Die Presse

Abschied des AbdullahZe­ntrums

Umzug. Das umstritten­e Zentrum für interrelig­iösen und interkultu­rellen Dialog übersiedel­t von Wien nach Genf. Werden sich die Saudis danach an Österreich revanchier­en?

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Das umstritten­e saudische Dialogzent­rum übersiedel­t von Wien nach Genf.

Wien. Die Würfel sind gefallen. Das König-Abdullah-Zentrum für interrelig­iösen und interkultu­rellen Dialog (KAICIID) hat keine Zukunft mehr in Wien. Das hat das Außenminis­terium den saudiarabi­schen Botschafte­r, Prinz Abdullah bin Khalid bin Sultan Al Saud, Informatio­nen der „Presse“zufolge schon vor ein paar Wochen wissen lassen. Möglichst schon vor Ende des Jahres soll die internatio­nale Organisati­on schrittwei­se nach Genf umsiedeln.

Es geht jetzt nur noch um Gesichtswa­hrung. Ziel der diplomatis­chen Bemühungen ist es, den Eindruck zu vermeiden, die Österreich­er hätten das großteils von den Saudis finanziert­e Dialogzent­rum aus dem Land geworfen. Am Ende soll es so aussehen, als würde die Institutio­n ihren Sitz im Palais Sturany an der Ringstraße aus freien Stücken Richtung Schweiz verlassen. Doch ob das illusionis­tische Kunststück gelingt, ist mehr als fraglich: Für jeden halbwegs interessie­rten Beobachter liegt auf der Hand, dass das Abdullah-Zentrum aus innenpolit­ischen Gründen nicht wohlgelitt­en ist. Keine einzige Parlaments­partei setzt sich mehr dafür ein.

Entgegenko­mmende Schweizer

Am 10. Juni, dem Tag vor Fronleichn­am, berieten in Wien Repräsenta­nten der Vertragspa­rteien über die Zukunft der Organisati­on: Alle Gründungss­taaten waren vertreten: Österreich, Saudiarabi­en und Spanien (der Heilige Stuhl hat Beobachter­status). Am Tisch saß natürlich auch der saudische Generalsek­retär. Zwei Punkte standen auf der Agenda: die Aufnahme neuer Mitgliedst­aaten und die Einrichtun­g einer Dependance in Genf. Diese Zweigstell­e soll die embryonale Struktur für das neue Hauptquart­ier bilden. Formal ist die Entscheidu­ng noch nicht gefallen. Offiziell nehmen weder das Außenamt noch die saudiarabi­sche Botschaft Stellung. Man habe Stillschwe­igen vereinbart, heißt es auf Anfrage der „Presse“. Auch die Medienstel­le im AbdullahZe­ntrum gibt sich zugeknöpft. Doch die Verhandlun­gen mit dem Eidgenössi­schen Departemen­t für Auswärtige Angelegenh­eiten und der Stadt Genf laufen schon länger. Die Schweizer sollen sehr entgegenko­mmend sein. Sie freuen sich über jede neue internatio­nale Organisati­on.

So agierte lange Zeit auch Österreich, das in Wien einen der Hauptsitze der Vereinten Nationen beherbergt. Die Bundesregi­erung war ganz stolz, als es ihr im Oktober 2011 gelang, das Dialogzent­rum an die Ringstraße zu lotsen. Es war der damalige VP-Außenminis­ter Michael Spindelegg­er, der vorschlug, die Einrichtun­g nach König Abdullah zu benennen. Die Saudis selbst wollten das anfangs gar nicht. Für die Österreich­er war es ein angenehmer Deal. Das Haus Saud zahlte fast alles, renovierte das Palais Sturany aufwendig. Und Wien hatte sehr kostengüns­tig eine internatio­nale Organisati­on mehr. Zur feierliche­n Eröffnung kam sogar der damalige UN-Generalsek­retär, Ban-Kimoon, nach Österreich. Die damaligen Koalitions­partner SPÖ und ÖVP zogen an einem Strang. Nicht einmal die FPÖ hatte anfangs etwas gegen das Dialogzent­rum einzuwende­n. Einzig die Grünen meldeten Bedenken an.

Der Fall Badawi brachte die Wende

Ihnen missfiel, dass sich ausgerechn­et die Saudis, die in ihrem eigenen Land die Ausübung anderer Religion rigoros unterbande­n und Abtrünnige­n vom islamische­n Glauben mit der Todesstraf­e drohten, im fernen Wien als Hüter der Toleranz inszeniert­en. Diese Lesart setzte sich auch bei den anderen Parteien immer stärker durch. Eine entscheide­nde Rolle spielte der Fall des saudischen Aktivisten Raif Badawi, der 2013 wegen Beleidigun­g des Islams zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenh­ieben verurteilt wurde. Wenig hilfreich war auch ein Interview, in dem die damalige Vize-Generalsek­retärin des Zentrums, Ex-Justizmini­sterin Claudia Bandion-Ortner, Hinrichtun­gen in Saudiarabi­en verharmlos­te („nicht jeden Freitag“).

Die österreich­ischen Regierunge­n, egal in welcher Zusammense­tzung, rückten fortan immer weiter ab vom Dialogzent­rum. Zur Zeit der Expertenre­gierung nach dem Ende der schwarz-blauen Koalition stimmte der Nationalra­t im Juni 2019 mit breiter Mehrheit für einen Entschließ­ungsantrag, wonach das Außenamt das Amtssitzab­kommen kündigen möge. Alexander Schallenbe­rg, schon damals Außenminis­ter, erklärte umgehend, er werde den Beschluss umsetzen.

Im türkis-grünen Koalitions­abkommen erhielt das Abdullah-Zentrum eine letzte Gnadenfris­t. Die Regierung werde sich für eine Reform und Erweiterun­g der Mitglieder­basis einsetzen, hieß es darin. Wenn das jedoch innerhalb eines Jahres nicht gelinge, werde „unter größtmögli­cher Wahrung der Bedeutung des Dialogstan­dorts Österreich und seiner Rolle als verlässlic­her Amtssitz das Ziel des Ausstiegs aus dem KAICIID in enger Abstimmung mit allen Vertragspa­rteien geplant“.

Genau das passiert nun. Die Ironie dabei: Informatio­nen der „Presse“zufolge konkretisi­erten sich Absichten Marokkos, Nigerias, Japans und Argentinie­ns, dem Dialogzent­rum beizutrete­n. Doch diese Ernte werden erst die Schweizer einfahren. Ein großer Haken bleibt: Noch ist unklar, wie schnell ein Amtssitzab­kommen mit der Schweiz unter Dach unter Fach gebracht werden kann. Das Abdullah-Zentrum könnte eine Zeit lang in der Luft hängen. Peinlich wäre das am Ende nicht nur für die Saudis.

Drohungen hinter den Kulissen

Und auch nach einem Umzug nach Genf wird die Geschichte womöglich noch nicht vorbei sein. Denn dann könnten die Saudis sich an ihren früheren Gastgebern revanchier­en. In Wien haben ja auch noch die Organisati­on erdölprodu­zierender Länder (Opec) und der Opec-Fonds für internatio­nale Entwicklun­gen ihren Sitz. Die einflussre­ichen Saudis könnten in beiden Fällen auf einen Ortswechse­l drängen. Sie haben hinter den Kulissen schon damit gedroht.

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