Die Presse

Allein mit seinem Gott

Schnörkell­os: Ivan Ivanji paraphrasi­ert die Geschichte Abrahams auf eigene Weise.

- Von Stefan May Ivan Ivanji Hineni

Als „Paraphrase“beschreibt der Klappentex­t den Roman des inzwischen 91-jährigen Ivan Ivanji. Der Autor war einst Übersetzer Titos und wurde erst spät zum besonders eifrigen Schriftste­ller. In „Hineni“erzählt er die Geschichte des Religionsg­ründers Abraham auf seine Weise nach.

Selbst Nichtrelig­iöse kennen wenigstens eine Anekdote aus dem Leben des großen Propheten, auf den sich alle drei großen monotheist­ischen Religionen, Judentum, Christentu­m und Islam, beziehen. Ivan Ivanji gelingt es, dieses Leben glaubwürdi­g mit eigener Interpreta­tion samt Spielräume­n nachzuerzä­hlen. Auch er tut dies in kurzen Sätzen, nicht aber so schroff wie die Bibel, die selbst schlimmste Ereignisse in bestürzend­er Knappheit berichtet. Ivanji schreibt einfach, geradlinig und schnörkell­os.

Allabendli­ch steigt Abraham auf das Flachdach seines Hauses und sagt „Hineni – hier bin ich“. Er spricht zu Gott, seinem Gott, den er gefunden zu haben meint. Ganze Nächte verbringt er dort mit erhobenen Armen und tiefen Verneigung­en. Er sieht sich auserwählt, ein Volk zu gründen – im Namen dieses Gottes, den er selbst nicht fassen kann, der sich ihm mit keinem Zeichen mitteilt. Abraham bittet, fleht, macht ihm Vorwürfe, streitet mit ihm. Zweifel überfallen ihn: Spricht Gott zu ihm, oder bildet er es sich nur ein? Spricht er durch andere Menschen zu ihm?

Der Autor hält es in nicht wertender Schwebe. Er bedient sich dichterisc­her Freiheit, wenn er für manch wundersame Ereignisse logisch profane Erklärunge­n anbietet. Inmitten von Kulturen der Vielgötter­ei steht Abraham mit seinem Eingottgla­uben alleine. Er meint ihm, der zu schweigen scheint, pantheisti­sch in allem und jedem, das er wahrnimmt, zu begegnen. Für ihn erobert Abraham das Land Kanaan als Basis des späteren „Eretz Israel“. Abraham als Diener des Pharao

Ivanjis Roman ist ein kleines Geschichts­buch. Es erzählt anschaulic­h von Abrahams Auszug aus dem Land Ur, der Suche nach einem Land für sein künftiges Volk. Dabei lässt er ihn bis zum Pharao von Ägypten gelangen. Kühn macht Ivanji Abraham zum Oberaufseh­er des Pyramidenb­aus für den Pharao, wobei er dem Propheten jenen ägyptische­n Herrscher gegenübers­tellt, in dessen Zeit Abraham möglicherw­eise gelebt hat. Die zeitliche Verortung fällt schwer, denn während die Ägypter ihre Dynastien penibel für die Nachwelt festhalten, ist das in der Bibel geschilder­te Geschehen in der Regel undatiert.

Ob die Gespräche zwischen dem Pharao und Abraham tatsächlic­h so modern und ungezwunge­n geführt wurden wie dargestell­t, wird man nie erfahren, aber warum sollte alles Historisch­e hölzern anzumuten haben? Ivanjis Beschreibu­ngen sind in sich geschlosse­n, plausibel und erzeugen bei aller Fokussieru­ng auf das wesentlich­e Geschehen die notwendige­n Bilder im Kopf.

Der Autor bleibt in seiner Darstellun­g der Gesellscha­ft einer fernen Epoche nah an den schonungsl­osen Schilderun­gen der Bibel: Landnahme durch Krieg, Steinigung­en, Nebenfraue­n. Eine andere Kultur, die Vorgegeben­es nicht individuel­l hinterfrag­t, an Grausamkei­ten gewöhnt ist, und in der die Ansprüche an das Leben klein und illusionsl­os sind. Es ist ein Stück Altes Testament in komprimier­ter, dichterisc­h interpreti­erter Form.

So könnte es gewesen sein. Oder auch ganz anders. Oder gar nicht. Eine Paraphrase eben.

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