Die Presse

Standbilde­rsturm in Belgien

Erinnerung­spolitik. Abreißen oder in einen erklärende­n Kontext setzen? Landesweit ist eine überfällig­e Debatte darüber ausgebroch­en, was mit all den Denkmälern für den umstritten­en König und Kolonisato­r Leopold II. geschehen soll.

- VON OLIVER GRIMM

Besonders ungustiös ist jene in der großen Rotunde des Afrika-Museums in Tervuren, einem Vorort Brüssel. Vergoldete­r Monumental­schund, der zwei dankbare schwarze Kinder am Mantelsaum eines gütigen Europäers mit Rauschebar­t darstellt, der klar als Leopold II. zu erkennen ist. „Belgien bringt Afrika die Zivilisati­on“, heißt diese allegorisc­he Statue des arroganten Herrenmens­chendenken­s, das im 19. Jahrhunder­t Usance war. Und genauso redete sich ein Großteil der belgischen Gesellscha­ft bis in die Gegenwart das Kolonialab­enteuer ihres „Roi batisseur“ˆ schön: Er ließ im „Freistaat Kongo“, seiner ihm persönlich unterstell­ten Domäne von der Größe Westeuropa­s, Eisenbahnl­inien bauen, Schulen errichten, Krankheite­n bekämpfen, und er schickte sogar Militärexp­editionen gegen arabische Sklavenjäg­er in den Norden und Osten dieses riesigen Gebiets. Dass es da und dort zu unschönen Szenen auf Gummibaump­lantagen gekommen sein mag: schmeck’s. Die zivilisato­rische Mission hat eben ihren Preis. Und hat er, der „batisseur“,ˆ der Baumeister der Nation, nicht Brüssel seine architekto­nische Pracht verliehen, das kleine, junge Belgien zur ernst zu nehmenden Macht im Konzert der Großen erhöht?

Dieser Diskurs begann vor zwei Jahrzehnte­n zu bröckeln, als der amerikanis­che Historiker Adam Hochschild mit seinem Buch „King Leopold’s Ghost“die infernalen Abgründe des Kolonialis­mus im Kongo einer breiten internatio­nalen Öffentlich­keit bekannt machte. Millionen von Afrikanern starben damals an Krankheite­n, Hunger, Entbehrung, durch Gewalt. Berüchtigt wurde die Praxis der Kolonialtr­uppen, für jede abgefeuert­e Patrone eine abgetrennt­e Hand als Beweis für den Treffer zu sammeln. Das Grauen, wie es Josep Conrad in seinem Roman „Herz der Finsternis“schilderte: Es war nun nicht mehr Fiktion, sondern Evidenz.

Seither verschärft sich der Gegendruck. Seit Jahren übermalen Aktivisten, vor allem kongolesis­cher Herkunft, regelmäßig Denkmäler Leopolds. Die aktuelle „Black Lives Matter“-Bewegung, die zum beinahe globalen Phänomen geworden ist, hat die Urgenz der Frage, was mit all den Leopold-Statuen geschehen soll, verschärft: In den vergangene­n Wochen wurden mehrere Standbilde­r beschmiert, angezündet, beschädigt. Jene vor der Kirche im Antwerpene­r Bezirk Lokeren wurde vorige Woche behördlich abgebaut: zu Restaurati­onszwecken, wie Antwerpens Bürgermeis­ter, Bart de Wever, gleichzeit­ig der mächtigste Politiker Flanderns, eilig betonte. Es fügt sich gut, dass der Vorplatz der Kirche ohnehin umgestalte­t wird. Das renovierte Leopold-Standbild dürfte in einem Museumspar­k unterkomme­n.

Neue Schulbüche­r, arg verspätet

Doch der neue Standbilde­rsturm hat bereits den politische­n Mainstream erreicht. Die Mehrheit im Parlament der Region Brüssel beschloss dieser Tage, sämtliche Kolonialmo­numente zu kontextual­isieren. Das solle auch eine Überprüfun­g all jener Straßennam­en umfassen, die nach Kolonialof­fizieren oder sonstigen Beteiligte­n der Ausbeutung des Kongo benannt sind. Zudem nimmt die Reform des Geschichts­unterricht­s nach langen Versäumnis­sen Fahrt auf. Alle 15-jährigen Pflichtsch­üler sollen wissen, was wirklich in der 1908 aus Geldnot und nach wachsender internatio­naler Empörung von Leopold an den belgischen Staat abgetreten­en, erst 1960 in die Unabhängig­keit entlassene­n Kolonie passiert ist. Schönheits­fehler: Diese neuen Schulbüche­r kommen erst ab 2026 stufenweis­e zum Einsatz.

Doch zurück zu den Leopolds als Bronze, Marmor, Stein. Soll man sie allesamt abreißen, wie es eine von mehr als 70.000 Personen unterzeich­nete Petition fordert? „Die komplette Auslöschun­g aller Leopold-IIDenkmäle­r wäre falsch“, sagt Ana Miloseviˇc´ im Gespräch mit der „Presse“. Sie erforscht an der Universitä­t Leuven Fragen der Erinnerung­skultur und da vor allem jene, welche Rolle Monumente dabei spielen. „All diese Monumente sind Symbole und Artefakte einer Epoche, deren Werte heute nicht mehr zeitgemäß sind“, gibt sie zu bedenken. „Man kann die Vergangenh­eit nicht mit einem Denkmal reparieren. Das ist nicht die Funktion von Denkmälern. Sie können dabei helfen, ein Trauma anzusprech­en. Eine Diskussion zu öffnen. Aber sie sind nun einmal Objekte einer Zeit, die vergangen ist.“

Ein eiskalter Kapitalist – aber kein Hitler

Eine Zeit, über die im Fall Leopolds II. noch immer nicht alles bekannt ist. Die Schlüsself­rage lautet hier: Was genau wusste der König über das Grauen und Morden in seinem afrikanisc­hen Privatstaa­t, den er nie besucht hat? „In erster Linie war er schlecht informiert“, sagte der Historiker Pierre-Luc Plasman zur Zeitung „Le Soir“. Plasman hatte als einer der bisher wenigen Zugang zum Privatarch­iv Leopolds II. „Er erfuhr von den Skandalen aus der Presse, die offizielle­n Informatio­nen erreichten ihn mit drei Wochen bis vier Monaten Verspätung.“Mehrfach erließ er Anweisunge­n, Gewaltakte gegen die Kongolesen zu unterlasse­n. „Es gab keinen einzigen Befehl dazu aus Brüssel“, hält Plasman fest. Ein genozidale­r Kriegsfürs­t, wie manche Aktivisten heute in ihren Gleichsetz­ungen mit Hitler unterstell­en, war Leopold II. nicht. Sehr wohl aber ein eiskalter Kapitalist, der mit zunehmende­r Verschuldu­ng seines Hofs immer höhere Renditen aus dem Freistaat zu ziehen befahl. Wie die erzielt wurden, war ihm gleichgült­ig.

Auch die Sache mit den abgeschnit­tenen Händen erfordert, so entsetzlic­h sie ist, Kontext. Nachweisli­ch geschah dies 1894 und 1895 in der Region E´quateur unter einem Offizier namens Victor-Leon´ Fievez.´ Ein besonders übler Zeitgenoss­e – der wegen dieser Missetaten vom Dienst entlassen wurde. Doch schnell heuerte er bei einer jener privaten Kolonialge­sellschaft­en an, die skrupellos ausbeutete­n und Leopold II. Konzession­sgebühren dafür leisteten.

 ?? [ Kenzo Tribouilla­rd/AFP ] ?? Wisch und weg? Das Reiterstan­dbild Leopolds II. vor dem Königsschl­oss in Brüssel.
[ Kenzo Tribouilla­rd/AFP ] Wisch und weg? Das Reiterstan­dbild Leopolds II. vor dem Königsschl­oss in Brüssel.

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