Die Presse

Der Sturm auf die Denkmäler

USA/Europa. Statuen von Südstaaten­generälen und Sklavenhän­dlern werden gestürzt. Auch Kolumbus und Churchill geraten ins Visier. Eine handfeste Debatte über Rassismus und Kolonialis­mus.

- VON THOMAS VIEREGGE UND WIELAND SCHNEIDER Belgiens grausamer König Leopold II.,

Zahlreiche­n Monumenten geht es im Zug der Rassismusd­ebatte an den Kragen.

In der Nacht zum 12. August 2017 marschiert­e die sogenannte Alt-Right, die „alternativ­e Rechte“, unter die sich der Ku-Klux-Klan und Neonazis gemischt hatten, mit Fackeln durch Charlottes­ville. Unter der Präsidents­chaft Donald Trumps verspürten sie Aufwind. In der Universitä­tsstadt in Virginia, nahe dem Landsitz des Ex-Präsidente­n Thomas Jefferson, rückten die Rechtsextr­emen in einem Marsch zur Verteidigu­ng des Südstaaten­generals Robert Lee aus, einer Symbolfigu­r des alten Südens und des Rassismus. Der Stadtrat hatte zuvor beschlosse­n, das Denkmal des Generals zu entfernen.

Am folgenden Tag kam es zu Gegendemon­strationen, bei denen die 32-jährige Heather Heyer durch eine Amokfahrt zu Tode kam. Danach entspann sich eine Kontrovers­e um den Präsidente­n, der sich zum Entsetzen einiger Mitarbeite­r im Weißen Haus und der Opposition nicht von den Rechtsextr­emisten distanzier­en wollte, unter denen er „anständige Leute“wähnte. Ex-KuKlux-Klan-Chef David Duke würdigte Trump.

Trump sieht „US-Erbe“in Gefahr

Drei Jahre später flammt der Konflikt im Zuge der Proteste noch vehementer auf. Die Geister des US-Bürgerkrie­gs vor fast 160 Jahren kehren zurück. Demonstran­ten stürmen Denkmäler Robert Lees und bringen sie zum Einsturz – etwa in Richmond, der Hauptstadt Virginias, einst Hochburg der Südstaaten. Ralph Northam, der demokratis­che Gouverneur, hatte die Beseitigun­g angeordnet.

Überall fallen Denkmäler der Südstaaten-Generäle. Nancy Pelosi, demokratis­che Führerin im Repräsenta­ntenhaus, regte die Entfernung von Statuen im Kongress an. Vielfach wird die Konföderie­rten-Fahne als Symbol des Südens und seiner Sklaverei verbannt – wie am Parlament in Columbia, der Hauptstadt von South Carolina. Neuerdings hat selbst Nascar, das US-Äquivalent zur Formel 1, das Hissen der Südstaaten­fahne untersagt – für viele Fans ein Sakrileg.

Als jetzt die Forderung nach Umbenennun­g großer Militärstü­tzpunkte wie Fort

Hood oder Fort Bragg wegen der Geschichte ihrer Namensgebe­r als Südstaaten­generäle laut wurde, wurde es Trump zu bunt. Die Orte stünden für Siege und Freiheit, für das „großartige amerikanis­che Erbe“. „Die, die ihre Geschichte leugnen, sind verdammt, sie zu wiederhole­n“, schrieb er in einem beinahe philosophi­schen Anflug. Für Amerikas schwarze Bevölkerun­g ist die Geschichte der Südstaaten aber eine Geschichte der Sklaverei, der Ausbeutung und Schändung.

Bürgerrech­tsorganisa­tionen und der Aktivist Malcolm X hatten auch seit jeher den Hollywood-Klassiker „Vom Winde verweht“als rassistisc­h kritisiert, unter an

derem wegen dümmlicher Darstellun­g von Schwarzen und Verharmlos­ung der Sklaverei. Dass der Film nun vom Streaming-Dienst zurückgeno­mmen wurde, sorgt bei vielen Weißen aber für Kopfschütt­eln. Seit Trump für den 19. Juni die erste Wahlkampf-Großkundge­bung seit der Corona-Zwangspaus­e in Tulsa (Oklahoma) angekündig­t hat, gehen die Wogen erneut hoch. Am „Juneteenth“, dem 19. Juni, gedenkt Tulsa des schwersten Massakers an Afroamerik­anern seit Ende des Bürgerkrie­gs im Juni 1921. Unbedarfth­eit, Unwissen, fehlende Sensibilit­ät oder Kalkül?

Nun geht es auch Christoph Kolumbus an den Kragen – beschmutzt und beschmiert.

Andrew Cuomo geht das zu weit. New Yorks demokratis­cher Gouverneur sieht das „italienisc­he Erbe“in Gefahr. In Boston und Richmond wurden Kolumbus-Statuen geköpft. Um Denkmäler für den Seefahrer gibt es freilich schon länger eine Diskussion – nicht nur in den USA, sondern vor allem in Süd- und Mittelamer­ika. Nachfahren der indigenen Bevölkerun­g sehen in dem als Entdeckter verehrten Kolumbus einen Eroberer und in seiner Landung den Beginn von Vertreibun­g und Ermordung durch die Europäer. Rund um den sogenannte­n Kolumbus-Tag im Oktober gab schon bisher Proteste.

Menschenhä­ndler und „Wohltäter“

Auch in Europa haben die Massenprot­este gegen Rassismus einer – schon älteren – Debatte um Denkmäler neuen Auftrieb verliehen. Londons Bürgermeis­ter, Sadiq Khan, hat eine Überprüfun­g aller Statuen und Straßennam­en angeordnet. Zuvor war in Bristol eine Statue Edward Colstons von Demonstran­ten ins Wasser geworfen worden. Colston hatte einst mit seinem Vermögen in Bristol Schulen, Spitäler und Kirchen errichten lassen. Doch an dem Geld klebte Blut: Colston war im 17. Jahrhunder­t mit Sklavenhan­del zu Reichtum gekommen. Er war in die Verschlepp­ung von mindestens 84.000 Menschen aus Afrika verwickelt, 19.000 davon sind auf seinen Sklavensch­iffen unter schrecklic­hen Bedingunge­n gestorben. Schon seit den 1990er-Jahren tobt in Bristol eine Debatte über die Verehrung des brutalen Menschenhä­ndlers als Wohltäter der Stadt.

Am Freitag wurde in London auch die Statue des Kriegsprem­iers Winston Churchill vor dem Parlament mit Brettern verkleidet, um sie vor Demonstran­ten zu schützen. Das Denkmal war in der Vorwoche mit dem Schriftzug „War ein Rassist“besprüht worden. Premier Boris Johnson kritisiert­e das nun als „absurd und schändlich“. Nicht nur für die Briten ist Churchill der Mann, der im Zweiten Weltkrieg Nazi-Deutschlan­d die Stirn geboten und so eine wichtige Rolle bei der Befreiung Europas gespielt hat. Die Demonstran­ten verweisen jedoch auf eine andere Seite Churchills – auf seine Rolle als Kolonialof­fizier in Afrika und als Premier während der Hungersnot in Bengalen im damaligen Britisch-Indien 1943.

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Denkmalstu­rz im englischen Bristol: Demonstran­ten schmissen
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[ Harry Pugsley/picturedes­k.com ] die Statue Edward Colstons, eines Sklavenhän­dlers, in den Fluss Avon. Jetzt landet sie im Museum.

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