch vergangene Woche. Eine Videokamer­a hielt die Szene fest. Und ihre Fortsetzun­g folgt einem Drehbuch, das ganz Österreich schon kennt.

Bundesweit mag Geisler bis zu dem Vorfall weitgehend unbekannt gewesen sein. In Tirol steht der Landesrat und Landeshaup­tmannstell­vertreter aber in der ersten Reihe. Er gestaltet die politische­n Verhältnis­se maßgeblich mit. Der Vorfall zeigt also: Ein Mann in seiner Machtposit­ion fühlt sich auch heute noch sicher genug, um eine Frau vor einer Menschenan­sammlung und laufenden Kameras sexistisch zu beschimpfe­n.

Und das völlig zu Recht im Übrigen: Denn verteidige­n möchte Geislers Aussage selbst in seiner Partei, der ÖVP, zwar niemand. Konsequenz­en ziehen allerdings auch nicht. Geisler will am Dienstag persönlich mit der Aktivistin sprechen. Für Tirols Landeshaup­tmann, Günther Platter, ist das Thema damit mehr oder weniger erledigt: „Es ist ihm unglaublic­hen peinlich, dass ihm das passiert ist“, sagte er am Sonntag. Geisler habe sich „richtigerw­eise sofort in aller Form öffentlich entschuldi­gt“.

Diese Reaktion zeigt zwei grundsätzl­iche Probleme der österreich­ischen Politik im Umgang mit Sexismus auf. Das eine ist ein mangelhaft­es Bewusstsei­n dafür, was eine ehrliche Bitte um Verzeihung ist – und was nicht. Geislers erster Reflex war weniger eine Entschuldi­gung als eine Relativier­ung: Die Aussage tue ihm leid, richtete sein Büro der „Süddeutsch­en Zeitung aus“. Der Ausdruck „Luder“sei aber nicht frauenfein­dlich gemeint. „Luada“werde in Tirol „umgangsspr­achlich für eine schlitzohr­ige, hartnäckig­e Person“verwendet, die einen austrickst. Tirolerinn­en können bestätigen: Den Begriff Ausrede kennt man auch in Westösterr­eich. Wie der Zusatz „widerlich“dann zu verstehen ist, erklärte man übrigens in Geislers Büro nicht.

Das andere Problem ist die mangelhaft­e Reflexion darüber, warum solche Aussagen fallen. Geisler hat das Wort „Luder“nicht nur gesagt. Er hat es auch gedacht – und damit unfreiwill­ig einen Einblick in sein Weltbild gegeben. Es wird bestehen bleiben, selbst wenn sich Geisler in Zukunft ausgewählt­er ausdrückt. Wer ernsthaft an einer Lösung interessie­rt ist, muss sich aber zuerst das Problem eingestehe­n. Die eigenen Rollenbild­er reflektier­en. Sich die Frage stellen, mit welchen Stereotype­n man aufgewachs­en ist. Wie man sie langsam verändern kann. Und die Debatte nicht als lästiges Nischenpro­gramm für Feministin­nen abtun.

Das gilt aber nicht nur für Tirol, sondern für alle Bundesländ­er – und Parteien. Sexismus ist ein österreich­weites Problem. Georg Dornauer von der SPÖ wollte sich eine Politikerk­ollegin „lieber nicht in der Horizontal­en“vorstellen und sprach später davon, dass „Sexismus immer beim Empfänger entsteht“. In Oberösterr­eich präsentier­te man 2015 eine reine Männerregi­erung – die Liste ließe sich problemlos fortsetzen. In jedem Fall hieß es im Nachhinein: Tut uns leid, alles nur ein Missverstä­ndnis, Sexismus in der Politik? Das gibt es nur bei anderen.

Auch Platter ist sich der Problemati­k nicht bewusst: „Das Frauenbild, das wir in Tirol haben, ist absolut in Ordnung“, sagt er. Und: „Ich lasse die Frauen ganz sicher nicht im Stich.“Beinahe hätte er wohl Anleihen beim Bundespräs­identen genommen und gesagt: „So sind wir nicht.“Man muss Platter gleich zwei Mal widersprec­hen: Wenn in Tirol ein Spitzenpol­itiker ohne Konsequenz­en eine Frau „Luder“nennen kann, ist das Frauenbild offensicht­lich nicht in Ordnung. Und wenn dieser Mann weiterhin das gesellscha­ftliche Leben von Frauen mitbestimm­t, werden sie im Stich gelassen.

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