Alles läuft für Kurz und die ÖVP – oder?
Analyse. Die Regierungsparteien sind die Profiteure der Coronakrise. Doch in der Rezession darf sich auch die Opposition wieder Hoffnungen machen. Und am Mittwoch steht ein brisanter Kanzlerauftritt im Ibiza-Untersuchungsausschuss bevor.
Wien. Nach der Krise ist vor der Wien-Wahl. Oder noch kürzer: Vor dem Auftritt des Kanzlers am Mittwoch im Ibiza-U-Ausschuss. Was hat die ÖVP zu befürchten? Und wo liegen – generell – die Chancen der anderen? Eine Vermessung der Parteienlandschaft nach Corona.
ÖVP
Dass die Umfragewerte der ÖVP zuletzt wieder leicht im Fallen begriffen waren, ist, aus türkiser Sicht, Jammern auf hohem Niveau: Die Partei liegt noch immer über ihrem Nationalratswahlergebnis von 37,5 Prozent, zum Teil sogar weit über 40 Prozent. Und die Unzufriedenen in den eigenen Reihen – Unternehmer, die mit der Bürokratie kämpften; Gastronomen, die sich vernachlässigt fühlten – wurden mit neuen Staatshilfen, beschlossen bei der Regierungsklausur Anfang der Woche, einigermaßen besänftigt. Nebenbei ließ man auch noch den (kleinen) Bauern eine Pensionserhöhung zukommen.
Es läuft also für Sebastian Kurz und die ÖVP. Vorläufig zumindest. Denn am Mittwoch wird der Kanzler als Zeuge im U-Ausschuss befragt. Und das Ziel der Opposition ist es zu belegen, dass auch die ÖVP bei den Postenvergaben unter Türkis-Blau (etwa in den Casinos) ihre Finger im Spiel hatte oder zumindest mehr wusste, als sie zugibt. Man darf gespannt sein.
GRÜNE
Für die Grünen besteht die Herausforderung darin, in der Koalition mit einer stimmenmäßig und machtpolitisch überlegenen ÖVP nicht unterzugehen. Bei Personalentscheidungen wurden sie zuletzt selbstbewusster, etwa im Justizministerium (Sektionschef Christian Pilnacek wurde entmachtet) oder in diversen Aufsichtsräten (Brigitte
Ederers Rückkehr in die ÖBB). Inhaltlich hatte die kleinere Regierungspartei nach der Klausur sozialpolitische Teilerfolge (Einmalzahlung für Arbeitslose, Gutschrift für Niedrigverdiener) und einen Klimaschwerpunkt im Investitionspaket vorzuweisen, der intern zwar gut ankam, aber lang nicht das ist, was man den Wählern versprochen hat: nämlich ein ökologisches „Umsteuern“im großen Stil.
Insgesamt stehen aber auch die Grünen besser da als am Wahlabend. Der Rückstand auf die SPÖ ist nur noch minimal oder schon aufgeholt. Allerdings wird es schwer, dieses Niveau zu halten. Denn wenn es künftig darum geht, den Corona-Schuldenberg abzutragen, könnte es zwischen ÖVP und Grünen ideologisch heikel werden. Stichwort Millionäre.
SPÖ
Vordergründig ist nach der Mitgliederbefragung wieder Ruhe in der
SPÖ eingekehrt. Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner ist selbstsicher und aktiv wie selten zuvor. Kaum ein Tag vergeht, an dem Rendi-Wagner keine Pressekonferenz gegeben oder keinen neuen Vorschlag eingebracht hat. In den Umfragen bildet sich dieser Fleiß (noch?) nicht ab: Der Tiefstand vom September 2019 (21,2 Prozent) wurde in der Coronazeit noch einmal deutlich unterboten, was aber auch damit zu tun haben dürfte, dass Krisen in der Regel Regierungsparteien nützen.
Die SPÖ hofft nun, dass die Wähler in der Rezession wieder empfänglicher für ihre Botschaften werden. Und dass der Ibiza-Untersuchungsausschuss, in dem Finanzsprecher Kai Jan Krainer in den Mittelpunkt drängt, der ÖVP schadet. Der Fokus bleibt dabei auf die Wien-Wahl im Herbst gerichtet, bei der es für die Sozialdemokraten um weit mehr als um Bürgermeister Michael Ludwig geht. Von Vorteil könnte sein, dass das intern nach wie vor umstrittene Migrationsthema derzeit keines ist.
FPÖ
Die FPÖ setzt auf Post-Corona-Regierungskritik und den Untersuchungsausschuss. Oberstes Ziel ist es, die ÖVP in den Ibiza-Strudel hineinzuziehen und sich dabei selbst wieder einigermaßen zu rehabilitieren. Immerhin kommen die Freiheitlichen seit der Nationalratswahl (Absturz auf 16 Prozent) nicht vom Fleck – eher im Gegenteil.
Angesichts dessen ist eine kantige Oppositionspolitik gefragt, auch im Hinblick auf die WienWahl, bei der es der weithin unbekannte Dominik Nepp mit Ex-Parteiobmann Heinz-Christian Strache und dessen neuer Partei zu tun bekommt. Strategisch bedeutet das, dass der angriffigere und pointiertere Herbert Kickl den freiheitlichen Ton vorgibt, während sich Parteichef Norbert Hofer – sofern ihm nicht gerade fragwürdige Aussagen zum Koran entfahren – zurücknimmt. Im Moment jedenfalls scheint es zwischen den beiden ein gutes Einvernehmen zu geben. Und es ist davon auszugehen, dass die Wirtschaftskrise der FPÖ eher nützen als schaden wird.
NEOS
Die Neos haben sich mit Fortdauer der Krise immer mehr vom Allparteienkonsens entfernt und den Lockdown zu hinterfragen begonnen, vor allem die Schulschließungen und die individuelle Freiheit betreffend. Eine Marktlücke, die Parteichefin Beate Meinl-Reisinger nicht unauthentisch ausgefüllt hat.
Das Neos-Team wirkt eingespielt, im U-Ausschuss bewies zuletzt Fraktionsführerin Stefanie Krisper Zug zum Tor. So konnte das Vorkrisen-Niveau (8,1 Prozent) im Gegensatz zu den anderen Oppositionsparteien gehalten werden. Prinzipiell bleibt aber die türkisgrüne Regierungskonstellation die denkbar schlechteste für eine wirtschaftsaffine und gesellschaftspolitisch liberale Partei wie die Neos.