Virus erreicht Höchstgericht
Am VfGH stehen brisante Fälle an. Aber nur, wenn das Gericht seine eigene Regel ändert, wird inhaltlich zu Covid-19 entschieden.
War es in Ordnung, Unternehmer unterschiedlich zu behandeln oder Entschädigungen zu verwehren? Durfte man Bürger wegen des Virus derart in der Freiheit beschränken? Es sind Fragen wie diese, die der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in seiner am Montag gestarteten Session klären soll.
Mit Spannung wird die Frage verfolgt, ob die Richter die Coronaregeln zum Anlass nehmen, um bei den Voraussetzungen für eine Beschwerde auf einen liberaleren Kurs umzuschwenken. Denn nur dann darf man in naher Zukunft überhaupt mit einer inhaltlichen Entscheidung zu Corona rechnen. Aber worum geht es vor dem VfGH genau? Und welche Fälle stehen abseits von Covid-19 in der JuniSession des Gerichtshofs noch an?
Entschädigung
Rund 70 Beschwerden gegen die Coronaregeln sind beim VfGH insgesamt eingelangt. In einem Teil davon geht es um (vor allem Tiroler) Unternehmer, die eine Entschädigung wegen Betriebsschließungen wollen. Allerdings wurde im Covid-19-Maßnahmengesetz festgelegt, dass es diesmal keine Entschädigungen nach dem Epidemiegesetz geben wird.
Grundsätzlich darf das Parlament aber Gesetze ändern, wenn es das will. Wird das Geschehene jedoch als pure Anlassgesetzgebung eingestuft, könnte die Maßnahme verfassungswidrig sein.
Nachteil für große Geschäfte
Vor den VfGH gingen auch Firmen, die nicht verstehen, warum zunächst nur Geschäfte mit bis zu 400 Quadratmetern aufsperren durften. Größeren Geschäften wurde es auch verboten, die Verkaufsfläche zu verkleinern, um als kleineres Geschäft aufzumachen. Das könnte gleichheitswidrig sein.
Persönliche Freiheit
Einigen Antragstellern missfällt, dass ihre Freiheitsrechte (keine Demo, eingeschränkter Kontakt zu anderen) beschnitten wurden. Das ist in Ausnahmefällen zulässig, aber ob es auch in dieser Intensität erlaubt war, soll der VfGH klären. Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich gab es wegen der in der Verordnung gewählten Formulierung aber etwa gar kein Verbot, andere zu besuchen. Auch wenn die Regierung anderes erzählte.
Das Problem mit dem Antrag
Scheitern könnten die Anträge aber bereits aus formalen Gründen. Denn bei den momentan anhängigen Fällen handelt es sich um welche, die direkt an den VfGH herangetragen wurden. Manche Unternehmer wollen etwa eine Epidemie-Entschädigung vom Bund, ohne sich vorher durch Behörden (Bescheide) und unterinstanzliche Gerichte durchzukämpfen. Diese Mission wird schwierig.
Aber auch im Streit um die Quadratmeter kann es für die Geschäftsleute im Juni nur dann einen Erfolg geben, wenn der VfGH von seiner bisher strengen Linie abrückt. Die Geschäftsleute haben sich mit einem sogenannten Individualantrag direkt an die Höchstrichter gewandt.
Nach seiner bisherigen, aber strittigen Judikatur behandelt der VfGH solche Anträge inhaltlich nicht, wenn die Maßnahmen inzwischen außer Kraft getreten sind (das „Presse“-Rechtspanorama berichtete darüber im April). Das ist aber nun der Fall, weil alle Geschäfte wieder öffnen dürfen.
Der Grazer Rechtsanwalt Georg Eisenberger, der Geschäftsleute vor dem VfGH vertritt, hält jedoch eine Judikaturwende aus aktuellem Anlass für möglich, wie er der „Presse“erklärt. Falls das nicht geschehe, brauche es eine Gesetzesänderung, meint er. So solle dann ein Schnellverfahren vor dem VfGH (wie in Deutschland) ermöglicht werden. Dort entschieden Gerichte innerhalb weniger Wochen, dass manche Coronamaßnahmen (Demoverbote, Quadratmeter-Beschränkung) unzulässig waren. Der Umweg als Plan B
Bleibt der VfGH bei seinen strikten formalen Regeln, müssten Betroffene Umwege gehen. So könnten Geschäftsleute im QuadratmeterStreit erst bei Zivilgerichten auf Amtshaftung klagen, um im Rahmen dieses Verfahrens zum VfGH zu kommen. Die Frage der Freiheitsbeschränkungen wäre nur zu klären, wenn jemand, der selbst bestraft wurde, bis zum Höchstgericht geht. All dies würde dauern.
Sterbehilfe, Kopftuch, Plastik
Neben Corona muss der VfGH in der aktuellen Session klären, ob das Kopftuchverbot in Schulen hält. Ob die Sterbehilfe schwer Kranken untersagt werden kann. Und ob das Ende der Plastiksackerln in Ordnung ist.
Kein Thema ist beim VfGH noch die Sperrstundenregel. Aber wie steht es um den Fall des Bundespräsidenten, der fast eineinhalb Stunden nach 23 Uhr noch am Tisch eines Lokals saß? „Wir führen Erhebungen durch“, heißt es dazu aus dem Magistrat Wien.