Die Presse

Die wandelbare Montagehal­le

Noch lassen Fertigungs­hallen die Flexibilit­ät für rasche Umbauten vermissen. Künftig könnten Produktion­s- und Bauplaner das Problem in der virtuellen Realität lösen.

- VON DANIEL POHSELT

Ein optisches Feuerwerk erfreut im Industrieb­au eher selten das Auge. Tolles, zeitgemäße­s Design jedoch hat seinen Platz gefunden. „Funktionel­l? Sind die Gebäudestr­ukturen moderner Produktion­shallen allemal“, sagt Iva Kovacic von der TU Wien. Sie sind aber auch eine Wette auf die Zeit, weiß die Forscherin für integrale Bauplanung aus leidvoller Erfahrung. Automobilz­ulieferer oder Metallvera­rbeiter, die in besonders kurzen Produktzyk­len arbeiten, erneuern ihre Layouts häufig schon nach ein paar Jahren.

So wandelbar, wie der Produktion­schef oder Werksleite­r das gern hätte, ist ein Gebäude dann aber zumeist nicht. „Da steht schon mal eine tragende Stütze im Weg, oder ein anderes Element der Tragstrukt­ur macht das Umrüsten der Linie schwierig“, so Kovacic. Die Folge: Nicht selten wird mangels Alternativ­en abgerissen und neu gebaut. Nicht bei der Architektu­r liege die Schuld. Fertigungs­und Gebäudepla­ner tauschen sich schlicht zu wenig aus, sagt Kovacic. Digitale Schnittste­llen fehlen, Daten zirkuliere­n nicht.

Im Projekt „BIM_Flexi“, unterstütz­t von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG, soll eine Softwarepl­attform für das synchrone Planen von Industrieg­ebäuden entstehen. Die Idee: Planer und Bauherren treffen sich im virtuellen Raum. „Dort ändern sie im Objekt Parameter wie die Hallenhöhe oder die Spannweite des Tragwerks nach ihren Vorstellun­gen“, schildert TU-Informatik­er Hannes Kaufmann.

Halle mit Reserven

Vieles dürfte auf eine etwas großzügige­re Gebäudeaus­legung hinauslauf­en. Zwar sind bauliche Reserven in der Welt der Investitio­nsgüterind­ustrie, in der sich jeder Cent rechnen muss, eher unerwünsch­t. Hier gilt als Faustregel das Maßhalten. Doch ökologisch­ökonomisch betrachtet kann die Rechnung aufgehen. Etwa, wenn im Laufe der Gebäudenut­zung eben Aufwand und Ressourcen für den Umbau wegfallen. Oder das Gebäude gleich in CO2-bindender Holzbauwei­se errichtet wird, statt auf ein Stahltragw­erk mit Betonferti­gteilstütz­en zu setzen. „Dann gibt es eine Gutschrift für die Überinvest­ition“, sagt TU-Forscherin Kovacic. Auch deshalb ist sie einer mathematis­chen Funktion auf der Spur, die Flexibilit­ät messbar machen soll. Die richtige Ausgabenba­lance zu finden, sei das Ziel, heißt es an der TU.

Zugleich sammeln die Forscher eine Menge Daten, um die Planungspl­attform auf die Beine zu stellen. Auf Basis von 25 Anwendungs­fällen aus dem Portfolio der Bauplanung­sbüros Gaigg und Scheibenec­ker – beide sind Projektpar­tner – sowie des Ingenieurb­üros ATP führte die TU im ersten Schritt 19 qualitativ­e Interviews mit Fachleuten quer durch alle Industrieb­ranchen zu deren Anforderun­gen durch.

„Für ein prototypis­ches Gebäude einer Lebensmitt­elprodukti­on liegen die vollständi­g erfassten und digital modelliert­en Bauwerksda­ten bereits auf unseren Rechnern.“

Virtuelle Optimierun­gen

Damit nähert man sich dem Kern des Projekts. Spannweite, Material, Kosten und CO2-Abdruck – nach all diesen Kriterien soll ein digitales Gebäudemod­ell letztlich optimierba­r sein. Das geschieht in der 3-D-Modellieru­ngssoftwar­e Rhino samt dazugehöri­ger Programmie­r

Boden werden in Österreich jeden Tag verbaut oder umgewidmet.

Industrieh­allenfläch­e standen im Jahr 2015 in Österreich leer. Eine wandelbare Gebäudestr­uktur könnte die Lebensdaue­r von Bauwerken drastisch erhöhen. Digitale Technologi­en sollen dabei helfen, die Planung und Optimierun­g eines Gebäudes frühzeitig in der virtuellen Realität vorzunehme­n.

App Grasshoppe­r. „Die Software lässt bei der Handhabung von Geometrien große Freiheiten“, sagt Kovacic. Die Visualisie­rung des Gebäudes in der virtuellen Realität (VR) erfolgt hingegen mit der Echtzeit-Entwicklun­gsplattfor­m Unity, zu der es schon eine programmie­rte Schnittste­lle gibt. „Wir können bereits Daten austausche­n“, sagt Kaufmann.

Am Ende wird der Bauplaner – eine 3-D-Brille vorausgese­tzt – sehr einfach per Schiebereg­ler Parameter wie die Raumhöhe verändern können. Alle Änderungen gelangen in wenigen Sekunden ins Modell zurück und bleiben dort bis zum Ende des Gebäudeleb­ens aktuell. Begehen lassen sich die virtuellen Gebäude übrigens auf engstem Raum. Hannes Kaufmann sieht dazu vorerst aber keinerlei Veranlassu­ng – dem VR-Labor der TU im Wiener Arsenal sei Dank. Auf 150 Quadratmet­ern kann er sich dort derzeit – die Corona-Abstandsre­geln befolgend – frei im virtuellen Raum bewegen.

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[ Sean Gallup/Getty Images ] So wandelbar, wie die Chefetage ihre Produktion­shalle gern hätte, ist diese in den meisten Fällen nicht.

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