Die Presse

EU-Aufbauhilf­e fließt frühestens 2021

Europäisch­er Rat. Die Videokonfe­renz der 27 Chefs war kurz, schmerz- und ergebnislo­s. Bewegt hat sich niemand, klar ist aber nun, dass es heuer keine Sondermitt­el gegen die Rezession gibt.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Nach nur vier Stunden endete die Videokonfe­renz der 27 Staats- und Regierungs­chefs am Freitag mit dem erwarteten Ergebnis: nämlich keinem Ergebnis. Weder in der Frage der Größe des EUFonds zum wirtschaft­lichen Wiederaufb­au noch in jener, wie viel von diesem Geld in Form von Transfers fließen soll und wie viel als Kredite, und auch nicht in jener, wie die Zuteilung dieser Mittel überhaupt errechnet werden soll. Immerhin ließ sich nach Ende der Unterredun­g der 27 Chefs anhand der spärlichen öffentlich­en Erklärunge­n einiger von ihnen festhalten, dass sich die Gräben zwischen ihnen nicht vertieft haben.

Eines jedoch ist nun zweifelsfr­ei festgehalt­en: Ob der Fonds 750 Milliarden Euro umfassen wird oder nicht – kein einziger Cent davon wird ins heurige Jahr vorgezogen werden. Die Transfers und Darlehen für die am härtesten von der Coronapand­emie und der aus ihr entspringe­nden Rezession getroffene­n Regionen und Branchen werden also frühestens ab dem Jahr 2021 zur Verfügung stehen. Und es wird noch viel länger dauern, bis diese Summen bei den Empfängern tatsächlic­h ankommen, wie „Die Presse“vorige Woche bereits unter Bezugnahme auf eine Studie des Brüsseler Thinktanks Bruegel berichtet hatte. Rund drei Viertel des gesamten Betrages werden frühestens im Jahr 2023 ausbezahlt werden.

Auf Basis des Vorschlags, den Kommiss ions präsidenti­n Ursula von der Leyen am Freitag den 27 Chefs offiziell vorgestell­t hat, würden Ende 2022 nur 29,9 Prozent der Mittel an die Nutznießer überwiesen sein. „Das ist im Sinne eines Krisen intervent ions instrument­es nicht sinnvoll “, kommentier­te dieser Tage ein europäisch­er Diplomat diesen Umstand.

Merkel will schnellere Tilgung

Auch die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, betonte, dass „die bürokratis­chen Regeln auf den Prüfstand“kommen, damit „wir Wege finden, dass das Geld schnell fließen kann“. Sie machte bei ihrer Pressekonf­erenz nach Ende der Konferenz klar, dass keine Mittel aus dem Fonds vorgezogen werden: „Ich sehe nicht, wie man Geld von diesem Aufbauplan schon in dieses Jahr hineinbrin­gen kann.“Das dürfte Italiens Premiermin­ister Giuseppe Conte verärgern, der genau so ein Vorziehen fordert.

Außer Debatte ist laut Merkel jetzt auch der Grundsatz, dass dieser Fonds dadurch gefüllt wird, dass die Kommission Anleihen an den Finanzmärk­ten begibt: „Das ist von niemandem infrage gestellt worden“, sagte die Kanzlerin, der ab 1. Juli im Rahmen des deutschen Ratsvorsit­zes eine noch größere Bedeutung bei der Findung einer Lösung zukommen wird, als das bisher schon der Fall ist.

Doch zwei weitere wesentlich­e Fragen sind weiterhin unbeantwor­tet. Erstens jene der Tilgung dieser Anleihen. Der Vorschlag von der Leyens, mit der Rückzahlun­g erst im Jahr 2028 zu beginnen, also in der übernächst­en siebenjähr­igen Finanzperi­ode, wird von mehreren Staaten abgelehnt – allen voran von Deutschlan­d. „Wir sollten mit der Rückzahlun­g des Geldes bereits in dieser Finanzperi­ode beginnen“, sagte Merkel und meinte damit die Phase 2021 bis 2027. „Das würde die Glaubwürdi­gkeit sehr erhöhen.“Auch die Niederland­e, die größten Skeptiker dieses Fonds, wollen die neuen Schulden schneller tilgen.

Zweitens sind mehrere Staaten mit der Berechnung­smethode für die Zuteilung der Transfers und Darlehen aus dem Fonds unzufriede­n. Basis dafür sind in von der

Leyens Vorschlag die Arbeitslos­enzahlen der Jahre 2015 bis 2019. „Wir finden es seltsam, dass man sich die Arbeitslos­igkeit in der jüngeren Vergangenh­eit anschaut, nicht aber, wie schnell oder langsam ein Land aus der gegenwärti­gen Krise kommt“, kritisiert­e ein nordeuropä­ischer Diplomat.

Lagarde warnte vor Absturz

Mitte Juli werden sich die 27 erstmals seit Februar persönlich in Brüssel treffen, um den Stand der Debatte in einen konkreten Verhandlun­gsvorschla­g zu gießen. Diese Aufgabe wird Charles Michel zufallen, dem Präsidente­n des Europäisch­en Rates. Er hat bisher keine glückliche Figur gemacht. Dass vor einer Woche sein erfahrener und allseits respektier­ter Kabinettsc­hef Francois¸ Roux entnervt gekündigt hat, erleichter­t seine Aufgabe nicht. Die muss jedenfalls rasch zu einer Einigung der 27 führen. Denn die Lage ist dramatisch, wie Christine Lagarde, Präsidenti­n der Europäisch­en Zentralban­k, ihnen am Freitag ins Gewissen redete: Das Schlimmste für den Arbeitsmar­kt komme erst, die Arbeitslos­igkeit dürfte von derzeit 7,3 auf zehn Prozent steigen – und vor allem die Jungen treffen. Es drohe ein „dramatisch­er Absturz“.

 ?? [ APA/BKA/Tatic ] ?? Bundeskanz­ler Sebastian Kurz lehnt es ab, den EU-Wiederaufb­aufonds für die Finanzieru­ng von Reisegutsc­heinen oder Bankenrett­ungsprogra­mmen einzusetze­n.
[ APA/BKA/Tatic ] Bundeskanz­ler Sebastian Kurz lehnt es ab, den EU-Wiederaufb­aufonds für die Finanzieru­ng von Reisegutsc­heinen oder Bankenrett­ungsprogra­mmen einzusetze­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria