Allein mit seinem Gott
Schnörkellos: Ivan Ivanji paraphrasiert die Geschichte Abrahams auf eigene Weise.
Als „Paraphrase“beschreibt der Klappentext den Roman des inzwischen 91-jährigen Ivan Ivanji. Der Autor war einst Übersetzer Titos und wurde erst spät zum besonders eifrigen Schriftsteller. In „Hineni“erzählt er die Geschichte des Religionsgründers Abraham auf seine Weise nach.
Selbst Nichtreligiöse kennen wenigstens eine Anekdote aus dem Leben des großen Propheten, auf den sich alle drei großen monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam, beziehen. Ivan Ivanji gelingt es, dieses Leben glaubwürdig mit eigener Interpretation samt Spielräumen nachzuerzählen. Auch er tut dies in kurzen Sätzen, nicht aber so schroff wie die Bibel, die selbst schlimmste Ereignisse in bestürzender Knappheit berichtet. Ivanji schreibt einfach, geradlinig und schnörkellos.
Allabendlich steigt Abraham auf das Flachdach seines Hauses und sagt „Hineni – hier bin ich“. Er spricht zu Gott, seinem Gott, den er gefunden zu haben meint. Ganze Nächte verbringt er dort mit erhobenen Armen und tiefen Verneigungen. Er sieht sich auserwählt, ein Volk zu gründen – im Namen dieses Gottes, den er selbst nicht fassen kann, der sich ihm mit keinem Zeichen mitteilt. Abraham bittet, fleht, macht ihm Vorwürfe, streitet mit ihm. Zweifel überfallen ihn: Spricht Gott zu ihm, oder bildet er es sich nur ein? Spricht er durch andere Menschen zu ihm?
Der Autor hält es in nicht wertender Schwebe. Er bedient sich dichterischer Freiheit, wenn er für manch wundersame Ereignisse logisch profane Erklärungen anbietet. Inmitten von Kulturen der Vielgötterei steht Abraham mit seinem Eingottglauben alleine. Er meint ihm, der zu schweigen scheint, pantheistisch in allem und jedem, das er wahrnimmt, zu begegnen. Für ihn erobert Abraham das Land Kanaan als Basis des späteren „Eretz Israel“. Abraham als Diener des Pharao
Ivanjis Roman ist ein kleines Geschichtsbuch. Es erzählt anschaulich von Abrahams Auszug aus dem Land Ur, der Suche nach einem Land für sein künftiges Volk. Dabei lässt er ihn bis zum Pharao von Ägypten gelangen. Kühn macht Ivanji Abraham zum Oberaufseher des Pyramidenbaus für den Pharao, wobei er dem Propheten jenen ägyptischen Herrscher gegenüberstellt, in dessen Zeit Abraham möglicherweise gelebt hat. Die zeitliche Verortung fällt schwer, denn während die Ägypter ihre Dynastien penibel für die Nachwelt festhalten, ist das in der Bibel geschilderte Geschehen in der Regel undatiert.
Ob die Gespräche zwischen dem Pharao und Abraham tatsächlich so modern und ungezwungen geführt wurden wie dargestellt, wird man nie erfahren, aber warum sollte alles Historische hölzern anzumuten haben? Ivanjis Beschreibungen sind in sich geschlossen, plausibel und erzeugen bei aller Fokussierung auf das wesentliche Geschehen die notwendigen Bilder im Kopf.
Der Autor bleibt in seiner Darstellung der Gesellschaft einer fernen Epoche nah an den schonungslosen Schilderungen der Bibel: Landnahme durch Krieg, Steinigungen, Nebenfrauen. Eine andere Kultur, die Vorgegebenes nicht individuell hinterfragt, an Grausamkeiten gewöhnt ist, und in der die Ansprüche an das Leben klein und illusionslos sind. Es ist ein Stück Altes Testament in komprimierter, dichterisch interpretierter Form.
So könnte es gewesen sein. Oder auch ganz anders. Oder gar nicht. Eine Paraphrase eben.