So nah war Tirol an Neuwahlen
Analyse. Als wieder Gras über die Causa Geisler zu wachsen schien, verblüffte Karoline Edtstadler mit eindeutigen Aussagen. Und befeuerte damit einen Konflikt, der in einen Showdown mündete.
Innsbruck. Viel fehlte nicht – und Landeshauptmannstellvertreter Josef Geisler (ÖVP) hätte akzeptieren müssen, mit seiner sexistischen Beleidigung der WWF-Mitarbeiterin Marianne Götsch und der darauf folgenden Verharmlosung seiner Aussage „widerwärtiges Luder“den Anlass für das Ende der schwarz-grünen Regierung in Tirol geliefert zu haben.
Der Bruch wurde am Mittwochabend quasi in letzter Sekunde abgewendet. Übrig bleiben zwei beschädigte Parteien, die sich letztlich frustriert und aus Mangel an Alternativen, nicht aus Überzeugung für den Fortbestand der Koalition aussprachen.
Was war passiert? Nach der Beleidigung Götschs am Mittwoch vergangener Woche entschuldigte sich Geisler zunächst medial, später auch telefonisch und persönlich bei ihr. Landeshauptmann Günther Platter und Frauenministerin Susanne Raab (beide ÖVP) verurteilten seine „verbale Entgleisung“, ein Rücktritt seien aber nicht notwendig.
Heftiger fiel die Kritik der Tiroler Grünen aus, personelle Konsequenzen forderten aber auch sie nicht – wohl auch deswegen, weil die grüne Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe bei dem Eklat direkt neben Geisler stand und seinen Sager dennoch nicht mitbekommen haben will.
Der Auftritt Edtstadlers
Daher schien die Angelegenheit gegen Ende der Woche schon wieder erledigt zu sein – ehe Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Sonntag in der ZIB 2 auftrat und die bis dahin schärfsten Worte in dieser Causa fand.
Über Geislers Beschimpfung könne man nicht einfach hinweggehen. „Gewalt gegen Frauen beginnt sehr oft bei Worten“, sagte sie mit Blick auf die Ermordung zweier Frauen in Kärnten am Samstag. „Wir haben das jetzt wieder gesehen bei einem Doppelmord, das kommt nicht von heute auf morgen. Keiner wird von heute auf morgen zum Mörder, sondern da geht es ganz früh los, was in der Gesellschaft los ist, und wie man Frauen gegenübertritt.“Aussagen, die selbst innerhalb der ÖVP für Irritationen sorgten. Edtstadler wurde vorgehalten, ihren Standpunkt nicht abgesprochen zu haben.
In Tirol brachte sie damit jedenfalls eine ganz neue Dynamik in Gang. Platter fühlte sich vor den Kopf gestoßen, war aber rasch beruhigt, zu hören, dass es sich um keine gezielte türkise Attacke gegen den schwarzen Landeshauptmann handelt. Zuletzt war nämlich wiederholt Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck als mögliche Nachfolgerin ins Spiel gebracht worden, sollte die Aufbereitung der Ereignisse in Ischgl Dinge ans Tageslicht bringen, deren politische Verantwortung er nicht auf Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) abwälzen kann.
Die Gunst der Stunde in Form der unbeabsichtigten Schützenhilfe Edtstadlers nutzen wollten unterdessen die Grünen, um dem Koalitionspartner weitreichende Zugeständnisse abzuringen. Dazu trug auch der wachsende Unmut innerhalb der Partei bei – vor allem durch einen Artikel der „Süddeutschen Zeitung“, in dem Geislers
Büro erklären wollte, der Begriff „Luder“sei nicht frauenfeindlich, nicht einmal „zwingend negativ“. „Luada“werde „in Tirol umgangssprachlich für eine schlitzohrige, hartnäckige Person verwendet, die einen austrickst“.
Platter sucht Befreiungsschlag
Am Dienstag forderte schließlich Landessprecher Christian Altenweisl per Presseaussendung die Einberufung des Koalitionsausschusses für nächste Woche – der Beginn der Eskalation. In den „Beschlusspunkten“hieß es, die Grünen würden die inhaltlichen Forderungen des WWF „wie zum Beispiel den Stopp der überzogenen Wasserkraft-Ausbaupläne“unterstützen.
Zudem bedürfe die „sexistische Entgleisung von Geisler einer intensiven Debatte auf Landesebene über Sexismus, Frauenfeindlichkeit und Gleichstellung. Mit einer Entschuldigung ist es nicht getan“. Wenn schon kein Rücktritt, wurde zumindest darauf gehofft, dass Geisler die Wasserkraft-Agenden abgeben muss. Auch hohen Investitionen in Gleichberechtigungs- und Gewaltpräventions-Initiativen sollte die ÖVP zustimmen.
Solcherart unter Druck gesetzt suchte Platter den Befreiungsschlag und überrumpelte die Grünen seinerseits, indem er ihnen (wiederum öffentlich) ausrichtete, sie sollten keine „politischen Spielchen“spielen und mit Neuwahlen spekulieren. Er legte noch einen drauf, zog die Einberufung des Koalitionsausschusses auf Mittwoch vor und forderte jene gemeinsame Erklärung, die am selben Abend von beiden Parteien ausgeschickt und in der Einigkeit betont wurde. Als Druckmittel stellte er dem Vernehmen nach nichts Geringeres als das Ende der Koalition in Aussicht.
Wohl ahnend, dass Neuwahlen auch die ÖVP, aber noch stärker die Grünen beschädigen und ihre Rückkehr in die Opposition auf unbestimmte Zeit bedeuten könnten, lenkten sie ein und verzichteten auf den Großteil ihrer Forderungen bzw. verschoben sie. Wie schwer es ihnen fiel und wie nah die Koalition am Ende war, zeigt die Abstimmung im Klub, die mit dem knappestmöglichen Ergebnis ausging.