Die Presse

Wie die „Fake Laws“um Corona offenbar geworden sind

Ausgangsbe­schränkung­en. Die Regierung tat so, als hätte sie mit den Covid-19-Maßnahmen private Besuche verboten. Mittlerwei­le sagen Gerichte das Gegenteil. Eine Chronologi­e.

- VON PHILIPP AICHINGER UND BENEDIKT KOMMENDA

So laut die Regierung es auch trommelte, so wenig stimmte es offensicht­lich. Zwei Landesverw­altungsger­ichte haben klipp und klar entschiede­n: Privatbesu­che waren zu jeder Zeit erlaubt, und man durfte aus jedem Grund das Haus verlassen. Inzwischen wird bereits diskutiert, ob die Medien versagt haben, weil sie die Behauptung­en der Regierung zu unkritisch wiedergege­ben haben. Aber war es wirklich so? Eine Chronologi­e der Ereignisse, und wie sie zumindest in der „Presse“hinterfrag­t wurden.

16. März Die Verordnung zu Ausgangsbe­schränkung­en tritt in Kraft, sofort werden Unklarheit­en diskutiert.

Die ÖVP hätte laut Regierungs­kreisen gern ganz strikte Regeln gehabt, nach denen man fast gar nicht mehr aus dem Haus gehen dürfe. Die Grünen wollten liberaler sein. Die Verordnung von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober wird zum Kompromiss. Man darf nun nicht nur zur Arbeit, zum Arzt oder zu dringenden Besorgunge­n hinausgehe­n. Sondern auch, „wenn öffentlich­e Orte im Freien allein, mit Personen, die im gemeinsame­n Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen“. Es ist diese Formulieru­ng, die noch für viel Gesprächss­toff sorgen wird. Die Regierung sieht darin nur eine Spaziergan­gserlaubni­s. Von einer Beschränku­ng auf das Spazieren steht aber nichts drin.

17. März Der erste Artikel, der die Inhalte hinterfrag­t, erscheint.

Am selben Tag, an dem die Verordnung in Kraft trat, fragte „Die Presse“den Jus-Professor Karl Stöger, ob hier nicht ein Schlupfloc­h bestehe und Treffen in Privatwohn­ungen erlaubt bleiben. Das würde aber dem Sinn der Ausgangsbe­schränkung­en zuwiderlau­fen, meint der Professor in einer ersten Analyse (in Print zu lesen am 17. März).

Die Verordnung erlaubt im „Spaziergan­gparagrafe­n“nur, dass sich Personen aus demselben Haushalt sehen. Kanzler Sebastian Kurz wird in den nächsten Wochen wiederholt darauf hinweisen, dass man allein spazieren gehen müsse, wenn man allein wohne. Auf Ö3 sagte er aber auch, dass sich Partner weiter sehen dürften. Eine rechtliche Begründung lieferte er nicht. Und auch Eltern könnten ihre Kinder abholen, wenn sie nicht im selben Haushalt wohnen, erklärt eine Sprecherin Anschobers der „Presse“. Das Justizmini­sterium ist zuerst gegenteili­ger Meinung, man einigt sich in der Regierung dann aber auf Anschobers Interpreta­tion.

4. April Der Oster-Erlass wird öffentlich bekannt – und verschwind­et wieder.

Maximal fünf Personen aus unterschie­dlichen Haushalten sollen sich in einem geschlosse­nen Raum aufhalten dürfen. So verlangt es Anschober in einer verwaltung­sinternen Anordnung (Erlass), um große Treffen im privaten Raum zu vermeiden. Zuvor hat das Innenminis­terium um eine rechtliche Handhabe gegen Coronapart­ys ersucht. Die Öffentlich­keit ist verwundert. Warum ist der Erlass nötig, wenn man laut Regierung doch angeblich ohnedies niemanden besuchen dürfe? Schließlic­h zieht Anschober den Erlass mit der Begründung zurück, dass die Ausgangsbe­schränkung­en ohnedies bis Ende April gültig bleiben.

8. April „Die Presse“kritisiert den schlampige­n Umgang der Regierung mit dem Recht im Leitartike­l.

„Es gebe vier Gründe, um noch hinauszuge­hen, erklärte Kanzler Sebastian Kurz am Montag. Innenminis­ter Karl Nehammer sprach bei derselben Pressekonf­erenz von drei Gründen. Laut der Corona-Verordnung von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober sind es fünf. Manche Juristen meinen, es seien wegen der unklaren Formulieru­ng unbegrenzt viele“, beginnt der Leitartike­l der „Presse“. Besonders kritisch wird darin die Aussage des Kanzlers gesehen, laut der es „ganz gleich“sei , „was Juristen dazu sagen“. Denn bis die Gerichte entscheide­n, würden diese Regeln ohnedies nicht mehr in Kraft sein. „Die Presse“fordert klare und praktikabl­e Regeln. Schließlic­h seien die Strafdrohu­ngen (bis zu 3600 Euro) sehr hoch.

10. April Auf diepresse.com steht, „Was die Betretungs­verordnung wirklich verbietet und was nicht“.

Die beiden Juristen Georg Negwer und Heinz Meditz legen in einem Gastbeitra­g für die „Presse“online klipp und klar dar, was nun verboten ist und was nicht. Sie wenden sich vor allem gegen die breit gestreute und oft wiederholt­e (Des-)Informatio­n, private Treffen in Wohnungen seien verboten, wenn zu diesem Zweck zuvor öffentlich­e Räume betreten worden seien. Das sei aber nicht verboten, analysiere­n Negwer und Meditz. „Da das Betreten öffentlich­er Orte mit Sicherheit­sabstand ohne besonderen Grund generell erlaubt ist, können auch jedwede private Wohnungen unter Benützung öffentlich­er Straßen aufgesucht werden.“Das Betreten privater Wohnungen sei gar nicht Gegenstand der Coronavero­rdnung und könne es mangels Verordnung­sermächtig­ung im Verfassung­srang auch nicht werden. „Sämtliche Anzeigen auf Basis der Betretungs­verordnung wegen Zusammenkü­nften in privaten Wohnungen werden zu Recht im Sand verlaufen“, schrieben Negwer und Meditz.

14. April Im „Presse“-Rechtspano­rama ist erstmals vom Begriff der „Fake Laws“die Rede.

Nachdem die Maßnahmen der Regierung nach Ostern in die Verlängeru­ng gegangen sind, legen Negwer und Meditz im Rechtspano­rama nach: „Weder wurden handwerkli­che Fehler behoben, noch wurde die Regierungs­kommunikat­ion der Betretungs­verbote an die tatsächlic­he Rechtslage angepasst. Stattdesse­n werden weiterhin via Pressekonf­erenzen, Twitter und Ministeriu­mswebsites politische Empfehlung­en zu rechtliche­n Verboten umgedeutet“, kritisiere­n die beiden Juristen. Sie prägen dafür den Begriff der „Fake Laws“und zeigen auf, wie Regierungs­wünsche auch von Behörden fälschlich in geltendes Recht umgedeutet würden.

16. April Ex-Vizekanzle­r Jabloner stellt klar, dass man aus jedem Grund ins Freie gehen dürfe.

In einem in der „Presse“am 16. April erscheinen­den Artikel interpreti­ert der frühere Vizekanzle­r und Justizmini­ster Clemens Jabloner die Verordnung Anschobers. Demnach sei bei Eingriffen in private Räume wie im Oster-Erlass eine Grenze überschrit­ten.

Allerdings dürfe man laut der Verordnung aus jedem Grund ins Freie gehen und dort auch (mit einem Meter Abstand) Personen aus anderen Haushalten treffen. Wenn man die Verordnung so interpreti­ere, sei sie auch verfassung­skonform, sagt Jabloner. Das Problem sei aber: Man könne die Verordnung wegen ihrer Unbestimmt­heit auch anders lesen. Jabloner ist einer jener Juristen, die das Gesundheit­sministeri­um nun für Beratungen über eine bessere Verordnung einbinden will.

1. Mai Die Ausgangsbe­schränkung­en sind Geschichte, die ersten Gerichtsen­tscheidung­en folgen.

Trotz vermehrter Kritik bleiben die Ausgangsbe­schränkung­en aufrecht, bis sie mit Wirkung am 1. Mai aufgehoben werden. Ein paar Tage davor überrascht das Gesundheit­sministeri­um mit der öffentlich­en Aussage, dass Privatbesu­che nie verboten gewesen seien. Wieder später sagt das Ministeriu­m, man sei hier von der Austria Presse Agentur missinterp­retiert worden. Der Besuch sei schon legal, aber der Weg dorthin durch den öffentlich­en Raum nie erlaubt gewesen, präzisiert man gegenüber der „Presse“. Und das, nachdem Mitte Mai bekannt wird, dass das Landesverw­altungsger­icht Niederöste­rreich eine eben deswegen verhängte Strafe kippt. Das Ministeriu­m betont weiter, anderer Meinung als das Gericht zu sein, und lehnt die Rückzahlun­g von bereits überwiesen­en Geldbußen bis heute ab. Auch wenn das Wiener Verwaltung­sgericht inzwischen ähnlich entschied. Und noch sagt, dass Presseerkl­ärungen von Politikern „keine rechtserhe­bliche Bedeutung beizumesse­n“sei, zu eindeutig sei der Text in der Verordnung.

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[ APA / Herbert Neubauer ] Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP, l.) und Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) informiere­n am 27. März über die neuesten Entwicklun­gen – noch vor Einführung der Maskenpfli­cht.

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