EU-Aufbauhilfe fließt frühestens 2021
Europäischer Rat. Die Videokonferenz der 27 Chefs war kurz, schmerz- und ergebnislos. Bewegt hat sich niemand, klar ist aber nun, dass es heuer keine Sondermittel gegen die Rezession gibt.
Brüssel. Nach nur vier Stunden endete die Videokonferenz der 27 Staats- und Regierungschefs am Freitag mit dem erwarteten Ergebnis: nämlich keinem Ergebnis. Weder in der Frage der Größe des EUFonds zum wirtschaftlichen Wiederaufbau noch in jener, wie viel von diesem Geld in Form von Transfers fließen soll und wie viel als Kredite, und auch nicht in jener, wie die Zuteilung dieser Mittel überhaupt errechnet werden soll. Immerhin ließ sich nach Ende der Unterredung der 27 Chefs anhand der spärlichen öffentlichen Erklärungen einiger von ihnen festhalten, dass sich die Gräben zwischen ihnen nicht vertieft haben.
Eines jedoch ist nun zweifelsfrei festgehalten: Ob der Fonds 750 Milliarden Euro umfassen wird oder nicht – kein einziger Cent davon wird ins heurige Jahr vorgezogen werden. Die Transfers und Darlehen für die am härtesten von der Coronapandemie und der aus ihr entspringenden Rezession getroffenen Regionen und Branchen werden also frühestens ab dem Jahr 2021 zur Verfügung stehen. Und es wird noch viel länger dauern, bis diese Summen bei den Empfängern tatsächlich ankommen, wie „Die Presse“vorige Woche bereits unter Bezugnahme auf eine Studie des Brüsseler Thinktanks Bruegel berichtet hatte. Rund drei Viertel des gesamten Betrages werden frühestens im Jahr 2023 ausbezahlt werden.
Auf Basis des Vorschlags, den Kommiss ions präsidentin Ursula von der Leyen am Freitag den 27 Chefs offiziell vorgestellt hat, würden Ende 2022 nur 29,9 Prozent der Mittel an die Nutznießer überwiesen sein. „Das ist im Sinne eines Krisen intervent ions instrumentes nicht sinnvoll “, kommentierte dieser Tage ein europäischer Diplomat diesen Umstand.
Merkel will schnellere Tilgung
Auch die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, betonte, dass „die bürokratischen Regeln auf den Prüfstand“kommen, damit „wir Wege finden, dass das Geld schnell fließen kann“. Sie machte bei ihrer Pressekonferenz nach Ende der Konferenz klar, dass keine Mittel aus dem Fonds vorgezogen werden: „Ich sehe nicht, wie man Geld von diesem Aufbauplan schon in dieses Jahr hineinbringen kann.“Das dürfte Italiens Premierminister Giuseppe Conte verärgern, der genau so ein Vorziehen fordert.
Außer Debatte ist laut Merkel jetzt auch der Grundsatz, dass dieser Fonds dadurch gefüllt wird, dass die Kommission Anleihen an den Finanzmärkten begibt: „Das ist von niemandem infrage gestellt worden“, sagte die Kanzlerin, der ab 1. Juli im Rahmen des deutschen Ratsvorsitzes eine noch größere Bedeutung bei der Findung einer Lösung zukommen wird, als das bisher schon der Fall ist.
Doch zwei weitere wesentliche Fragen sind weiterhin unbeantwortet. Erstens jene der Tilgung dieser Anleihen. Der Vorschlag von der Leyens, mit der Rückzahlung erst im Jahr 2028 zu beginnen, also in der übernächsten siebenjährigen Finanzperiode, wird von mehreren Staaten abgelehnt – allen voran von Deutschland. „Wir sollten mit der Rückzahlung des Geldes bereits in dieser Finanzperiode beginnen“, sagte Merkel und meinte damit die Phase 2021 bis 2027. „Das würde die Glaubwürdigkeit sehr erhöhen.“Auch die Niederlande, die größten Skeptiker dieses Fonds, wollen die neuen Schulden schneller tilgen.
Zweitens sind mehrere Staaten mit der Berechnungsmethode für die Zuteilung der Transfers und Darlehen aus dem Fonds unzufrieden. Basis dafür sind in von der
Leyens Vorschlag die Arbeitslosenzahlen der Jahre 2015 bis 2019. „Wir finden es seltsam, dass man sich die Arbeitslosigkeit in der jüngeren Vergangenheit anschaut, nicht aber, wie schnell oder langsam ein Land aus der gegenwärtigen Krise kommt“, kritisierte ein nordeuropäischer Diplomat.
Lagarde warnte vor Absturz
Mitte Juli werden sich die 27 erstmals seit Februar persönlich in Brüssel treffen, um den Stand der Debatte in einen konkreten Verhandlungsvorschlag zu gießen. Diese Aufgabe wird Charles Michel zufallen, dem Präsidenten des Europäischen Rates. Er hat bisher keine glückliche Figur gemacht. Dass vor einer Woche sein erfahrener und allseits respektierter Kabinettschef Francois¸ Roux entnervt gekündigt hat, erleichtert seine Aufgabe nicht. Die muss jedenfalls rasch zu einer Einigung der 27 führen. Denn die Lage ist dramatisch, wie Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, ihnen am Freitag ins Gewissen redete: Das Schlimmste für den Arbeitsmarkt komme erst, die Arbeitslosigkeit dürfte von derzeit 7,3 auf zehn Prozent steigen – und vor allem die Jungen treffen. Es drohe ein „dramatischer Absturz“.