Mit den Gletschern schmilzt der Blick in die Geschichte
Eisbohrkerne aus alpinen Gletschern sind einzigartige Dokumente der europäischen Klimageschichte. Mit dem Schwund des Eises drohen sie für immer verloren zu gehen, viele Forschungsfragen blieben unbeantwortet.
Ewiges Eis – das war einmal. Der weltweite Rückgang der Gletscher schreitet immer schneller voran, besonders hart trifft es unter anderem die Alpen. Trockene Winter und warme Sommer setzen den Gebirgsgletschern zu, inzwischen muss man nicht einmal mehr die Archive bemühen, um den Rückgang zu erkennen – es genügen die Fotos vom Vorjahr. Ein besonders eindrückliches Beispiel stammt vom Schweikertferner in den Ötztaler Alpen, der laut aktuellem Gletscherbericht des Alpenvereins allein im vergangenen Jahr über 86 Meter Länge eingebüßt hat. Sein Rückgang ist seit 2011 mit Bildern gut dokumentiert.
Der rasante Gletscherschwund ist nicht nur für die Tourismusbranche ein Desaster, deren Kunden eine pittoreske Alpenkulisse und schneesichere Skigebiete erwarten. Die freigelegten Schutthalden sind außerdem anfällig für Muhrenabgänge und Felsstürze, die Artenvielfalt der sensiblen Ökosysteme am Rand der Gletscher reduziert sich in der vom Österreichischen Alpenverein untersuchten Gletscher sind vergangenes Jahr erneut geschrumpft, im Schnitt um 14,3 Meter.
betrug der stärkste Rückgang eines österreichischen Gletschers 2019 (Bärenkopfkees; Glocknergruppe).
pro Jahr ist die maximale Fließgeschwindigkeit des Grossen Aletschgletschers im Schweizer Wallis. Er ist damit der am schnellsten fließende Gletscher der Alpen. ähnlichem Tempo wie das Eis, zurückbleibt eine leblose Steinwüste. Und für die Wissenschaft gehen wertvolle natürliche Archive für immer verloren, mit denen das Klima der Vergangenheit und damit auch seine Entwicklungen in der Zukunft erforscht werden können – denn im Eis sind Jahrtausende alte Luftblasen gespeichert, die viel über die Atmosphären vergangener Zeiten verraten.
Menschliche Einflüsse nachvollziehen
„Gletschereis ist ein einzigartiges Klimaarchiv und trägt viel zur Gletscher- und Klimaforschung bei“, sagt der Umweltphysiker und Glaziologe Pascal Bohleber vom Innsbrucker Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Dazu zählt einerseits natürlich das Eis der Gletscher in den Polarregionen, das uns bis zu anderthalb Millionen Jahre in die Vergangenheit blicken lassen könnte. Doch auch deren ,kleine Geschwister‘ in den Alpen sind ein wichtiges Archiv für uns, denn sie befinden sich viel näher an menschlichen Siedlungsgebieten, hier lassen sich anthropogene Einflüsse auf die Atmosphäre viel besser untersuchen.“
Zwar ist das Eis der Alpen „nur“wenige hundert Meter dick – verglichen mit dem bis zu knapp fünf Kilometer starken antarktischen Eisschild gleicht das einem dünnen Häutchen. Doch es erlaubt immerhin die Rekonstruktion des Klimas der letzten Jahrtausende, was mehr als genug ist, um den Beitrag des Menschen nachzuvollziehen. Dazu müssen Eisbohrkerne aus dem Gletscher gewonnen werden, das Spezialgebiet von Bohleber: „Die Auswahl des richtigen Ortes für eine Bohrung ist äußerst wichtig und alles andere als trivial. Will man beispielsweise einen Bohrkern, der möglichst ohne Lücken archiviert, muss auf dem Gletscher kontinuierlich Schnee gefallen und liegen geblieben sein. Es darf über das Jahr nicht zu viel davon wegschmelzen, muss also kalt sein – daher waren die ersten Bohrplätze in den Alpen in sehr hohen Gebieten von über 4000 Metern, etwa am Monte Rosa im Wallis oder am französischen Mont Blanc.“
Es gilt aber auch andere Effekte zu bedenken, so der Wissenschaftler. Je höher man geht, umso kleiner wird die Fläche der Gletscher. Oft liegen sie auf einem schmalen Bergsattel, der ihre Fließbewegung bestimmt – die Tatsache, dass Gletscher keine starren Formationen sind, zählt zu den größten Herausforderungen bei ihrer Erforschung, so Bohleber. „Gletscher bewegen sich, zwar langsam, aber sie sind