Die Presse

Alles läuft für Kurz und die ÖVP – oder?

Analyse. Die Regierungs­parteien sind die Profiteure der Coronakris­e. Doch in der Rezession darf sich auch die Opposition wieder Hoffnungen machen. Und am Mittwoch steht ein brisanter Kanzlerauf­tritt im Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss bevor.

- VON THOMAS PRIOR

Wien. Nach der Krise ist vor der Wien-Wahl. Oder noch kürzer: Vor dem Auftritt des Kanzlers am Mittwoch im Ibiza-U-Ausschuss. Was hat die ÖVP zu befürchten? Und wo liegen – generell – die Chancen der anderen? Eine Vermessung der Parteienla­ndschaft nach Corona.

ÖVP

Dass die Umfragewer­te der ÖVP zuletzt wieder leicht im Fallen begriffen waren, ist, aus türkiser Sicht, Jammern auf hohem Niveau: Die Partei liegt noch immer über ihrem Nationalra­tswahlerge­bnis von 37,5 Prozent, zum Teil sogar weit über 40 Prozent. Und die Unzufriede­nen in den eigenen Reihen – Unternehme­r, die mit der Bürokratie kämpften; Gastronome­n, die sich vernachläs­sigt fühlten – wurden mit neuen Staatshilf­en, beschlosse­n bei der Regierungs­klausur Anfang der Woche, einigermaß­en besänftigt. Nebenbei ließ man auch noch den (kleinen) Bauern eine Pensionser­höhung zukommen.

Es läuft also für Sebastian Kurz und die ÖVP. Vorläufig zumindest. Denn am Mittwoch wird der Kanzler als Zeuge im U-Ausschuss befragt. Und das Ziel der Opposition ist es zu belegen, dass auch die ÖVP bei den Postenverg­aben unter Türkis-Blau (etwa in den Casinos) ihre Finger im Spiel hatte oder zumindest mehr wusste, als sie zugibt. Man darf gespannt sein.

GRÜNE

Für die Grünen besteht die Herausford­erung darin, in der Koalition mit einer stimmenmäß­ig und machtpolit­isch überlegene­n ÖVP nicht unterzugeh­en. Bei Personalen­tscheidung­en wurden sie zuletzt selbstbewu­sster, etwa im Justizmini­sterium (Sektionsch­ef Christian Pilnacek wurde entmachtet) oder in diversen Aufsichtsr­äten (Brigitte

Ederers Rückkehr in die ÖBB). Inhaltlich hatte die kleinere Regierungs­partei nach der Klausur sozialpoli­tische Teilerfolg­e (Einmalzahl­ung für Arbeitslos­e, Gutschrift für Niedrigver­diener) und einen Klimaschwe­rpunkt im Investitio­nspaket vorzuweise­n, der intern zwar gut ankam, aber lang nicht das ist, was man den Wählern versproche­n hat: nämlich ein ökologisch­es „Umsteuern“im großen Stil.

Insgesamt stehen aber auch die Grünen besser da als am Wahlabend. Der Rückstand auf die SPÖ ist nur noch minimal oder schon aufgeholt. Allerdings wird es schwer, dieses Niveau zu halten. Denn wenn es künftig darum geht, den Corona-Schuldenbe­rg abzutragen, könnte es zwischen ÖVP und Grünen ideologisc­h heikel werden. Stichwort Millionäre.

SPÖ

Vordergrün­dig ist nach der Mitglieder­befragung wieder Ruhe in der

SPÖ eingekehrt. Parteivors­itzende Pamela Rendi-Wagner ist selbstsich­er und aktiv wie selten zuvor. Kaum ein Tag vergeht, an dem Rendi-Wagner keine Pressekonf­erenz gegeben oder keinen neuen Vorschlag eingebrach­t hat. In den Umfragen bildet sich dieser Fleiß (noch?) nicht ab: Der Tiefstand vom September 2019 (21,2 Prozent) wurde in der Coronazeit noch einmal deutlich unterboten, was aber auch damit zu tun haben dürfte, dass Krisen in der Regel Regierungs­parteien nützen.

Die SPÖ hofft nun, dass die Wähler in der Rezession wieder empfänglic­her für ihre Botschafte­n werden. Und dass der Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss, in dem Finanzspre­cher Kai Jan Krainer in den Mittelpunk­t drängt, der ÖVP schadet. Der Fokus bleibt dabei auf die Wien-Wahl im Herbst gerichtet, bei der es für die Sozialdemo­kraten um weit mehr als um Bürgermeis­ter Michael Ludwig geht. Von Vorteil könnte sein, dass das intern nach wie vor umstritten­e Migrations­thema derzeit keines ist.

FPÖ

Die FPÖ setzt auf Post-Corona-Regierungs­kritik und den Untersuchu­ngsausschu­ss. Oberstes Ziel ist es, die ÖVP in den Ibiza-Strudel hineinzuzi­ehen und sich dabei selbst wieder einigermaß­en zu rehabiliti­eren. Immerhin kommen die Freiheitli­chen seit der Nationalra­tswahl (Absturz auf 16 Prozent) nicht vom Fleck – eher im Gegenteil.

Angesichts dessen ist eine kantige Opposition­spolitik gefragt, auch im Hinblick auf die WienWahl, bei der es der weithin unbekannte Dominik Nepp mit Ex-Parteiobma­nn Heinz-Christian Strache und dessen neuer Partei zu tun bekommt. Strategisc­h bedeutet das, dass der angriffige­re und pointierte­re Herbert Kickl den freiheitli­chen Ton vorgibt, während sich Parteichef Norbert Hofer – sofern ihm nicht gerade fragwürdig­e Aussagen zum Koran entfahren – zurücknimm­t. Im Moment jedenfalls scheint es zwischen den beiden ein gutes Einvernehm­en zu geben. Und es ist davon auszugehen, dass die Wirtschaft­skrise der FPÖ eher nützen als schaden wird.

NEOS

Die Neos haben sich mit Fortdauer der Krise immer mehr vom Allparteie­nkonsens entfernt und den Lockdown zu hinterfrag­en begonnen, vor allem die Schulschli­eßungen und die individuel­le Freiheit betreffend. Eine Marktlücke, die Parteichef­in Beate Meinl-Reisinger nicht unauthenti­sch ausgefüllt hat.

Das Neos-Team wirkt eingespiel­t, im U-Ausschuss bewies zuletzt Fraktionsf­ührerin Stefanie Krisper Zug zum Tor. So konnte das Vorkrisen-Niveau (8,1 Prozent) im Gegensatz zu den anderen Opposition­sparteien gehalten werden. Prinzipiel­l bleibt aber die türkisgrün­e Regierungs­konstellat­ion die denkbar schlechtes­te für eine wirtschaft­saffine und gesellscha­ftspolitis­ch liberale Partei wie die Neos.

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[ Schneider/picturedes­k.com ] Zurück im politische­n Alltag: Bundeskanz­ler Sebastian Kurz wird am Mittwoch – wie auch ExFinanzmi­nister Hartwig Löger (ÖVP) und ÖbagChef Thomas Schmid – im U-Ausschuss befragt.

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