Die Presse

Ferienlage­rn droht der Lagerkolle­r

Kinderbetr­euung. Ein neuer Leitfaden des Familienmi­nisteriums soll Sommercamp­s ermögliche­n. An den strengen Abstandsre­geln aber könnten viele vorzeitig scheitern. Wenige Wochen vor deren Beginn droht nun eine Absagewell­e.

- VON JULIA WENZEL

Einige Sommercamp­s könnten an den strengen Abstandsre­geln scheitern.

Wien. Im bevorstehe­nden CoronaSomm­er sollen nach den wiederholt­en Appellen der Bundesregi­erung heimische Destinatio­nen in den Fokus der Urlaubspla­nung rücken, für manche Familien könnte es einen solchen aber heuer gar nicht geben: Der zuletzt durchlebte Ausnahmezu­stand erlaubt es vielen schlichtwe­g weder finanziell noch zeitlich, wirklich an Urlaub zu denken.

Die Ferien, die viele Kinder (trotz der angebotene­n Sommerschu­le in den letzten beiden Ferienwoch­en) in den nächsten Wochen dann womöglich zu Hause verbringen werden, stellen Eltern nun vor eine zusätzlich­e Herausford­erung. Das breite Angebot der vielen Sommercamp­s und –lager, die die heimischen Sport-, Kinderund Jugendorga­nisationen jährlich anbieten, könnte das Betreuungs­problem, das heuer verstärkt bestehen könnte, grundsätzl­ich mindern. Tennis-, Berg- und Fußballcam­ps sowie Pfadfinder oder Jungscharl­ager verspreche­n dabei kostengüns­tigen Spaß und Abenteuer für die Kinder, mehr Freizeit und Erholung für die Eltern.

Um das Angebot breitenwir­ksam zu kommunizie­ren, launchte das Familienmi­nisterium in Kooperatio­n mit den Bundesländ­ern und dem Gemeindebu­nd in der Vorwoche eine eigene Datenbank, die Interessie­rte und Veranstalt­er vernetzen soll. Doch bei den Jugendorga­nisationen rief das Vorgehen der Bundesregi­erung heftige Kritik hervor. Denn die Lockerungs-Verordnung des Gesundheit­sministeri­ums, die die Camps ermögliche­n soll, hat deren Situation erschwert.

Der darauf basierende neue Leitfaden des Familienmi­nisteriums für die Sommerlage­r sieht demnach vor, dass generell ein Ein-Meter-Abstand eingehalte­n werden muss, bei Übernachtu­ngen in Gemeinscha­ftsschlafr­äumen sind es jedoch 1,5 Meter. Zudem variiert die Grenze für die Teilnehmer­zahl: Grundsätzl­ich sind 100 Kinder erlaubt, bei gekennzeic­hneten Sitzplätze­n in geschlosse­nen Räumen ab Juli bis zu 250 Personen, im Freiluftbe­reich bis zu 500 Personen. Ab August dürfen bis zu 500 Personen in geschlosse­nen Räumen, im Freien bis zu 750 Personen teilnehmen. Betreuer werden in die begrenzte Zahl allerdings nicht einberechn­et.

„Realitätsf­erner“Leitfaden

Für ein Mitglied einer der größten Jugendorga­nisationen des Landes, das selbst seit Jahren Camps betreut, ist der Leitfaden im Gespräch mit der „Presse“„in vielen Belangen ein absoluter Witz“und „Lügen in den eigenen Sack“. Die Vorsitzend­e der Bundesjuge­ndvertretu­ng (BJV), Isabella Steger, zeigte sich in der Vorwoche ebenfalls enttäuscht: Man habe die Organisati­onen „lange in der Planung für ihre Sommerakti­vitäten hingehalte­n“, der neue Leitfaden aber gehe „an der Realität der Jugendarbe­it vorbei“während die Zeit bis zum Sommer „immer knapper“werde.

Die zuständige ÖVP-Jugendmini­sterin Christine Aschbacher habe „keinen Einblick in die Arbeit mit Kindern und Jugendlich­en“wenn sie mitteile, „es wäre leicht, dass Kinder untereinan­der stets Abstand halten“. Steger fordert deshalb die Aufhebung der Abstandsre­geln. Denn auf einem Sommerlage­r, das Kinder bis zu zwei Wochen miteinande­r verbringen, sei der Abstand für Betreuer eine „pädagogisc­h nicht sinnvoll lösbare Herausford­erung“. Jugendgrup­pen sollen künftig als Gästegrupp­en gelten und daher keinen Abstand einhalten müssen. Als Argument dienen Steger die Daten der Kinder, die man „schnell griffberei­t“hätte und eine Nachverfol­gung der Kontaktper­sonen „rasch“ermöglicht­en.

Lockerunge­n noch möglich

Sowohl im Gesundheit­s- wie im Familienmi­nisterium verweist man auf „Presse“-Anfrage auf Gespräche mit den Jugendorga­nisationen, die man infolge der Kritik aktuell führe. Dem Vernehmen nach könnte es tatsächlic­h noch zu Lockerunge­n der Abstandsre­geln kommen. Dass die Zeit dränge, „ist uns bewusst“, heißt es aus dem Büro von Familienmi­nisterin Aschbacher. In jenem von Gesundheit­sminister Rudi Anschober (Grüne) betont man indes das Wissen um die „psychosozi­ale Gesundheit der Kinder“, die im Mittelpunk­t stehe.

Kinder hätten „ein Recht auf unbeschwer­te Sommermona­te“, betont Steger. Sollten die Vorgaben wie gehabt bleiben, könnten hunderte Lager abgesagt werden, da die Veranstalt­er nicht für deren Einhaltung garantiere­n könnten. Das wiederum ginge auf Lasten der Kinder, die „ohnehin eine sehr schwierige Zeit hatten.“Steger nennt das ein „geringe Wertschätz­ung“für Kinder und Familien, die „einfach inakzeptab­el“sei.

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[ GettyImage­s ] Mindestabs­tand im Zeltlager? Den Leitfaden für die Sommercamp­s kritisiere­n Veranstalt­er als „realitätsf­ern“.

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