Gütiger Gott, wie fad mir ist!
Expedition Europa: Rijeka – Luxusjachten an der Promenade, Espressobars `a la Italia.
In den ersten Junitagen besuchte ich die europäische Kulturhauptstadt Rijeka. Neben Seuchenangst herrschte sieben Tage lang Regenwetter, Touristen gabs keine, ich schlief allein im Hostel.
Als am Abend die Sonne herauskam, ging ich schwimmen. Dem Zentrum am nächsten – 30 Gehminuten – lag der eingezäunte Hundestrand beim „Fun Hostel“. Ich marschierte an der Ausfallstraße weiter, stieg eine steile Steinstiege runter und hüpfte von einem winzigen Steinstrand mit Pissgeruch ins tiefe nachtblaue Meer. Ich schwamm lange. Ich sah, wie sich ein Lockenkopf, drei Mädels und fünf Hunde auf einem Betonkai verlustierten, wie der Lockenkopf an die Betonwand pisste und im eigenen Pissgeruch Conan-der-Barbar-Yoga praktizierte. Rijeka, fasste ich vorläufig zusammen, das sind Luxusjachten an der Promenade, Espressobars a` la Italia, Sonnenuntergänge rechts von Istriens Berghöhen, alte Zinskasernen mit nackten Hacklerbäuchen auf filigranen Balkonen, und das ist Schwimmen zwischen der unberührt wirkenden Hotel-JadranKleinbucht und dem kleinen röhrenden Containerhafen. Keine schlechte Mischung, dachte ich mir, und dazu so nah!
Anderntags ging ich zur öffentlichrechtlichen Firma, welche die Kulturhauptstadt organisiert hat, in einen von Kreativen genutzten, einst zur Weinabfüllung errichteten Industriebau. Drinnen hingen Poster von Tito und Kim.
Vorstandsmitglied Irena Kregar Segotaˇ hatte eine gute Nachricht: Nach der Eröffnung am 1. Februar lief es prächtig, doppelt so viele Übernachtungen wie sonst, CNN war da. Außerdem wird der für 40 Millionen umgebaute Industriekomplex „Benciˇc“´ bleiben, ab 2021 die neue Stadtbücherei und Titos ab 2021 als Museum angetäutes Schiff „Möwe“. Die schlechte Nachricht war, dass von 70 Mitarbeitern vor Corona nur zehn übrig blieben, die nicht zu schmeißen kommen, und dass das Budget „um ein Drittel“gekürzt wurde. Kregar Segotaˇ nannte ihr Rijeka ein „verstecktes Juwel, zweieinhalb Stunden von Venedig“, „eine verrückte Mischung von Industriestadt und unberührten Stränden“, „du siehst beim Schwimmen die Werft“, „tolerant“. Am Gang von Delta 5 lagen zwei träge Hunde. Ich war ein wenig stolz, ich hatte Rijeka schon am Vorabend erfasst.
Protofaschistisches Experiment
Ich konnte an jenem Donnerstag aus vier Hauptstadtprojekten wählen, drei davon waren Ausstellungen im Gouverneurspalast. Ich ging in die Ausstellung über die 16 Monate, in denen der „Dichter, Abenteurer, Weiberheld und Krieger“Gabriele D’Annunzio sein Experiment eines protofaschistischen Staates durchführte.
Die Ausstellung, welche die Ereignisse von 1919 bis 1920 aus der Sicht der kroatischen Minderheit von Fiume/Rijeka erzählt, ist klein. Der Fokus liegt auf den „Fiumanki“genannten Rijekerinnen italienischer Zunge, die D’Annunzio verehrten. Eine entbrannte „Ardita“schrieb: „Die Frau von Fiume ist nichts anderes als die Mutter der modernen Frau. Wir vernichten alles Vergangene. Freiheit, Rücksichtslosigkeit, Mut.“D’Annunzios Sexappeal erschloss sich mir nicht, auf dem einzigen Porträt ist er ein bleicher, aseptischer, ganz in Uniformgrün gekleideter Jagdaufsehertyp.
Am 24. Dezember 1920 vertrieb die italienische Regierung D’Annunzio, Fiume wurde für ihn zur „Stadt des Märtyrertums und der verlorenen Liebe“. Die Ausstellung zeigt das Tagebuch der 21-jährigen Rijeker Kroatin Zora Blaziˇc,´ die allerdings zur Zeit des futuristischen Fiumer Frühfaschismus keine Einträge verfasste. Erst am 1. November 1920 schrieb sie: Wie tot diese Stadt ist seit