Wie die „Fake Laws“um Corona offenbar geworden sind
Ausgangsbeschränkungen. Die Regierung tat so, als hätte sie mit den Covid-19-Maßnahmen private Besuche verboten. Mittlerweile sagen Gerichte das Gegenteil. Eine Chronologie.
So laut die Regierung es auch trommelte, so wenig stimmte es offensichtlich. Zwei Landesverwaltungsgerichte haben klipp und klar entschieden: Privatbesuche waren zu jeder Zeit erlaubt, und man durfte aus jedem Grund das Haus verlassen. Inzwischen wird bereits diskutiert, ob die Medien versagt haben, weil sie die Behauptungen der Regierung zu unkritisch wiedergegeben haben. Aber war es wirklich so? Eine Chronologie der Ereignisse, und wie sie zumindest in der „Presse“hinterfragt wurden.
16. März Die Verordnung zu Ausgangsbeschränkungen tritt in Kraft, sofort werden Unklarheiten diskutiert.
Die ÖVP hätte laut Regierungskreisen gern ganz strikte Regeln gehabt, nach denen man fast gar nicht mehr aus dem Haus gehen dürfe. Die Grünen wollten liberaler sein. Die Verordnung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober wird zum Kompromiss. Man darf nun nicht nur zur Arbeit, zum Arzt oder zu dringenden Besorgungen hinausgehen. Sondern auch, „wenn öffentliche Orte im Freien allein, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen“. Es ist diese Formulierung, die noch für viel Gesprächsstoff sorgen wird. Die Regierung sieht darin nur eine Spaziergangserlaubnis. Von einer Beschränkung auf das Spazieren steht aber nichts drin.
17. März Der erste Artikel, der die Inhalte hinterfragt, erscheint.
Am selben Tag, an dem die Verordnung in Kraft trat, fragte „Die Presse“den Jus-Professor Karl Stöger, ob hier nicht ein Schlupfloch bestehe und Treffen in Privatwohnungen erlaubt bleiben. Das würde aber dem Sinn der Ausgangsbeschränkungen zuwiderlaufen, meint der Professor in einer ersten Analyse (in Print zu lesen am 17. März).
Die Verordnung erlaubt im „Spaziergangparagrafen“nur, dass sich Personen aus demselben Haushalt sehen. Kanzler Sebastian Kurz wird in den nächsten Wochen wiederholt darauf hinweisen, dass man allein spazieren gehen müsse, wenn man allein wohne. Auf Ö3 sagte er aber auch, dass sich Partner weiter sehen dürften. Eine rechtliche Begründung lieferte er nicht. Und auch Eltern könnten ihre Kinder abholen, wenn sie nicht im selben Haushalt wohnen, erklärt eine Sprecherin Anschobers der „Presse“. Das Justizministerium ist zuerst gegenteiliger Meinung, man einigt sich in der Regierung dann aber auf Anschobers Interpretation.
4. April Der Oster-Erlass wird öffentlich bekannt – und verschwindet wieder.
Maximal fünf Personen aus unterschiedlichen Haushalten sollen sich in einem geschlossenen Raum aufhalten dürfen. So verlangt es Anschober in einer verwaltungsinternen Anordnung (Erlass), um große Treffen im privaten Raum zu vermeiden. Zuvor hat das Innenministerium um eine rechtliche Handhabe gegen Coronapartys ersucht. Die Öffentlichkeit ist verwundert. Warum ist der Erlass nötig, wenn man laut Regierung doch angeblich ohnedies niemanden besuchen dürfe? Schließlich zieht Anschober den Erlass mit der Begründung zurück, dass die Ausgangsbeschränkungen ohnedies bis Ende April gültig bleiben.
8. April „Die Presse“kritisiert den schlampigen Umgang der Regierung mit dem Recht im Leitartikel.
„Es gebe vier Gründe, um noch hinauszugehen, erklärte Kanzler Sebastian Kurz am Montag. Innenminister Karl Nehammer sprach bei derselben Pressekonferenz von drei Gründen. Laut der Corona-Verordnung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober sind es fünf. Manche Juristen meinen, es seien wegen der unklaren Formulierung unbegrenzt viele“, beginnt der Leitartikel der „Presse“. Besonders kritisch wird darin die Aussage des Kanzlers gesehen, laut der es „ganz gleich“sei , „was Juristen dazu sagen“. Denn bis die Gerichte entscheiden, würden diese Regeln ohnedies nicht mehr in Kraft sein. „Die Presse“fordert klare und praktikable Regeln. Schließlich seien die Strafdrohungen (bis zu 3600 Euro) sehr hoch.
10. April Auf diepresse.com steht, „Was die Betretungsverordnung wirklich verbietet und was nicht“.
Die beiden Juristen Georg Negwer und Heinz Meditz legen in einem Gastbeitrag für die „Presse“online klipp und klar dar, was nun verboten ist und was nicht. Sie wenden sich vor allem gegen die breit gestreute und oft wiederholte (Des-)Information, private Treffen in Wohnungen seien verboten, wenn zu diesem Zweck zuvor öffentliche Räume betreten worden seien. Das sei aber nicht verboten, analysieren Negwer und Meditz. „Da das Betreten öffentlicher Orte mit Sicherheitsabstand ohne besonderen Grund generell erlaubt ist, können auch jedwede private Wohnungen unter Benützung öffentlicher Straßen aufgesucht werden.“Das Betreten privater Wohnungen sei gar nicht Gegenstand der Coronaverordnung und könne es mangels Verordnungsermächtigung im Verfassungsrang auch nicht werden. „Sämtliche Anzeigen auf Basis der Betretungsverordnung wegen Zusammenkünften in privaten Wohnungen werden zu Recht im Sand verlaufen“, schrieben Negwer und Meditz.
14. April Im „Presse“-Rechtspanorama ist erstmals vom Begriff der „Fake Laws“die Rede.
Nachdem die Maßnahmen der Regierung nach Ostern in die Verlängerung gegangen sind, legen Negwer und Meditz im Rechtspanorama nach: „Weder wurden handwerkliche Fehler behoben, noch wurde die Regierungskommunikation der Betretungsverbote an die tatsächliche Rechtslage angepasst. Stattdessen werden weiterhin via Pressekonferenzen, Twitter und Ministeriumswebsites politische Empfehlungen zu rechtlichen Verboten umgedeutet“, kritisieren die beiden Juristen. Sie prägen dafür den Begriff der „Fake Laws“und zeigen auf, wie Regierungswünsche auch von Behörden fälschlich in geltendes Recht umgedeutet würden.
16. April Ex-Vizekanzler Jabloner stellt klar, dass man aus jedem Grund ins Freie gehen dürfe.
In einem in der „Presse“am 16. April erscheinenden Artikel interpretiert der frühere Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner die Verordnung Anschobers. Demnach sei bei Eingriffen in private Räume wie im Oster-Erlass eine Grenze überschritten.
Allerdings dürfe man laut der Verordnung aus jedem Grund ins Freie gehen und dort auch (mit einem Meter Abstand) Personen aus anderen Haushalten treffen. Wenn man die Verordnung so interpretiere, sei sie auch verfassungskonform, sagt Jabloner. Das Problem sei aber: Man könne die Verordnung wegen ihrer Unbestimmtheit auch anders lesen. Jabloner ist einer jener Juristen, die das Gesundheitsministerium nun für Beratungen über eine bessere Verordnung einbinden will.
1. Mai Die Ausgangsbeschränkungen sind Geschichte, die ersten Gerichtsentscheidungen folgen.
Trotz vermehrter Kritik bleiben die Ausgangsbeschränkungen aufrecht, bis sie mit Wirkung am 1. Mai aufgehoben werden. Ein paar Tage davor überrascht das Gesundheitsministerium mit der öffentlichen Aussage, dass Privatbesuche nie verboten gewesen seien. Wieder später sagt das Ministerium, man sei hier von der Austria Presse Agentur missinterpretiert worden. Der Besuch sei schon legal, aber der Weg dorthin durch den öffentlichen Raum nie erlaubt gewesen, präzisiert man gegenüber der „Presse“. Und das, nachdem Mitte Mai bekannt wird, dass das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eine eben deswegen verhängte Strafe kippt. Das Ministerium betont weiter, anderer Meinung als das Gericht zu sein, und lehnt die Rückzahlung von bereits überwiesenen Geldbußen bis heute ab. Auch wenn das Wiener Verwaltungsgericht inzwischen ähnlich entschied. Und noch sagt, dass Presseerklärungen von Politikern „keine rechtserhebliche Bedeutung beizumessen“sei, zu eindeutig sei der Text in der Verordnung.