Der Neustart des Calcio
Fußball. Als letzte der vier Topligen Europas nimmt die italienische Serie A den Spielbetrieb am Wochenende wieder auf. Sebastian Prödl leidet, fehlt auch noch zum Start – und hofft auf Udinese.
Turin/Udine. Geht es um Sport, insbesondere Fußball, haben es Italiener immer eilig. Dann wird es auch schnell emotional, Calcio wirkt wie ein Elixier. Dass es in Neapel nach dem Cupsieg gegen Seriensieger Juventus, 4:2 im Elferschießen, kein Halten mehr gab und auf geltende Abstandsregeln weiträumig verzichtet wurde, war eigentlich vorherzusehen. Und jetzt herrschen darob vor der am Wochenende startenden Serie A Ungewissheit und ein Hauch Zorn. Was, wenn der Calcio wieder dem Virus Tür und Tor öffnet, weil Fans aus der Reihe tanzen?
„Unglückliches Schauspiel“nannte Italiens WHO-Vertreter Ranieri Guerra die Bilder. Man könne von Glück sprechen, „dass diese Feier in Neapel und nicht in Norditalien“stattgefunden habe. Dort grassierte das Coronavirus im Gegensatz zum Süden sehr stark.
Als Mitgrund für die dramatische Ausbreitung des Virus gilt das Champions-League-Spiel von Atalanta Bergamo gegen Valencia (19. Februar). Zehntausende feierten damals auf der Straße – Bergamo war danach einer der Hotspots in der Krise.
Der Zuschauer Prödl
Bei den Verantwortlichen der Serie A vernahm man diese Mahnungen wohl, nur: Der Ball rollt, nein muss rollen. TV-Verträge und klamme Situation fast aller 20 Vereine verlangen Spiele. Kaum ein Klub hat Rücklagen, horrende Personalkosten und Mieten sind eine Pein für jedes Budget, das ohne Einnahmen ausbalanciert werden muss. Dass Fans fehlen, und, für Italien nicht ungewöhnlich, auch Tore, fällt nicht weiter ins Gewicht. Bis 2. August werden zwölf Runden sowie vier Nachtragsspiele (124 Partien) ausgetragen. Gespielt wird in diesen sechs Wochen täglich.
Österreichs einziger Legionär ist der weiterhin nicht fitte Udinese-Neuzugang Sebastian Prödl. Wobei der Steirer, 33, auch Pech hat: Ende Jänner wechselte er von Watford zu Udine, dann kam die Unterbrechung, ihn plagt ein Knochenmarksödem im rechten Schienbeinkopf; er hat noch kein Spiel in der Serie A bestritten.
Frühestens in drei, vier Wochen rechne er damit, voll einsteigen zu können. Udinese könnte seine Dienste in der Abwehr gut gebrauchen. Nur drei Punkte trennen den Tabellen-Vierzehnten von den Abstiegsplätzen.
Scudetto und Angst
Prödl braucht Einsätze, denn der 33-Jährige hegt noch einen großen Traum. Er will von der EM-Verschiebung auf 2021 profitieren und sich via Serie A dem ÖFB und Teamchef Franco Foda empfehlen. Aber: Er spielte zuletzt im November 2019.
Für den 73-fachen Teamspieler ist jedoch klar, dass die Coronakrise den Unterschied zwischen unten und oben vergrößern wird. „Die Schere zwischen Reich und Arm geht noch weiter auseinander“, erklärte er. Topklubs wie Juventus oder Lazio Rom, die in dieser Saison um den Scudetto, also den Titel, spielen, würden ihre Kader noch breiter aufstellen. Ihnen würden sinkende Transfersummen helfen, kleinere Klubs hingegen wären dadurch in noch größere Bedrängnis gekommen und neuen Zwängen (längere, teurere Verträge) unterlegen.
Prödl, sein Vertrag läuft bis Sommer 2021, selbst wirkt zwiegespalten. Er sehnt seine Rückkehr auf das Spielfeld herbei, hat aber trotzdem Bedenken ob neuer Verletzungsrisken – und einer Ansteckung. Die Tifosi jedenfalls fiebern dem Anpfiff ihrer Liga entgegen. „Public Viewing“wird zwar neue Regeln im Hinblick auf Abstand und Distanz nötig machen, aber Improvisation war schon immer der Italiener höchste Kunst.
Vor allem: Mit dem Fußball herrscht sofort neue Euphorie, es kommt Bewegung in den Alltag. Speziell, wenn nicht immer derselbe, ohnehin landesweit verhasste Nobelklub aus Turin gewinnt. Und die „Gazzetta dello Sport“Stars wie Cristiano Ronaldo mit „Il peggiore“, einem Fünfer, abstempelt. Sie wundert sich, ob Ronaldo nicht zwingend Pfiffe und Applaus brauche. Drei Spiele, kein Tor – ist das Lazios größte Chance? Es kann in Italiens Sport eben nie gut und schnell genug sein. (fin)