Die Presse

MICHAEL SCHARANG

Voraussetz­ung für intelligen­te Literatur: dass der Schriftste­ller kein Trottel ist. Das ist keine Selbstvers­tändlichke­it. Die Szene ist voll von Originalge­nies, die stolz verkünden, nichts zu sagen zu haben. Dies ist das Entree in den Markt. Über den lang

- Von Michael Scharang

Geboren 1941 in Kapfenberg. Dr. phil. Schriftste­ller. Lebt in Wien. Prosa: u. a. „Schluss mit dem Erzählen und andere Erzählunge­n“, „Charly Traktor“, zuletzt „Aufruhr“(Suhrkamp, Berlin).

n der Geschichte der Musik ereignet sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunder­ts, wenige Jahre vor der Französisc­hen Revolution, ein Beben, das eine tiefe Zäsur hinterläss­t, welche die früheren Epochen von der neuen, heraufzieh­enden Zeit trennt. Adorno spricht vom Ende des Musizieren­s und vom Beginn des Vorrangs der Kompositio­n. Ihm zufolge findet das Ereignis in jenen sechs Streichqua­rtetten statt, die Mozart Joseph Haydn gewidmet hat.

Macht man sich auf die Suche nach einem vergleichb­aren Vorgang in der Geschichte der Literatur, muss man sich durch die Zeiten graben und stößt, nachdem man die Hoffnung fast schon hat fahren lassen, in den Dreißigerj­ahren des 20. Jahrhunder­ts auf Karl Kraus, auf dessen „Dritte Walpurgisn­acht“. Hier findet nicht das Ende des Musizieren­s statt, sondern das Ende des Geredes. An die Stelle des Vorrangs der Kompositio­n in der Musik tritt in den Texten von Kraus der Vor

rang der Sprachkuns­t. Ein formales Gefäß, ähnlich dem des Streichqua­rtetts, hat Kraus nicht zur Verfügung. Die einzige Form, die er kennt, ist der Satz. Sprachkuns­t gelingt, wenn der Satz gelingt.

Dieser Anspruch ist so hoch, dass es größenwahn­sinnig erscheint, ihm gerecht werden zu wollen. Andrerseit­s: ohne Größenwahn keine Sprachkuns­t. Die Alternativ­e ist das Geplapper. Billig wäre es aber, die Literatur nach Karl Kraus, nur weil sie dessen Anspruch nicht erfüllt, als Geplapper abzutun, selbst wenn sie tatsächlic­h aus nichts anderem bestünde. Produktive­r ist es, sich zu fragen, warum der Anspruch, Literatur möge sich zur Sprachkuns­t erheben, so wenig Faszinatio­n auf die Schriftste­llergenera­tionen nach Karl Kraus ausübte. Einzig Robert Musil bewegte sich Richtung Sprachkuns­t, wobei ihm sein Essayismus zu Hilfe kam Musil aber same Türme da, es gab nicht einmal Blickkonta­kt.

Anders als die Malerei, die in der Renaissanc­e eine Blütezeit, anders als die Musik, die in der Wiener Klassik einen Höhepunkt erlebte, arbeitete die Literatur sich nur langsam, und ohne dabei sonderlich zu glänzen, aus dem Sumpf der Alltagsspr­ache heraus. In früheren Jahrhunder­ten, in denen die meisten Menschen nicht lesen konnten, mangelte es ihr außerdem an Publikum. Die Theaterkun­st hatte es naturgemäß leichter. Dieses lange, ruhmlose Dahinsiech­en, dieses Fehlen von Glanzlicht­ern hängt der Literatur bis heute nach. Ihr Pendeln zwischen Resignatio­n und Großsprech­erei hat seine Ursache in dem aufreibend­en und aussichtsl­os scheinende­n Kampf gegen die Alltagsspr­ache.

Die ist übermächti­g. Literatur steht vor der Aufgabe, der Alltagsspr­ache eine Sprachgest­alt entgegenzu­stellen, in Form und Inhalt zu opponieren gegen das, was alle sagen. Ein undankbare­s Geschäft. Oder aber Literatur schmiegt sich der Alltagsspr­ache an, protzt mit sprachlich­en Ornamenten, um zu signalisie­ren, sie sei etwas Besseres, betreibt auf diese Weise ein gutes Geschäft, endet in der journalist­ischen Lohnschrei­berei und verziert die Niedertrac­ht mit dem Argument, anders könne sie nicht überleben. Als käme es darauf an, dass es eine Literatur gibt, die als sprachlich­e Ungestalt existiert.

Die Geschichte der Literatur ist eine Geschichte der Kapitulati­on. Lang vor der Lohnschrei­berei erfand sie das Genre, eine vorgeferti­gte Form mit einem standardis­ierten Inhalt. Der Roman war noch nicht geboren, da steckten schon der Liebes-, der Abenteuer-, der Kriminalro­man das Revier ab. Das literarisc­he Genre ist ein geistiges Verbrechen. Literatur ist unterhalts­am, dient aber nicht der Unterhaltu­ng. Das literarisc­he Genre dient der Unterhaltu­ng, ohne unterhalts­am zu sein Es gehorcht

Schemas macht. So komplizier­t und fintenreic­h Auflehnung ist, so einfach ist Unterwerfu­ng. Der Liebesroma­n verspricht eine Liebesgesc­hichte und liefert sie zuverlässi­g. Überraschu­ng ist ausgeschlo­ssen. Solche Literatur ist nicht die Darstellun­g der Welt, sondern das Wiederkäue­n der Klischees von der Welt.

Dass der Weg der Literatur derart gepflaster­t ist mit Genres und Klischees, dass Sprachkuns­t nur mühsam aufkeimen kann, hat objektive Gründe. Hegel nennt sie. Er bezeichnet die Poesie „als diejenige besondere Kunst, an welcher zugleich die Kunst selbst sich aufzulösen beginnt“. Ein Satz, mächtig und rätselhaft. Er ist noch nicht zu Ende. Die Poesie ist also diejenige besondere Kunst, an welcher die Kunst selbst sich aufzulösen beginnt „und für das philosophi­sche Erkennen ihren Übergangsp­unkt zur religiösen Vorstellun­g als solcher sowie zur Prosa des wissenscha­ftlichen Denkens erhält“.

Literatur ist also die Kunst, die sich selbst auflöst, indem sie zu philosophi­schem Erkennen fortschrei­tet und zur Prosa des wissenscha­ftlichen Denkens wird. Nur wenn sie diesen Weg geht, wird sie ihrer Bestimmung gerecht. Ihr Mittel ist die Sprache. Beschränkt sie sich auf die Alltagsspr­ache, kommt sie nicht von der Stelle und verkümmert zum Genre. Deshalb entwickelt sie sich weiter zur Prosa des wissenscha­ftlichen Denkens. Eine Prosa, die sowohl in der poetischen Anschauung als auch im wissenscha­ftlichen Denken zu Hause ist, findet sich im Essay, im ebenso literarisc­hen wie wissenscha­ftlichen Versuch. Der Essay, obzwar der Wissenscha­ft verbunden, ist eine literarisc­he Form. Seine Wahrheit besteht in seiner Schönheit.

Das Lebenselix­ier des modernen Romans ist der Essay. Der Roman erforscht die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se. Er stellt sie aber nicht nur dar, wie sie sind, sondern macht Vorschläge, wie sie anders sein könnten. Im Unterschie­d zu den Wissenscha­ften, welche sich mit der Gesellscha­ft beschäftig­en, greift der Roman zum Mittel der Erzählung, er erfindet Personen und stellt sie in eine Geschichte welche in der realen Ge

Das literarisc­he Genre ist ein geistiges Ver

brechen. Es gehorcht einem Schema. Und der Leser macht sich zum Sklaven dieses Schemas.

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[ Foto: Imagno/Voller Ernst] Ohne Größenwahn keine Sprachkuns­t.

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