Kam das zweite Virus im Lachs?
China. Epidemiologen führen den jüngsten Covid-19-Ausbruch auf importierten Fisch aus Norwegen zurück: Eine höchst fragwürdige These.
Peking. Chinesische Epidemiologen haben am Freitag die genetische Sequenz der Virusproben vom jüngsten Ausbruch in Peking veröffentlicht: Demnach handelt es sich laut vorläufigen Angaben der Seuchenschutzbehörde um einen Virusstamm aus Europa – jedoch ein „älterer“Erreger, der sich vom derzeit im europäischen Kontinent grassierenden Coronavirus unterscheidet. „Die große Anzahl von Virusproben vom Xinfadi-Markt legt nahe, dass das Virus bereits länger dort gewesen ist“, schreibt der Wissenschaftler Zhang Yong auf der Homepage der Seuchenschutzbehörde.
Am Freitag bestätigten die Gesundheitsbehörden erneut einen leichten Anstieg der Neuinfektionen für die Hauptstadt. Von den landesweit 32 Fällen wurden 25 in Peking gezählt, am Tag zuvor waren es noch 21 Infektionen im Stadtgebiet. Insgesamt gehen also nach fast zwei Monaten ohne Ansteckungen nun rund 180 Infizierte auf den erneuten Ausbruch zurück. Ob dieser möglicherweise eine landesweite zweite Welle auslösen wird, ist bisher völlig offen.
Trotz der moderaten Zahlen reagiert die Lokalregierung überaus nervös – nicht zuletzt, weil fast alle Infektionen auf den XinfadiMarkt zurückgeführt werden. Örtliche Parteikader sprechen von einem „schwerwiegenden Ausbruch“, der sich wahrscheinlich bereits vor einem Monat unbemerkt verbreitete. Seither wurden sämtliche Schulen erneut gesperrt und Großveranstaltungen abgesagt, Dutzende Wohnsiedlungen abgesperrt und hunderttausende Bewohner auf das Virus getestet.
Wissenschaftlicher Beleg fehlt
Schon zu Wochenbeginn behaupteten Staatsmedien, dass das Virus auf einem Schneidebrett für importierten Lachs nachgewiesen wurde. Daraufhin nahmen nicht nur Pekings große Supermarktketten sämtliche Lachsprodukte aus ihrem Sortiment, auch die Aktien einiger Lachszüchter aus Norwegen brachen um über ein Drittel ein.
Wer sich jedoch unter diplomatischen Kreisen in Peking umhört, erntet nur ein müdes Lächeln über die implizierte Theorie, dass das Virus in einem tiefgekühlten Fisch aus Europa nach China gelangt sein könnte. Auch wissenschaftlich gibt es dafür keinerlei Belege. Vielmehr sei die Regierung Opfer der eigenen PropagandaRhetorik geworden: Seit Wochen spricht sie vom Sieg über das Virus, während die epidemiologische Covid-Gefahr aus dem Ausland komme, wo der Erreger weiterhin unkontrolliert wüte.
Derzeit hält die Staatsführung ihre fragwürdige These vom Virusimport über tiefgekühlten Lachs aufrecht – ohne sich aber festlegen zu wollen. Mehrere Möglichkeiten zum Virusursprung werden diskutiert: „Das Virus könnte in importierter Tiefkühlnahrung gewesen sein und ist aufgrund der Minustemperaturen in der ganzen Zeit von der Lagerung bis zum Import nach China nicht mutiert“, schreibt Wissenschaftler Zhang.
Aber das Virus kann auch auf ganz anderem Wege auf den Markt gelangt sei. Mit seinen kalten Temperaturen, dunklen Gängen und Massen an täglichen Besuchern hat der Erreger auf dem XinfadiMarkt zweifelsohne hervorragende Übertragungsbedingungen.