Wen Joe Biden als Vize will
USA. Bei der Suche nach einer Vizepräsidentschaftskandidatin konzentriert sich Biden auf Schwarze. Neben Kamala Harris rücken eine Bürgermeisterin und eine Ex-Polizeichefin in den Fokus.
Wien/Washington. Für Joe Biden läuft momentan alles beinah wie am Schnürchen: Das „Momentum“, die Dynamik, ist auf seiner Seite. In den Umfragen baute er seinen Vorsprung gegenüber Donald Trump aus, im Mai nahm er mehr als 80 Millionen Dollar an Spenden ein, er ist nach drei Monaten in Heimquarantäne wieder auf Wahlkampftour – und er begeht keine Fauxpas. In den „Swing States“hat er gerade eine Werbeoffensive gestartet. Die Trump-Kampagne drängte ihn nun zu mehr als den vereinbarten drei TV-Duellen – ein Zeichen für die Nervosität im Wahlkampfteam des Präsidenten.
Barack Obama redet mit
Der Fokus richtet sich indessen auf die Suche nach einer Vizepräsidentschaftskandidatin. Dass Biden eine Frau küren wird, ist fix. Nachdem sich Amy Klobuchar, die Senatorin aus Minnesota und BidenRivalin im Vorwahlkampf, aus dem Rennen genommen hat, konzentriert sich das Interesse auf eine afroamerikanische Politikerin. Denn die linksliberale Senatorin Elizabeth Warren (71) dürfte allein aus Altersgründen ausscheiden.
Biden, der den Prozess 2008 selbst durchlaufen hat, setzte eine Jury von vier Demokraten ein – darunter Ex-Senator Christopher Dodd und Eric Garcetti, den Bürgermeister von Los Angeles. Sie prüft die Kandidatinnen der „Castingshow“auf Herz und Nieren, mit langen Interviews und Fragebögen. Alles muss auf den Tisch: Privatleben, politische Vita, Konten.
Dass Binden dabei auch den Rat Barack Obamas sucht, ist klar. Im Zeichen der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt wächst der Druck der afroamerikanischen Gemeinde für eine farbige Kandidatin. Das Timing steht fest: Rund um den 1. August will Biden seine Kandidatin präsentieren – etwa zwei Wochen vor dem Parteitag in Milwaukee, um so die maximale Aufmerksamkeit zu erzielen.
Die Anforderung an den „Veep“– den Vizepräsidenten – ist klar definiert: vom ersten Tag an bereit zu sein für den Job des Präsidenten und notfalls die Amtsgeschäfte zu übernehmen für den dann 78-jährigen Biden, der der älteste Präsident in der US-Geschichte wäre. Biden ließ bereits durchblicken, nur für eine Amtszeit zu kandidieren, was seiner Vizepräsidentin die Pole-Position für den Wahlkampf 2024 garantiert.
Als einzige Latina von Rang und Namen ist Michelle Lujan Grisham, die Gouverneurin von New Mexico, am Start. Sonst dominieren Afroamerikanerinnen das Feld. Susan Rice, Obamas Ex-Sicherheitsberaterin, wirft mit ihrer internationalen Expertise und ihrer Regierungserfahrung zwei Voraussetzungen in die Waagschale. Ihr fehlt freilich die politische Hausmacht bei den Demokraten. Über Letztere verfügt zwar Stacey Abrams, Senatorin in Georgia, die bei der Gouverneurswahl 2018 zum nationalen Shootingstar aufstieg. Ihr fehlt indes jedwede Erfahrung in Washington. Drei Favoritinnen haben sich herauskristallisiert.
Kamala Harris. Die 55-jährige Senatorin aus Kalifornien gilt als Top-Favoritin. Die Tochter eines jamaikanischen Professors und einer indischen Wissenschaftlerin hat Biden als Kandidatin im ersten TVDuell mit einer Frontalattacke schwer zugesetzt, die Irritationen sind inzwischen aber ausgeräumt. Ein Mangel an Geldmitteln zwang sie zum frühzeitigen Ende ihrer Präsidentschaftskandidatur.
Im Schaulaufen für den Vizejob gab sie sich bisher keine Blöße. Im Zuge der Proteste gegen Rassismus griff sie Donald Trump scharf an.
Als Staatsanwältin und Justizministerin in Kalifornien hängt ihr der Ruf einer Verfechterin von Recht und Ordnung an. Womöglich spekuliert sie jedoch mit einem Ministerposten in einer Biden-Regierung, etwa als Justizministerin.
Keisha Lance Bottoms. Die 50-Jährige, Tochter des Soulstars Major Lance, ist die Aufsteigerin des Monats. In den vergangenen Wochen trat sie als Bürgermeisterin von Atlanta mit einer maßvollen Politik ins Rampenlicht. Sie appellierte an ein Ende von Gewalt und Plünderungen, forcierte eine Polizeireform nach dem Polizeimord an Rayshard Brooks und machte auch bei einer CNN-Bürgermeisterrunde gute Figur. Als Mutter von vier Kindern ist sie sich der Problematik von „Racial Profiling“bewusst.
Val Demings. Die 63-jährige Abgeordnete aus Florida ist zu einer prominenten Stimme der Demokraten im Repräsentantenhaus avanciert. Im Impeachment-Verfahren gegen den Präsidenten bestimmte sie Nancy Pelosi zu einer der Wortführerinnen. Als Ex-Polizeichefin in Orlando, die mit einem Polizeichef verheiratet ist, ist sie eine Expertin für das derzeitige Thema Nummer eins.
In Florida machen sich viele Prominente für sie stark, darunter der republikanische Ex-Gouverneur Charlie Christ, der zu den Demokraten übergelaufen ist. Florida ist der vielleicht wichtigste „Swing State“mit den meisten Wahlmännerstimmen – und in Jacksonville, der Geburtsstadt von Demings, findet Ende August der Parteitag der Republikaner statt.