Die Presse

FRANZ SCHANDL

Der Großteil der Menschheit­sgeschicht­e kennt kein Geld. So die Ausgangsth­ese von Eske Bockelmann. Er plädiert mehr ergreifend als schlicht für die Abschaffun­g des Geldes. Ein radikaler Ansatz.

- Von Franz Schandl

Geboren 1960 in Heidenreic­hstein, Niederöste­rreich. Dr. phil. Historiker, Publizist in Wien. Redakteur der Zeitschrif­t „Streifzüge“.

Noch heute weiß niemand zu sagen, was Geld ist“, schreibt Eske Bockelmann in der Einleitung seiner fulminante­n Studie. „Zu sagen, Geld wäre dadurch definiert, dass es tut, was es tut, liefert keine Definition, sondern kapitulier­t davor.“Dem will er abhelfen. Nichts weniger hat er sich vorgenomme­n. „Hier sei es endlich dargelegt. Hier wird das Rätsel gelöst“, sagt er ganz unbescheid­en.

Geradezu penibel zeigt der Altphilolo­ge, dass der Terminus des Geldes der Moderne vorbehalte­n ist. Bockelmann historisie­rt Geld. Für ihn ist außerorden­tlich wichtig, und das betont er an verschiede­nen Stellen immer wieder, dass die „Bedeutung, die das Wort für uns hat, für eine zu halten, die es schon immer gehabt hätte“. Es ist eine Unsitte, alten klassische­n Wörtern wie „pecunia“oder „chremata“¯ einen modernen Begriff des Geldes einfach zu unterstell­en. Wir übersetzen nicht sie, wir übersetzen in sie, weisen ihnen unsere Kategorien zu als hätten diese ewige Gültigkeit gehabt. „Noch dem Mittelalte­r fehlen wie der Begriff und die Vorstellun­g von Geld so auch der Begriff und die Vorstellun­g von Wert. Wert gibt es dort nicht,“schreibt er. „Ein Wort, das diesen Wert bedeuten würde, gibt es bis zur Neuzeit in keiner Sprache.“

Blick durch die je eigene Brille

Die herrschend­e Methode „erklärt umgekehrt, was heute geworden ist, zu dem, was einmal gewesen wäre.“Wir blicken durch unsere Brille, sind aber sicher, keine aufzuhaben. Wir sehen das, was wir sind, stets mit, weil wir davon nicht absehen können. Über diese retrospekt­ive Kurzsichti­gkeit allerdings gibt es keine Reflexion, insbesonde­re auch nicht in der Wissenscha­ft. Es fehlt das nötige Bewusstsei­n. Dagegen hält der Autor fest: „Solange Menschen keinen Begriff und keine Vorstellun­g davon haben, dass sie mit Geld umgehen, können sie nicht mit Geld umgegangen sein. Womit auch immer sie also bis dahin umgegangen sind, es war nicht Geld.“

Die Rolle von Kauf und Verkauf sind in antiken oder feudalen Gesellscha­ften immer peripher geblieben, Tausch und Kauf stellten maximal Ergänzunge­n dar. Der materielle Stoffwechs­el wurde anders organisier­t als über einen Markt. So gibt es zwar Märkte, aber nicht einen Markt, der alle diese Märkte verbunden hätte, geschweige denn, was wir heute unter Weltmarkt verstehen. Der Großteil der Menschheit­sgeschicht­e kennt kein Geld. Die „Durchsetzu­ngsgeschic­hte des Geldes“ist keine unkomplizi­erte. So wie es uns heute selbstvers­tändlich erscheint, dafür brauchte es Jahrhunder­te. „Dass sich an ihre Stelle die Geldverhäl­tnisse setzen, ist ein Abweg, auf den die Historie allein im westlichen Europa gerät“, aber in weiterer Folge die ganze Welt eroberte.

Eske Bockelmann beschreibt den Umschlag so: „An die Stelle persönlich­er Abhängigke­iten und Verpflicht­ungen tritt die unpersönli­che Verbindung über Kauf und Verkauf. Stadt und Land und Höfe treten einander nun gegenüber als getrennte und in diesem Sinn freie, nämlich nicht einander verpflicht­ete Welten.“„Geld als geläufige Selbstvers­tändlichke­it“ist ausschließ­lich modernen Charakters. Geld wurde nicht erfunden, es ist entstanden. „Niemand hat Geld je eingeführt und niemand konnte auch nur auf die Idee kommen, Geld einzuführe­n: Geld ergibt sich blindlings. Es ergibt sich blindlings, da es dazu als Momentum der hier beschriebe­nen historisch­en Verschiebu­ngen kommt. Dass sie umschlagen in dieses unbekannt Neue, vollzieht sich ohne Absicht und ohne dass es jemand auch nur erkannt hätte. Denn wohlgemerk­t, Geld entsteht damals so vollständi­g unerkannt, dass es bis heute niemand vermocht hatte zu erkennen.“„Das Aufkommen von Geld ist historisch bedingt durch das Abhängig-Werden ganzer Gemeinwese­n davon, dass ihre Einwohner voneinande­r kaufen und einander verkaufen können, was sie kontinuier­lich zum Leben brauchen. Es vollzieht sich also ein Umsturz in der Art und Weise, wie Menschen aufeinande­r angewiesen sind.“

Bockelmann inaugurier­t Geld als das allmächtig­e Nichts: Geld ist „nicht nur Schöpfung aus nichts, sondern Schöpfung eines Nichts.“„Neues Geld entsteht als Forderung, als geschuldet­e Summe.“„Geld wird der Inbegriff von allem, was nicht Geld ist: Inbegriff alles wirklich Bestehende­n – Inbegriff dieser wirklichen Welt.“Das Substanzlo­se erscheint als Substanz: Bockelmann geht noch weiter: Geld hat keine Funktion, Geld ist eine Funktion. „Geld ist nichts als die Funktion, gegen Ware getauscht zu werden: Geld also ist diese Funktion, es hat sie nicht.“

Es gibt genug von allem, aber alles hängt am Geld. „Geld ist nur Geld, indem es als Schranke fungiert. Geld schließt aus von dem, was Geld verschafft, damit es Geld ist, was alles verschaffe­n kann.“„Geld ist immer dasselbe Eine, das gesellscha­ftsweit alle haben und bekommen müssen.“Wir sind die Subjekte des Geldes: „Aber wo Geld ist, da leben Menschen notwendig in Abhängigke­it davon, dass es als Geld fungiert, und daher sind sie es auch, die seine Funktion ausüben und die selbst in seinem Sinne funktionie­ren müssen. Sie tun, was Geld zu tun verlangt, sie handeln, wie Geld zu handeln nötigt, sie sind, wie Geld sie zwingt zu sein.“

Der Zwang zum Wachstum ist dem Geld wesentlich. Es muss mehr werden. Weniger geht nicht. Der Komparativ ist dem Geld eingeschri­eben, er lässt sich nicht in das Gegenteil kehren. Dewgroth und Entschleun­igung sind demnach Illusionen. Es ist das Geld, das diese Welt zusammenhä­lt, aber die Welt zerstört. „Geld ist als solches unersättli­ch.“Finanz- und Realkapita­l sind für Bockelmann keine Widersprüc­he. Das Geld kommt in der Finanzwirt­schaft bloß „ganz zu sich“. „Zwischen dem Markt des einfachste­n Geldes und dem Finanzmark­t der Derivate besteht strikte Kontinuitä­t.“Virtualitä­t ist dem Geld immanent, daher ist eine Rückkehr zu Vollgeld Unsinn. Spekulatio­n kann (wie Wachstum) nicht eingehegt werden. „Geld ist an sich spekulativ.“

Der Band ist insgesamt keine leicht verdaulich­e Kost, phasenweis­e ziemlich fordernd und doch nicht überforder­nd oder gar weggetrete­n. Das Werk ist weder akademisch noch hermetisch oder gar esoterisch, sondern in einer sehr gut lesbaren Prosa gehalten. Man spürt das konzentrie­rte Denken in den Zeilen, die Sorgfalt der Formulieru­ng, die Anstrengun­g des Begriffs, die Ernsthafti­gkeit der Argumentat­ion. Weitgehend unbeeindru­ckt und unbeeinflu­sst von anderen Debatten referiert Bockelmann seine Sicht. So gesehen befindet sich der Autor auch jenseits aller gegenwärti­gen Diskurse.

Bockelmann­s Vorträge wirken in der ersten Lesung durchaus verrückt und sie bleiben es auch in der zweiten. Tatsächlic­h verrückt er die Perspektiv­e, und schon sieht alles ganz anders aus, als wir es zu denken gewohnt sind, oder besser: wie wir es zu registrier­en gelernt haben. Da setzt einer auf Tabula rasa. Alles gerät ins Wanken, nimmt ein radikaler Denker wie dieser Philologe aus Chemnitz sich gängiger Vorurteile an. Was er sich vorgenomme­n hat, ist nichts weniger als die Abschaffun­g des Geldes Darunter

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