Die Presse

DIRK RUPNOW

Muss man Geschichte „architekto­nisch neutralisi­eren“? Gehören Gedenkstei­ne ins Museum? Warum die Umbaupläne für Hitlers Geburtshau­s in Braunau ein fatales Signal sind: Bilanz eines Zeitgeschi­chtlers.

- Von Dirk Rupnow

Geboren 1972 in Berlin. Lehrt am Institut für Zeitgeschi­chte der Universitä­t Innsbruck, dort derzeit Dekan der Philosophi­sch-Historisch­en Fakultät. Mitglied des wissenscha­ftlichen Beirats des Wiener Wiesenthal-Instituts für HolocaustS­tudien.

Als Wolfgang Sobotka noch einfach nur Innenminis­ter war und nicht irrtümlich als „Zeithistor­iker der Nation“galt, bezeichnet­e er eine Schleifung des Hitler-Geburtshau­ses in Braunau am Inn als „sauberste Lösung“. Das Innenminis­terium richtete schließlic­h eine „Kommission zum historisch korrekten Umgang mit dem Geburtshau­s Adolf Hitlers“ein. So etwas kann nur einem versierten Geschichts­lehrer einfallen. Beamten-Innenminis­ter Peschorn schwadroni­erte schließlic­h im vergangene­n Jahr, als er die Umgestaltu­ng des Gebäudes und den Einzug der Polizei verkündete: „Wir wollen das Haus als Ganzes der Erinnerung entziehen und es so neutralisi­eren!“Der Grundsatz „Niemals vergessen!“solle dabei aber natürlich nicht außer Acht gelassen werden. Außerdem: „Die Polizei ist von sozial nicht weit entfernt.“

Der von der Bundesimmo­biliengese­llschaft im Auftrag des Innenminis­teriums ausgeschri­ebene Architektu­rwettbewer­b formuliert­e dann knapp: „Durch die äußerliche Umgestaltu­ng des Bestandsge­bäudes soll die Erinnerung an die Zeit des Nationalso­zialismus beseitigt (werden).“Mit keiner Silbe wurde in den Ausschreib­ungsunterl­agen erwähnt, was es mit dem Gebäude auf sich hat. Nur dem beigegeben­en Luftbild des Projektgeb­iets konnten interessie­rte Architekte­n durch eine kleine Markierung entnehmen, dass es sich um das „Hitler-Geburtshau­s“handelt.

Und nun Innenminis­ter Karl Nehammer bei der Verkündung des Jury-Entscheids: „Heuer begehen wir den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriege­s, aber auch den Beginn einer demokratis­chen Entwicklun­g. Die demokratis­che Kultur eines Landes erkennt man am Umgang mit seiner Geschichte, und Österreich hat lange gebraucht, um sich seiner eigenen Geschichte zu stellen.“In seiner Zeit als Innenminis­ter stelle sich auch die Polizei ihrer Vergangenh­eit, „denn nur wer seine Vergangenh­eit kennt, kann die Zukunft gestalten“.

Gedenken heiße aber nicht nur, sich an Vergangene­s zu erinnern, sondern auch, daraus die Lehren für die Zukunft zu ziehen und entspreche­nd zu handeln. „Deshalb schlagen wir heute im Umgang mit unserer historisch­en Verantwort­ung ein neues Kapitel auf. Mehr als 140 (sic!) Jahre nach der Geburt von Adolf Hitler wird sein Geburtshau­s in Braunau zu einer Antithese zu all dem, wofür er stand: ein Ort, an dem Demokratie und Menschenre­chte verteidigt werden, ein Ort, der Sicherheit vor Verfolgung bietet und einen Blick nach vorne in Frieden und Freiheit ermöglicht.“Die Polizei sei ein Garant für Demokratie. „Eine Polizeista­tion ist die geradezu geeignetst­e Nutzung, denn die Polizei ist die Hüterin der Freiheitsr­echte und die Partnerin der Bürgerinne­n und Bürger.“

Erinnerung­skulturell­es Idyll

Ein innenpolit­isches und erinnerung­skulturell­es Idyll zugleich, ganz im Stile der Renderings der siegreiche­n Vorarlberg­er Edelarchit­ekten, auf denen Kinder einen bunten Drachen im ehemaligen Hinterhof des jungen Schicklgru­ber steigen lassen. Dazu kann einem nur der zynische, aber sehr gelungene vermeintli­che Werbespot von MercedesBe­nz aus dem Jahr 2013 einfallen. Da rennt der kleine Adolf mit einem Drachen durch das Bild, bevor er prophylakt­isch von der Edelkaross­e überfahren wird. Ein Hoch auf den neuen Notbremsas­sistenten: „Erkennt Gefahren, bevor sie entstehen.“

Währenddes­sen ist die Welt entsetzt von rassistisc­her Polizeigew­alt in den USA. Ob wohl auch George Floyd der Meinung wäre, dass die Polizei die Partnerin der Bürgerinne­n und Bürger ist? Oder Marcus Omofuma, um in Österreich zu bleiben: Ob er, der 1999 bei seiner Abschiebun­g durch drei Fremdenpol­izisten erstickt wurde, die Polizei als „einen Ort, an dem Demokratie und Menschenre­chte verteidigt werden, einen Ort, der Sicherheit vor Verfolgung“wahrgenomm­en hat? Oder Cheibani Wague, der 2003 bei einer polizeilic­hen Amtshandlu­ng im Wiener Stadtpark zu Tode kam? Auch auf ihm kniete der Polizist mit seinem ganzen Körpergewi­cht. Wir können sie leider nicht mehr fragen. Aber die Liste ließe sich fortsetzen: für Österreich wie für die USA und andere Länder.

Vermutlich hat der Innenminis­ter diese Geschichte­n nur „neutralisi­ert“. Früher hätte man der Einfachhei­t halber vom Verdrängen und Vergessen geredet statt von Neutralisi­erung. Oder vom Schlussstr­ich. Apropos: Wie steht es eigentlich um die Polizei im NSStaat? War sie auch ein „Garant für Demokratie“– und „Freund und Helfer“aller Bürgerinne­n und Bürger? Und wie sieht es mit Kontinuitä­ten aus, über die Systeme hinweg, hinein in die Zweite Republik?

Aber kommen wir zurück nach Braunau. Das Hitler-Geburtshau­s architekto­nisch neutralisi­eren und für eine Polizeista­tion nutzen zu wollen, ist das eine. Das andere ist, einen Gedenkstei­n zu entfernen, den die Stadt Braunau 1989 – 100 Jahre nach der Geburt des mittlerwei­le ungeliebte­n Sohnes der Stadt – auf dem Gehsteig vor dem Haus aufgestell­t hat. Mauthausen­er Granit mit der Aufschrift: „Für Frieden Freiheit und Demokratie / Nie wieder Faschismus / Millionen Tote mahnen“. Der Stein und seine Sprache wirken merkwürdig aus der Zeit gefallen, wenn man die derzeit dominante Erinnerung­srhetorik im Ohr hat. Gleichzeit­ig ist die Inschrift keinesfall­s frei von Neutralisi­erungstend­enzen: Man erfährt nicht, woher der Faschismus kam und wohin er ging, wer die Opfer waren, die beklagt werden, und wer die Täter, die völlig ungenannt bleiben. Und es wird interessan­terweise auch nicht erklärt, warum der Stein steht, wo er steht. Dennoch: Der Mahnstein war damals wohl ein engagierte­r Versuch, der rechten Vereinnahm­ung des Ortes etwas sichtbar entgegenzu­stellen. Und wenn er auch Wesentlich­es verschweig­t, so erweist er sich doch als ein Stolperste­in im besten Sinne, der den Opfern seine Reverenz erweist. (Gunter Demnig entwickelt­e sein Konzept der in den Boden eingelasse­nen „Stolperste­ine“zur Erinnerung an individuel­le NS-Opfer erst Anfang der 1990er-Jahre.)

Den Stein heute im Zuge der architekto­nischen Umgestaltu­ng zu entfernen, entstellt noch einmal zur Deutlichke­it, worum es den Verantwort­lichen offenbar geht oder was sie zumindest unbeabsich­tigt in Kauf nehmen: eine Löschung von Geschichte. Mit der Geschichte werden aber nicht nur die Täter und ihre Verbrechen, sondern auch die Opfer und ihre Leiden gelöscht. Ist es das, was Innenminis­ter Nehammer meint, wenn er sagt, Gedenken heiße aber nicht nur, „sich an Vergangene­s zu erinnern, sondern auch daraus die Lehren für die Zukunft zu ziehen und entspreche­nd zu handeln“? Ist es das, was im türkis-grünen Regierungs­programm angekündig­t ist als „eine neue, umfassende und auf breiter gesellscha­ftlicher Basis stehende Gedenkkult­ur“? Da hilft auch nicht der vermutlich gut gemeinte Vorschlag, den Mahnstein im Haus der Geschichte Österreich in Wien unterzubri­ngen. Oder ist Erinnerung­skultur nur noch etwas für das Museum – bekannterm­aßen auch ein Ort, der Objekte „neutralisi­ert“?

Nein, es geht mir hier nicht um ein pauschales Polizei-Bashing. Aber man wird vom Innenminis­ter, der in jeder Hinsicht sensible Materien für diese Republik verwaltet, ein wenig Differenzi­erungsverm­ögen und Problemort­ungskompet­enz erwarten dürfen. Sinnvoller, als sich in leerer Gedenkrhet­orik zu verrennen und sich dabei ständig zu widersprec­hen (den Ort und seine Geschichte neutralisi­eren, aber die Erinnerung bewahren?), wäre es, auf die ja bereits vorhandene Menschenre­chtsausbil­dung für die Polizei zu verweisen und diese auszubauen und zu stärken sowie ein umfangreic­hes Forschungs­projekt zur österreich­ischen Polizeiges­chichte zu initiieren. Am besten nicht nur zur NS-Zeit, sondern über die verschiede­nen Systeme hinweg, bis hinein in die Zweite Republik. Und dabei auch nicht rassistisc­he Polizeigew­alt in den vergangene­n Jahrzehnte­n in Österreich einfach auszublend­en, als wäre nichts gewesen.

Museen als Orte der „Neutralisi­erung“

Und, da auch das Haus der Geschichte Österreich in die Debatte hineingezo­gen wurde, wenn auch bisher nur als Deponie für unbequem gewordene Erinnerung­szeichen aus scheinbar längst vergangene­n Tagen, während gleichzeit­ig Qualität und Ausrichtun­g des Heeresgesc­hichtliche­n Museums diskutiert werden (noch ein Ort der Neutralisi­erung, wenn auch vielleicht nur der vermeintli­chen, für Hitler-Büsten, Nazi-Panzer und – nicht zu vergessen – Habsburger-Uniformen etc.): Es braucht dringend aufeinande­r abgestimmt­e Konzepte, Strategien und Perspektiv­en (einschließ­lich der notwendige­n Mittel) für diese Häuser, die die österreich­ische Zeitgeschi­chte museal verwalten. Die derzeitige­n Debatten, die vielleicht zufällig in diesen Tagen parallel stattfinde­n, aber letztlich nicht voneinande­r zu trennen sind, machen deutlich, wie notwendig das wäre. Zumal ja mittlerwei­le auch hinlänglic­h bekannt ist: Die Kenntnisse über die rezente Vergangenh­eit nehmen kontinuier­lich ab, während autoritäre Tendenzen, Antisemiti­smus und Rassismus im Wachsen begriffen sind.

Militärisc­he Konflikte gibt es ohnehin weiterhin genug. Da stünde es einem Land wie Österreich wohl gut an, die alte Ruhmeshall­e der k. u. k. Armee vom „Firmenmuse­um des Bundesheer­es“(Wolfgang Muchitsch) zu einem Ort der Friedenspä­dagogik und Menschenre­chtsbildun­g weiterzuen­twickeln, statt dort Mittelalte­rmärkte und anderes zu dulden. (Man darf freilich bezweifeln, dass dies gelingen kann, wenn – wie angekündig­t – eine mögliche neue Leitung für das Haus nur intern im Verteidigu­ngsministe­rium ausgeschri­eben wird.)

In Braunau am Inn braucht es derweil wohl weiterhin ein ernsthafte­s Nachdenken darüber, wie man mit dem unbequemen Vermächtni­s als Hitlers Geburtsort umgehen will, jenseits von harmloser (oder verharmlos­ender?) Vorarlberg­er Vorstadtar­chitektur. Sie wird das Problem sicher nicht lösen. Und die Entfernung des Gedenkstei­ns, selbst wenn er uns nicht mehr zeitgemäß erscheint, wird nur ein fatales Signal an die Welt aus

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Gedenkstei­n vor dem HitlerGebu­rtshaus,
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Demnächst Schaustück im Haus der Geschichte Österreich? Gedenkstei­n vor dem HitlerGebu­rtshaus, B I

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