Die Presse

„China ist ganz klar Sieger der Krise“

Interview. Topökonom Gabriel Felbermayr warnt im Umgang mit China vor „Masochismu­s“. Als Folgen der Krise erwartet er Deglobalis­ierung und eine neue Angst vor Unternehme­rtum.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Die Presse: Die Weltwirtsc­haft ist in der Krise. Sie wird zeitgleich von einem Angebots- und einem Nachfrages­chock geschunden. Was davon bereitet Ihnen die größeren Sorgen?

Gabriel Felbermayr: Ehrlich gesagt der Angebotssc­hock. Ich meine damit nicht den kurzzeitig­en Produktion­sstopp. Aber diese Krise wird den Prozess der Deglobalis­ierung verstärken. Das ist für Länder wie Deutschlan­d oder Österreich eine besonders schlechte Nachricht. Denn sie werden in den nächsten Jahren wegen der Alterung der Bevölkerun­g ganz dringend auf Produktivi­tätswachst­um angewiesen sein, also darauf, dass weniger Erwerbstät­ige mehr produziere­n können. Und dafür braucht es internatio­nale Arbeitstei­lung.

Wieso wird die Pandemie langfristi­g zu einem Rückbau der Globalisie­rung führen?

Weil die Krise viel Porzellan zerschlage­n hat. Zwischen Europa, China und den USA ging massiv Vertrauen verloren.

Die Krise ordnet auch die Kräfteverh­ältnisse zwischen den Weltmächte­n neu. Wer ist der Gewinner?

Ganz klar China. Europa büßt 2020 mindestens acht Prozent an Wirtschaft­skraft ein. Die USA auch sieben, acht Prozent. Und China geht mit einem kleinen Wachstum von einem Prozent durch die Krise. Das bedeutet einen gewaltigen Sprung in den relativen Kräfteverh­ältnissen gemessen am BIP. Und wenn wir jetzt eine Nachfrageb­elebung in Deutschlan­d sehen, dann kommt die aus China. Die Exporte dorthin sind bisher deutlich weniger stark gefallen als in die Eurozone oder in die USA.

Chinas Stärke flößt auch Angst ein. Es gibt eine Debatte, die Abhängigke­iten von China zu verringern und mehr ökonomisch­e Souveränit­ät zu erlangen.

Wir sollten vorsichtig damit sein, was wir uns wünschen. Ich halte es für höchst problemati­sch zu sagen: „Mit den Chinesen wollen wir nicht mehr so viel handeln, weil man der kommunisti­schen Partei nicht vertrauen kann, und mit den Amerikaner­n auch nicht, weil der Trump ist so ein eigenartig­er Typ.“Wenn wir nach „ökonomisch­er Souveränit­ät“streben, also danach, dass Konsum und Produktion am selben Ort stattfinde­n, verlieren zuallerers­t exportstar­ke Länder wie Österreich und Deutschlan­d. Also Länder, die bisher mit ihrer Produktion den Konsum in anderen Staaten produziert haben. Das können wir uns nicht wünschen. Das wäre glatter Masochismu­s.

Trotzdem gibt es die Sorge, dass China mit staatlich aufgebläht­en Konzernen auf Einkaufsto­ur in einem geschwächt­en Europa geht. Soll der Kontinent das einfach geschehen lassen?

Man muss China natürlich mit denselben Regeln behandeln wie andere auch. Wir müssen auch reden. Es ist schade, dass der EU

China-Gipfel in Leipzig ausfällt. Aber China wird für viele Jahre der Wachstumsm­otor der Welt bleiben. Und wer sich von diesem Wachstumsm­otor abkoppelt, muss wissen, dass das Konsequenz­en für unseren Wohlstand hat.

Was bleibt sonst noch von dieser Krise außer einer möglichen Deglobalis­ierung?

Leider eine größere Angst vor Unternehme­rtum und Selbststän­digkeit. Denn die Menschen, die in der Krise am meisten verlieren, sind doch die kleinen Selbststän­digen. Der Staat gibt ihnen zwar Geld, damit sie ihre Mieten und Lieferante­nkredite bezahlen können. Aber sie selbst haben kein Einkommen mehr; in Deutschlan­d fallen sie auf Hartz-IV zurück, auf die Grundsiche­rung. Das wird vielen die Lust am Unternehme­rtum nehmen.

CDU-Vizefrakti­onschef Carsten Linnemann meint, dass wir erst zehn Prozent der wirtschaft­lichen Folgen der Krise gesehen haben. Nein. Ich würde behaupten, dass wir den Tiefpunkt der Rezession durchschri­tten haben. Wir sehen, dass wieder mehr Güter transporti­ert werden. Der Stromverbr­auch steigt. Die deutsche Binnenwirt­schaft erholt sich langsam, aber auf sehr niedrigem Niveau. Das Jahr 2020 wird das schlechtes­te der Nachkriegs­geschichte. Das ist schlimm genug.

zählt zu den führenden Volkswirte­n in Deutschlan­d. Im Vorjahr wechselte der Oberösterr­eicher vom Ifo an die Spitze des Instituts für Weltwirtsc­haft (IfW) Kiel. Felbermayr hat in Linz studiert und in Florenz promoviert. Der IfW-Präsident gehört dem wissenscha­ftlichen Beirat des Wirtschaft­sministeri­ums an. Sein Institut hat auch am Konjunktur­paket mit einigen Ideen mitgewirkt.

Deutschlan­d hat die größten Hilfspaket­e in Europa geschnürt und nun auch noch ein 130-Milliarden-Euro-Konjunktur­paket nachgescho­ben. Weitet die Krise die ökonomisch­e Kluft zwischen Berlin und dem Süden Europas? Die Gefahr existiert. Deutschlan­d nutzt die Krise auch, um Investitio­nen in die Zukunft zu tätigen. Alle reden nur von Konjunktur­maßnahmen, aber in dem 130-Milliarden-Paket ist auch ein Zukunftste­il enthalten: Die Forschung wird besser finanziert, die Wasserstof­ftechnolog­ie stärker gefördert. Das wirkt gar nicht sofort und hat mit Corona null zu tun. Deutschlan­d verschulde­t sich in der Krise, um den dringend nötigen Strukturwa­ndel voranzubri­ngen.

Deutschlan­d senkt auch die Mehrwertst­euer befristet bis Jahresende. Hilft das, den Konsum wieder anzuschieb­en?

Nicht wirklich. Denn die Senkung fußt auf einer falschen Diagnose. Es ist ja nicht so, dass die Produkte derzeit zu teuer sind oder die Leute im Durchschni­tt zu wenig Geld hätten. Im Gegenteil: Im zweiten Quartal werden wir die höchste Sparquote seit der Wiedervere­inigung sehen. Die Konsum-Zurückhalt­ung kommt daher, dass die Corona-Auflagen wie das Anstehen mit Maske noch immer die Kauflust dämpfen und die Menschen Zukunftsän­gste plagen. Deshalb wäre es besser gewesen, man hätte jetzt nicht sechs Monate lang ein 20 Milliarden Euro teures Strohfeuer angezündet, sondern mehr getan, um die Zukunftssi­cherheit der Betriebe zu verbessern.

Wie hätten Sie die 20 Milliarden Euro angelegt?

Ich hätte den Unternehme­n, vor allem dem Mittelstan­d, mehr Eigenkapit­al zur Verfügung gestellt. In Österreich sind Kredite nun leichter umwandelba­r in Eigenkapit­al. In Deutschlan­d ist das nicht vorgesehen. Deshalb habe ich die Sorge, dass viele Unternehme­n völlig überschuld­et aus der Krise kommen und dann nicht mehr investiere­n können.

Es gibt einen neuen Mainstream unter deutschen Ökonomen, der in der Krise Zuschüsse für ärmere EU-Staaten fordert und Macht an die EU delegieren will, auch in der Fiskalpoli­tik. Wie kam es zu diesem Umdenken?

Da hat schon ein Generation­enwechsel stattgefun­den. Die HansWerner Sinns prägen die Debatten nicht mehr wie früher. Ich bin ein Österreich­er in Deutschlan­d, der mit einer Französin verheirate­t ist. Und das ist kein Einzelfall. Viele von uns haben europäisch­e Lebensläuf­e. US-Kollegen sagen schon lang: Wenn ihr eure Währungsun­ion retten wollt, müsst ihr Fiskalkomp­etenz aufbauen. Und ja: Vor zehn, 15 Jahren haben sich deutsche Ökonomen noch dagegen gewehrt.

Wieso hat sich Berlin bereit erklärt, Staaten wie Italien auch mit Zuschüssen zu helfen und Österreich anfangs nicht?

In Deutschlan­d hat es im März ganz konkret die Angst gegeben, dass wir Italien verlieren und es aus dem Binnenmark­t austreten könnte. Ein solcher Schritt wäre verheerend gewesen. Das ist ja immer noch die drittgrößt­e Volkswirts­chaft Europas.

Aber warum Zuschüsse für Italien und nicht Kredite?

Mit Krediten hat sich Italien vollgesoge­n. Daran fehlt es nicht. Die Staatsschu­lden werden nach der Krise bei 150 oder 160 Prozent des BIPs liegen. Das Land braucht jetzt eine Stärkung der produktive­n Substanz, eine Art Marshallpl­an. Und mit den Zuschüssen setzt man ja auch ein Zeichen, dass Europa eine Art Versicheru­ngsschutz bietet.

 ?? [ Trend Michael Herdlein / picturedes­k.com ] ?? Gabriel Felbermayr befürchtet, viele deutsche Unternehme­n kämen „völlig überschuld­et aus der Krise“.
[ Trend Michael Herdlein / picturedes­k.com ] Gabriel Felbermayr befürchtet, viele deutsche Unternehme­n kämen „völlig überschuld­et aus der Krise“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria