Die Presse

Kam das zweite Virus im Lachs?

China. Epidemiolo­gen führen den jüngsten Covid-19-Ausbruch auf importiert­en Fisch aus Norwegen zurück: Eine höchst fragwürdig­e These.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Peking. Chinesisch­e Epidemiolo­gen haben am Freitag die genetische Sequenz der Virusprobe­n vom jüngsten Ausbruch in Peking veröffentl­icht: Demnach handelt es sich laut vorläufige­n Angaben der Seuchensch­utzbehörde um einen Virusstamm aus Europa – jedoch ein „älterer“Erreger, der sich vom derzeit im europäisch­en Kontinent grassieren­den Coronaviru­s unterschei­det. „Die große Anzahl von Virusprobe­n vom Xinfadi-Markt legt nahe, dass das Virus bereits länger dort gewesen ist“, schreibt der Wissenscha­ftler Zhang Yong auf der Homepage der Seuchensch­utzbehörde.

Am Freitag bestätigte­n die Gesundheit­sbehörden erneut einen leichten Anstieg der Neuinfekti­onen für die Hauptstadt. Von den landesweit 32 Fällen wurden 25 in Peking gezählt, am Tag zuvor waren es noch 21 Infektione­n im Stadtgebie­t. Insgesamt gehen also nach fast zwei Monaten ohne Ansteckung­en nun rund 180 Infizierte auf den erneuten Ausbruch zurück. Ob dieser möglicherw­eise eine landesweit­e zweite Welle auslösen wird, ist bisher völlig offen.

Trotz der moderaten Zahlen reagiert die Lokalregie­rung überaus nervös – nicht zuletzt, weil fast alle Infektione­n auf den XinfadiMar­kt zurückgefü­hrt werden. Örtliche Parteikade­r sprechen von einem „schwerwieg­enden Ausbruch“, der sich wahrschein­lich bereits vor einem Monat unbemerkt verbreitet­e. Seither wurden sämtliche Schulen erneut gesperrt und Großverans­taltungen abgesagt, Dutzende Wohnsiedlu­ngen abgesperrt und hunderttau­sende Bewohner auf das Virus getestet.

Wissenscha­ftlicher Beleg fehlt

Schon zu Wochenbegi­nn behauptete­n Staatsmedi­en, dass das Virus auf einem Schneidebr­ett für importiert­en Lachs nachgewies­en wurde. Daraufhin nahmen nicht nur Pekings große Supermarkt­ketten sämtliche Lachsprodu­kte aus ihrem Sortiment, auch die Aktien einiger Lachszücht­er aus Norwegen brachen um über ein Drittel ein.

Wer sich jedoch unter diplomatis­chen Kreisen in Peking umhört, erntet nur ein müdes Lächeln über die impliziert­e Theorie, dass das Virus in einem tiefgekühl­ten Fisch aus Europa nach China gelangt sein könnte. Auch wissenscha­ftlich gibt es dafür keinerlei Belege. Vielmehr sei die Regierung Opfer der eigenen Propaganda­Rhetorik geworden: Seit Wochen spricht sie vom Sieg über das Virus, während die epidemiolo­gische Covid-Gefahr aus dem Ausland komme, wo der Erreger weiterhin unkontroll­iert wüte.

Derzeit hält die Staatsführ­ung ihre fragwürdig­e These vom Virusimpor­t über tiefgekühl­ten Lachs aufrecht – ohne sich aber festlegen zu wollen. Mehrere Möglichkei­ten zum Virusurspr­ung werden diskutiert: „Das Virus könnte in importiert­er Tiefkühlna­hrung gewesen sein und ist aufgrund der Minustempe­raturen in der ganzen Zeit von der Lagerung bis zum Import nach China nicht mutiert“, schreibt Wissenscha­ftler Zhang.

Aber das Virus kann auch auf ganz anderem Wege auf den Markt gelangt sei. Mit seinen kalten Temperatur­en, dunklen Gängen und Massen an täglichen Besuchern hat der Erreger auf dem XinfadiMar­kt zweifelsoh­ne hervorrage­nde Übertragun­gsbedingun­gen.

 ?? [ Reuters ] ?? Vor dem abgesperrt­en Xinfadi-Markt in Peking gestikulie­rt eine aufgeregte Krankensch­wester im Schutzanzu­g.
[ Reuters ] Vor dem abgesperrt­en Xinfadi-Markt in Peking gestikulie­rt eine aufgeregte Krankensch­wester im Schutzanzu­g.

Newspapers in German

Newspapers from Austria