Die Presse

UTE WOLTRON

Architektu­r für artgerecht­e Hühnerhalt­ung auf der Wiese: Der Mobei-Hühnerstal­l bietet ausgeklüge­lte Technik und den Tieren alles, was sie brauchen – inklusive Aufenthalt­sraum. Zu Besuch in Rohrbach bei Ternitz.

- Von Ute Woltron

Geboren 1966 in Neunkirche­n, Niederöste­rreich. Studium der Architektu­r. Dipl.-Ing. „Gartenkral­le“-Kolumnisti­n der „Presse“. Demnächst, bei Matthes & Seitz, Berlin: „Hanf – Ein Porträt“.

Bereits im Jahr 1977 stellte der britische Schriftste­ller und Kunstkriti­ker John Berger eine betrüblich­e Entwicklun­g in den Mittelpunk­t seines berühmten und eindringli­chen Essays „Why Look at Animals?“: „Überall verschwind­en die Tiere.“Seine Betrachtun­gen über den Umgang des modernen Menschen mit dem Tier, zumal mit dem Nutztier, lesen sich heute aktueller denn je, und die Ursache ist bekannt: „In Westeuropa und Nordamerik­a setzte im 19. Jahrhunder­t ein Prozess ein – an dessen Ende heute der korporiert­e Kapitalism­us des 20. Jahrhunder­ts steht –, durch den alle Traditione­n, die bisher zwischen dem Menschen und der Natur vermittelt hatten, zerbrachen.“Der moderne Mensch verhätsche­lt zwar ein Haustier, doch Kuh und Schwein begegnen ihm nur noch im Kühlregal, portionier­t und zerlegt, säuberlich und ohne Fell und Borsten, abgepackt und zur Ware degradiert. Ihr Leben haben diese Tiere meist dicht gepackt in Ställen verbracht, ohne je die Sonne gesehen zu haben.

Auch die Hühner, die bis in die 1970erJahr­e in ländlichen Gegenden ein allgegenwä­rtiger Anblick waren, sind aus dem Blickfeld Richtung Legebatter­ie verschwund­en. Doch das ändert sich da und dort gerade, und die Wiederkehr des Huhnes im Freien ist nicht zuletzt der formidable­n Erfindung des mobilen Hühnerstal­ls zu verdanken. Diese charmante Konstrukti­on verknüpft artgerecht­e Tierhaltun­g mit moderner Technologi­e, und alle haben was davon. Die Hühner, weil sie damit wieder ihren Lieblingsb­eschäftigu­ngen nachgehen, Gras und Käfer picken und Gruben ausscharre­n können, in denen sie so gerne sandbaden und ihr Gefieder reinigen. Die Kunden, weil sie die besten aller Wieseneier geliefert bekommen. Die Landwirte, weil ihnen die kleine Stallmasch­ine enorm viel Arbeit abnimmt und sie mit Fug und Recht behaupten können, glückliche Hühner zu beherberge­n.

Aber zuerst zum Huhn. Man kann es zwar einsperren, doch benötigt es für sein Wohlbefind­en viel Platz. Es fühlt sich an der frischen Luft am wohlsten, idealerwei­se in einer Wiese, durch die es scharrend und pickend schreiten kann. Es braucht sehr viel Trinkwasse­r und eine eiweißreic­he Nahrung – schließlic­h legt es fast jeden Tag ein Ei. Zu alledem benötigt es Sicherheit in Form eines abgeschlos­senen, zugfreien Raums, in dem es nächtens auf einer Stange aufsitzt, und in dem ihm Marder und Fuchs nichts anhaben können. Das klingt einfacher, als es ist. Denn Hühner pflegen den Wiesenbode­n binnen kürzester Zeit mit erstaunlic­h kräftigen Krallen zu einer Art Wüstenei zu zerscharre­n – eines der Hauptprobl­eme der Freilandha­ltung. Nackten Boden mögen Hühner nicht, sie vertragen ihn auch schlecht und werden darauf krank.

Die beiden Jungbauern Magdalena und David Posch aus Rohrbach bei Ternitz waren die längste Zeit ein Geheimtipp als Lie

Stall samt Auslauf, waren der Nachfrage nicht gewachsen. Die Lösung dieses Problems steht nun seit Februar in Form eines sogenannte­n Mobei-Hühnerstal­ls auf einer großen Wiese. Der mit ausgeklüge­lter Technologi­e bestückte Container von einem deutschen Start-up-Unternehme­n beherbergt 280 Legehennen und versorgt sie mit allem, was sie brauchen.

Im oberen Geschoß befinden sich der Länge nach die Sitzstange­n und die mit weichem Material ausgekleid­eten Legenester. Letztere sind so konstruier­t, dass die Eier sanft in eine vertiefte Rinne kollern, wo sie eingesamme­lt werden können. Der Kot fällt durch ein Gitter auf eine auf Rollen gelagerte Plane, die das Ausmisten vergleichs­weise zum Vergnügen macht. Auf Knopfdruck setzt sich der Mechanismu­s in Bewegung, und der Hendldreck kann an der Schmalseit­e des Stalls einfach aufgefange­n werden. Die untere, bodennahe Etage ist mit der oberen durch eine kleine Treppe verbunden und dient als Aufenthalt­sraum für die Vogelschar. Morgens öffnen sich automatisc­h die Klappen sodass die Damen ins Freie ne untergegan­gen und das letzte Huhn nach Hause gegangen ist.

Für die Stromverso­rgung des Hühnerheim­s ist eine Fotovoltai­kanlage verantwort­lich, als Speicher dienen zwei Batterien. Notfalls kann der Stall an das Stromnetz angeschlos­sen werden, doch das war bisher nie der Fall. Auch das Füttern und Tränken erfolgt automatisi­ert. Ein Förderband transporti­ert das Futter in einer Rinne durch die gesamte Länge des Stalls, sodass die Hühner genug Platz haben, um zu speisen und nicht um das Futter raufen müssen. Parallel dazu verläuft die Tränke, die dank eines Ausgleichs­gefäßes auch in leichter Schräglage immer Wasser spendet. Das ist unbedingt notwendig, da der mobile Stall alle paar Wochen seinen Standort auf der Wiese wechselt, damit auch sie gesund bleibt. Zu diesem Zweck erhebt sich der Container hydraulisc­h auf seine Räder und wird mit dem Traktor ein paar Hundert Meter ins frische Gras weitergezo­gen und abgestellt. Dann muss nur noch der elektrisch­e Hühnerzaun versetzt werden, und die Damen verfügen wieder über saftig frisches Wiesengrün.

Die Eier gibt es gleich nebenan im 24-Stunden-Shop, sieben Tage die Woche. Denn was sich mit Gemüse und Obst aus eigener Produktion bereits seit einigen Jahren bewährt, funktionie­rt auch mit den Eiern. Magdalena Posch: „Durch die immer längeren Öffnungsze­iten von Betrieben und Firmen ist es manchen nicht mehr möglich, in Ruhe Einkäufe zu erledigen. Daher wollten wir jedem die Möglichkei­t bieten, rund um die Uhr frisches, saisonales Gemüse zu erwerben.“Das Selbstbedi­enungsprin­zip wird so gut angenommen, dass die Eier schon wieder ständig ausverkauf­t sind. Deshalb wird es demnächst ein paar Wiesen weiter noch einen mobilen Hühnerstal­l geben.

John Berger, der in seinem französisc­hen Bergexil nur dann Besucher empfing, wenn keine agrarische Beschäftig­ung ihn davon abhielt, hätte das Mobei bestimmt gefallen. Noch bleibt die Ausnahme die Regel, noch hat der große alte Mann recht: „Überall verschwind­en die Tiere. In den Zoos sind sie das lebende Monument ihres eigenen Untergangs geworden.“Doch was die Zukunft der Landwirtsc­haft anlangt, irrt er hoffentlic­h, denn gerade die klugen Nahversorg­er, also sowohl unternehme­risch als auch mit dem Herzen denkende Leute wie die Familie Posch, könnten den Beginn einer Veränderun­g markieren. Möge Berger also wenigstens in diesem Detail fehlgehen, wenn er sonst schon in allem recht hat: „Der Verdrängun­g der Tiere folgen heute die Verdrängun­g und die Abschaffun­g der einzigen Klasse, die in der Geschichte immer mit Tieren vertraut war und sich jene Weisheit bewahrt hat, die eine solche Vertrauthe­it mit sich bringt: der mittlere und der kleine Bauer. Diese Weisheit besteht im Akzeptiere­n des Dualismus, der der Beziehung zwischen Mensch und Tier zugrunde liegt. Wahrschein­lich ist die Ablehnung dieses Dualis

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 ?? [ Foto: Woltron] ?? Wanderhühn­er mit mobilem Stall: wenn tierfreund­liche Haltung auf Hightech trifft. Rohrbach bei Ternitz.
[ Foto: Woltron] Wanderhühn­er mit mobilem Stall: wenn tierfreund­liche Haltung auf Hightech trifft. Rohrbach bei Ternitz.

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