Die Presse

Die Melodien des Ludwig van Beethoven

Musikverei­n: Barenboim noch einmal mit den letzten drei Klavierson­aten.

- VON WALTER DOBNER

Dem Zyklus von Beethovens Klavierson­aten hat sich Daniel Barenboim zum ersten Mal mit 18 Jahren in Tel Aviv gewidmet. Nach seiner ersten Gesamteins­pielung nahm er die Sonaten, von Kameras begleitet, in einer Reihe von Wiener Palais auf. In einer weiteren Einspielun­g kann man sehen und hören, wie Barenboim dieses Repertoire jüngeren Kollegen eröffnet, darunter Lang Lang.

Wäre Corona nicht dazwischen­gekommen, hätte der demnächst 78-jährige Pianist die 32 Sonaten wieder einmal im Musikverei­n aufgeführt. Von diesem Projekt blieben zwei Abende, in denen sich Barenboim den drei letzten Sonaten widmet, in denen Beethoven seine Beschäftig­ung mit diesem Genre resümiert.

Die auch durch Thomas Manns „Dr. Faustus“bekannte letzte Beethoven-Sonate, sein Opus 111, endet mit einem C. Das lässt sich in diesem Zusammenha­ng durchaus als Rückkehr an den Anfang deuten: Beethovens Sonatenbog­en hat sich geschlosse­n. Aber der Weg zurück ist herausford­ernd: Er führt über unkonventi­onell konzipiert­e Sonatensät­ze, ruppige Scherzi, tiefsinnig­e Adagios, komplizier­te kontrapunk­tische Verschacht­elungen und ungewöhnli­che Variations­reihen.

Der „Klassiker“als Romantiker

Für Barenboim war Beethoven immer ein Romantiker, vor allem einer der größten Melodiker. Entspreche­nd zielen seine Interpreta­tionen auf weit gespannte Kantabilit­ät. Eine solche Sicht schließt dramatisch­e Details nicht aus, das markant herausgeme­ißelte Scherzo der E-Dur-Sonate oder die schroff artikulier­ten Bassfigure­n des Allegro con brio ed appassiona­to von Opus 111.

Mindestens ebenso fasziniert­e der Parlando-Ton, in dem Barenboim den eigentümli­chen Stirnsatz von Opus 109 ausbreitet­e, und wie selbstvers­tändlich er dessen unterschie­dliche Sphären zu einer natürliche­n Einheit formte. Nicht minder beeindruck­end die Ruhe und differenzi­erte Kantabilit­ät des Variatione­nfinales dieser Sonate.

Gelassenhe­it, Dichte und tiefere innere Bewegtheit bestimmten Barenboims von einer höchst differenzi­erten Anschlagsp­alette und exemplaris­chen Legatokult­ur begleitete, gedankenvo­lle Lesart der Arietta aus Opus 111. In diese Sphären gelangen nur wenige. Aber glückte ihm nicht bei der vorangegan­genen As-Dur-Sonate Opus 110 ein noch besonderer Moment? Hat man den Beginn der Umkehrung der Fuge im Finalsatz je poetischer, magischer, dieser Welt geradezu entrückter gehört?

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