Die Presse

Corona als Chance für den Balkan?

Südosteuro­pa könnte langfristi­g von einer Straffung der Lieferkett­en profitiere­n.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad/Zagreb. Schlechte Nachrichte­n kommen in der Viruskrise auch im Südosten des Kontinents nie allein. Ein Minuswachs­tum von elf Prozent sagt das Wiener Institut für Wirtschaft­svergleich­e beispielwe­ise dem stark vom Tourismus abhängigen EU-Neuling Kroatien für dieses Jahr voraus.

Laut Angaben von Kroatiens Arbeitsamt HZZ ist die Zahl der offiziell registrier­ten Arbeitslos­en allein in den ersten zwei Monaten der Coranakris­e von Mitte März bis Mitte Mai um 32,49 Prozent gestiegen. Die derzeitige Zahl von knapp 160.000 Arbeitslos­en könnte sich nach Ansicht heimischer Ökonomen im schlechtes­ten Fall bis zum Jahresende verdoppeln. „Die Lawine der Entlassung­en folgt erst noch“, unkt dunkel das Webportal „index.hr“.

„Wir können schnell reagieren“

Zur Kurzarbeit ist derzeit auch Kroatiens Textilgiga­nt Varteks in Varazdinˇ gezwungen. Aber dennoch ist Vorstandsc­hef Tomislav Babic überzeugt, dass sein Unternehme­n „stärker als viele Konkurrent­en“aus der Viruskrise hervorgehe­n werde. Der Trend gehe „zur Rückkehr der Mode aus Asien nach Europa“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. „Wir produziere­n für den Markt in unserem eigenen Hinterhof, können sehr schnell auf Trends reagieren – im Gegensatz zu den Konkurrent­en, die vor allem Importeure ihrer Waren sind.“

Von Albanien bis Rumänien: Auch Südosteuro­pas Wirtschaft trifft die Viruskrise mit voller Wucht. Doch langfristi­g könnte der Balkan von der erwarteten Straffung der Lieferkett­en als Folge der Coronakris­e profitiere­n: Neben geringeren Löhnen und der in diesen Ländern verfügbare­n Arbeitskra­ft macht die Nähe zu den westeuropä­ischen Märkten die Rückstands­region für das sogenannte Nearshorin­g interessan­t. Gemeint ist damit die Rückholung oder das „In-die-Nähe-Holen“der nach Asien ausgelager­ten Produktion nach Europa. Vollmundig fordern patriotisc­h bewegte Politiker in Westeuropa angesichts der Globalisie­rungskriti­k in der Viruskrise genau das: Die nach Asien ausgelager­ten Fabriken der nationalen Industrief­laggschiff­e sollen möglichst rasch zurück nach Europa geholt werden.

Fokus auf „EU-Wartesaal“

Die angesproch­enen Unternehme­n kalkuliere­n indes eher kühl – und lassen sich bei Standorten­tscheidung­en vor allem von zwei Faktoren leiten: Kosten und verfügbare Arbeitskra­ft. Besonders der letzte Punkt könnte – im Gegensatz zu lang beliebten Investoren­zielen wie Ungarn, Polen oder Tschechien – für Südosteuro­pa sprechen.

Vor allem der gebeutelte EUWartesaa­l auf dem Westbalkan könnte in den Fokus rücken. Staaten wie Bosnien und Herzegowin­a, Nordmazedo­nien oder Serbien würden „praktisch vor der Haustüre“der EU liegen, sagt Patrick Martens, der Delegierte der Deutschen Wirtschaft in Skopje. Zwar sei das Ergebnis der Coronakris­e noch nicht absehbar: „Aber ich bin optimistis­ch, dass die Krise genutzt wird. Bei der Neuausrich­tung der Lieferkett­en gibt es am Westbalkan keinen Weg vorbei.“

Langwierig­e Aufholjagd

„Coronakris­e – die große Chance für den Westbalkan?“, titelt bereits hoffnungsf­roh der Newsletter der deutschen Außenhande­lsförderun­g GTAI: „Der Westbalkan könnte für die EU das werden, was Mittelamer­ika für die USA ist: ein Investitio­ns- und Zulieferst­andort mit großer geo- und wirtschaft­spolitisch­er Bedeutung.“

Doch im derzeitige­n Krisenjamm­ertal ist die langfristi­ge Verheißung neuer Investoren nur ein schaler Trost für die Region. Nach der Weltwirtsc­haftskrise von 2008 benötigten Staaten wie Kroatien oder Serbien fast ein Jahrzehnt, um wieder auf ihren Vorkrisens­tand zu gelangen.

Dieses Mal könnte es mit der wirtschaft­lichen Erholung zwar schneller gehen: Bereits für 2021 sind wieder satte Zuwächse prognostiz­iert. Diese werden jedoch nicht reichen, um die Einbrüche dieses Jahres zu kompensier­en. Frühestens im übernächst­en Jahr könnte die Region das schaffen. Statt sich dem EU-Standard anzunähern, droht der ausgezehrt­e EUWartesaa­l bei seiner endlosen Aufholjagd zwei weitere Jahre zu verlieren.

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[ APA/AFP/Denis Lovrovic ] Ein Blick nach Dubrovnik. Die Tourismusf­laute trifft die Region hart.

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