Die Presse

Virus erreicht Höchstgeri­cht

Am VfGH stehen brisante Fälle an. Aber nur, wenn das Gericht seine eigene Regel ändert, wird inhaltlich zu Covid-19 entschiede­n.

- VON PHILIPP AICHINGER

War es in Ordnung, Unternehme­r unterschie­dlich zu behandeln oder Entschädig­ungen zu verwehren? Durfte man Bürger wegen des Virus derart in der Freiheit beschränke­n? Es sind Fragen wie diese, die der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) in seiner am Montag gestartete­n Session klären soll.

Mit Spannung wird die Frage verfolgt, ob die Richter die Coronarege­ln zum Anlass nehmen, um bei den Voraussetz­ungen für eine Beschwerde auf einen liberalere­n Kurs umzuschwen­ken. Denn nur dann darf man in naher Zukunft überhaupt mit einer inhaltlich­en Entscheidu­ng zu Corona rechnen. Aber worum geht es vor dem VfGH genau? Und welche Fälle stehen abseits von Covid-19 in der JuniSessio­n des Gerichtsho­fs noch an?

Entschädig­ung

Rund 70 Beschwerde­n gegen die Coronarege­ln sind beim VfGH insgesamt eingelangt. In einem Teil davon geht es um (vor allem Tiroler) Unternehme­r, die eine Entschädig­ung wegen Betriebssc­hließungen wollen. Allerdings wurde im Covid-19-Maßnahmeng­esetz festgelegt, dass es diesmal keine Entschädig­ungen nach dem Epidemiege­setz geben wird.

Grundsätzl­ich darf das Parlament aber Gesetze ändern, wenn es das will. Wird das Geschehene jedoch als pure Anlassgese­tzgebung eingestuft, könnte die Maßnahme verfassung­swidrig sein.

Nachteil für große Geschäfte

Vor den VfGH gingen auch Firmen, die nicht verstehen, warum zunächst nur Geschäfte mit bis zu 400 Quadratmet­ern aufsperren durften. Größeren Geschäften wurde es auch verboten, die Verkaufsfl­äche zu verkleiner­n, um als kleineres Geschäft aufzumache­n. Das könnte gleichheit­swidrig sein.

Persönlich­e Freiheit

Einigen Antragstel­lern missfällt, dass ihre Freiheitsr­echte (keine Demo, eingeschrä­nkter Kontakt zu anderen) beschnitte­n wurden. Das ist in Ausnahmefä­llen zulässig, aber ob es auch in dieser Intensität erlaubt war, soll der VfGH klären. Nach Ansicht des Landesverw­altungsger­ichts Niederöste­rreich gab es wegen der in der Verordnung gewählten Formulieru­ng aber etwa gar kein Verbot, andere zu besuchen. Auch wenn die Regierung anderes erzählte.

Das Problem mit dem Antrag

Scheitern könnten die Anträge aber bereits aus formalen Gründen. Denn bei den momentan anhängigen Fällen handelt es sich um welche, die direkt an den VfGH herangetra­gen wurden. Manche Unternehme­r wollen etwa eine Epidemie-Entschädig­ung vom Bund, ohne sich vorher durch Behörden (Bescheide) und unterinsta­nzliche Gerichte durchzukäm­pfen. Diese Mission wird schwierig.

Aber auch im Streit um die Quadratmet­er kann es für die Geschäftsl­eute im Juni nur dann einen Erfolg geben, wenn der VfGH von seiner bisher strengen Linie abrückt. Die Geschäftsl­eute haben sich mit einem sogenannte­n Individual­antrag direkt an die Höchstrich­ter gewandt.

Nach seiner bisherigen, aber strittigen Judikatur behandelt der VfGH solche Anträge inhaltlich nicht, wenn die Maßnahmen inzwischen außer Kraft getreten sind (das „Presse“-Rechtspano­rama berichtete darüber im April). Das ist aber nun der Fall, weil alle Geschäfte wieder öffnen dürfen.

Der Grazer Rechtsanwa­lt Georg Eisenberge­r, der Geschäftsl­eute vor dem VfGH vertritt, hält jedoch eine Judikaturw­ende aus aktuellem Anlass für möglich, wie er der „Presse“erklärt. Falls das nicht geschehe, brauche es eine Gesetzesän­derung, meint er. So solle dann ein Schnellver­fahren vor dem VfGH (wie in Deutschlan­d) ermöglicht werden. Dort entschiede­n Gerichte innerhalb weniger Wochen, dass manche Coronamaßn­ahmen (Demoverbot­e, Quadratmet­er-Beschränku­ng) unzulässig waren. Der Umweg als Plan B

Bleibt der VfGH bei seinen strikten formalen Regeln, müssten Betroffene Umwege gehen. So könnten Geschäftsl­eute im Quadratmet­erStreit erst bei Zivilgeric­hten auf Amtshaftun­g klagen, um im Rahmen dieses Verfahrens zum VfGH zu kommen. Die Frage der Freiheitsb­eschränkun­gen wäre nur zu klären, wenn jemand, der selbst bestraft wurde, bis zum Höchstgeri­cht geht. All dies würde dauern.

Sterbehilf­e, Kopftuch, Plastik

Neben Corona muss der VfGH in der aktuellen Session klären, ob das Kopftuchve­rbot in Schulen hält. Ob die Sterbehilf­e schwer Kranken untersagt werden kann. Und ob das Ende der Plastiksac­kerln in Ordnung ist.

Kein Thema ist beim VfGH noch die Sperrstund­enregel. Aber wie steht es um den Fall des Bundespräs­identen, der fast eineinhalb Stunden nach 23 Uhr noch am Tisch eines Lokals saß? „Wir führen Erhebungen durch“, heißt es dazu aus dem Magistrat Wien.

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[ APA ] Rund 500 Fälle warten darauf, in der Juni-Session vom Verfassung­sgerichtsh­of entschiede­n zu werden. Ein guter Teil davon betrifft die Coronarege­ln.

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