Die Frage nach dem Mehrwert
Deutschland. Die Senkung der Mehrwertsteuer ist ein „Herzstück“des Konjunkturprogramms. Aber der Plan hat seine Tücken. Und der Handel stöhnt wegen des massiven Mehraufwands.
Berlin. Am 1. Juli also wagt Deutschland ein 20 Milliarden Euro teures Experiment. Von der Nordeseeküste bis zum Bodensee wird erstmals seit Jahrzehnten die Mehrwertsteuer nicht erhöht, sondern gesenkt. Und zwar befristet für sechs Monate und von 19 auf 16 bzw. von sieben auf fünf Prozent. Ein Experiment ist das auch deshalb, weil niemand so genau weiß, ob der Handel die Steuersenkung im großen Stil und eins zu eins an die Kunden weitergeben wird. Und falls ja, ob die Tiefpreise dann einen „Wumms“in Europas größter Volkswirtschaft erzeugen, wie ihn SPD-Vizekanzler Olaf Scholz beabsichtigt und ersehnt.
Der Plan hat also seine Tücken. Auch deshalb, weil die Senkung der Mehrwertsteuer einen gewaltigen Mehraufwand auslöst. Just ein vermeintlicher Profiteur, der Handel, klagt über die Umstellung seiner Systeme auf die neuen Steuersätze, die nun unter größtem Zeitdruck – der 1. Juli naht – zu leisten ist. Es wird teuer. Der Handelsverband geht von Kosten im hohen zweistelligen Millionenbereich aus. In den vergangenen Tagen haben sich auch beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zahlreiche Unternehmen wegen des „zusätzlichen Umstellungsaufwands“gemeldet, wie deren Steuerchef Rainer Kambeck erklärt. Es geht freilich nicht nur um den Austausch von Preisschildern, von denen 40.000 in einem größeren Supermarkt hängen. Sondern um die Anpassung von Warenwirtschaftssystemen, Rechnungs- und Buchhaltungsprogrammen oder Onlineshops. Und umgestellt wird ja zweimal binnen „kurzer Zeit“: Zuerst zum 1. Juli und dann am 1. Jänner 2021, wenn wieder die alten Sätze gelten sollen. Da und dort werden nun Ideen gewälzt, den Preisnachlass erst an der Kasse anzuzeigen.
Was ist mit Gutscheinen?
Die Umstellung der IT bis 1. Juli sei „kaum zu schaffen“, meint Hartmut Schwab, Präsident der Bundessteuerberaterkammer. Das „Herzstück“des Konjunkturpakets (Markus Söder) zieht auch einen Rattenschwanz an steuerrechtlichen Fragen nach sich. Schwab rechnet damit, dass viele langfristige Verträge nun umgeschrieben oder „gesonderte Nachträge für die Zeit zwischen Juli und Dezember mit dem reduzierten Steuersatz verfasst werden müssen“. Zum Beispiel im Baugewerbe, „wo immer erst Geld fließt, wenn Teilleistungen erbracht wurden“. Bei bereits bezahlten Gutscheinen für einen Restaurantbesuch müssten Firmen sich die Differenz „vom Finanzamt zurückholen und dem Kunden zurückgeben“.
„Die kurzfristige Steuersatzsenkung ruft umfangreiche Abrechnungsprobleme bei den Unternehmen hervor“, wie auch Monika Wünnemann der „Presse“bestätigt. Sie leitet den Bereich Steuern und Politik des Bunds der Deutschen Industrie (BDI), der Interessenvertretung der Branche. Die erzeugten Schwierigkeiten hält sie im B2B-Bereich, wenn also Un
Ab 1. Juli wird in Deutschland die Mehrwertsteuer befristet bis Jahresende und von 19 auf 16 bzw. von 7 auf 5 Prozent gesenkt. Die Maßnahme ist ein Herzstück des 130-Milliarden-Euro-Konjunkturpakets. Sie soll helfen, den privaten Konsum anzuschieben. Handelsvertreter klagen aber über den Mehraufwand, der mit der zweimaligen Umstellung der Systeme auf den neuen Steuersatz verbunden ist. ternehmen mit Unternehmen handeln, für „unverhältnismäßig“.
Inmitten der Debatte um die Umstellungskosten sät eine neue Umfrage für die „Augsburger Allgemeine“Zweifel, dass die Steuersenkung eine neue Kauflust entfachen wird. Demnach sagten zwei von drei Befragten, sie planten deshalb nicht, in nächster Zeit wieder mehr Geld in die Hand zu nehmen. Wobei Ökonomen damit rechnen, dass es ab Juli zumindest einen „Vorzieheffekt“bei größeren Einkäufen geben wird. Also nicht bei Lebensmitteln, die statt einem Euro dann 98 Cent kosten. Sondern beim Kauf eines neuen Autos oder einer neuen Küche. Und falls der vielfach existenzbedrohte Handel die Steuersenkung doch einbehält, wäre auch das eine Art Konjunkturstütze.
Ein Dilemma aber bleibt: Um den Konsum rasch anzuschieben, ist die Maßnahme befristet. Nun ist die Coronakrise aber im Jänner noch nicht zu Ende. Deshalb geht die Angst um, dass der Handel 2021 in ein Loch stürzt. Aus dem Handelsverband hieß es dazu: „Es wäre fatal, wenn am 1. Jänner drei Prozent aufgeschlagen werden müssen und der Handel auf einem Teil der Kosten sitzen bleibt.“