Erbsen in Reykjav´ık
Expedition Europa: Quarantäne-Aufzeichnungen aus einem isländischen Kellerloch.
Unlängst habe ich vier Tage lang gehungert. Das ergab sich dadurch, dass mein Islandflug endlich stattfand, dass ich aber kurz vor dem Abflug von meiner Verpflichtung zu einer 14-tägigen isländischen Quarantäne erfuhr. 32 Stunden später wurde das aufgehoben, inzwischen werden Einreisende am Flughafen Reykjav´ık gratis getestet, ich hatte einfach Pech. Eine Ärztin aus dem Team des isländischen Chefepidemiologen schickte mir vorab ein Vier-Seiten-Papier namens „Modifizierte Quarantäne für Journalisten“. Die darin durchgespielten Szenarien und Regeln waren äußerst präzis.
Die zuständige Epidemiologin hieß Kamilla Josefsd´ottir,´ sie war also die Tochter eines Josef, so wie ich in Island ein Josefsson´ wäre. Nach und nach bestätigte sie mir, was ich alles nicht durfte: Ich durfte keine Öffis benutzen, außerhalb angemeldeter Interviews kein Gebäude betreten, nicht mit Passanten reden. Als sie mir – weil es dort ein öffentliches Klo gibt – eine Fahrt in den Nationalpark Thingvellir verbot, hätte ich fast losgeheult. Ich durfte in kein Geschäft oder Restaurant, nicht einmal einen Kaffee im Freien trinken. Ich beschloss, wenigstens zwei, drei Kilos Corona-Speck abzuwerfen. Wenn ihr so seid, sagte ich mir, dann gebe ich auf eurer überteuerten Insel keinen Heller aus.
So flog ich ab. Für jeden Tag hatte ich dieselbe Ration eingepackt: eine Dose dampfgegarter Erbsen, zwei Bananen und ein Packerl Mannerschnitten. Ich buchte ein Billigzimmer im Halbkeller eines der vielen grauen Reyjkav´ıker Fünfzigerjahre-Reihenhäuser. Island erschreckte mich, eine kahle subarktische Lava-Wüste, am Rand der FlughafenSchnellstraße blühten krautige blaue Alaska-Lupinen. Der Himmel war grau, ein Wetter wie im Februar bei uns.
Vom Außenministerium am Telefon ermuntert, fuhr ich sogleich nach Thingvellir. Dort, in einer baumbestandenen Oase am größten See Islands, trat seit 930 das isländische Parlament zusammen. Das Klo, gleich breit wie das geschlossene Besucherzentrum, wirkte wirklich verführerisch. Vorne Holzwand, hinten Glasfront, mit dem Panoramablick auf die dunklen Lavaberge zu pinkeln musste eine Herzenslust sein. Ich betrat das Klo aber nicht, ehrlich.
Wegdriften der eurasischen Platte
Plattentektonisch betrachtet, kam ich aus Nordamerika, an den Riften und Spalten von Thungvellir war das Wegdriften der eurasischen Platte um jährlich 20 Zentimeter zu sehen. Ich wanderte auf den vielen Wegen und Holzplanken herum. Ich sah die Flussbiegung, an der drei Dutzend Frauen wegen Inzest ertränkt worden waren; das Wasser ist so klar, dass der Todeskampf im Tiefen aufs Genaueste mitanzusehen war.
Am zweiten Tag hatte ich keinen Grund mehr rauszugehen, Erbsen konnte ich keine mehr sehen, und den Hungernden ergriff eine süße Agonie. Das Fenster im Halbkeller befand sich auf der Höhe des verödeten rückwärtigen Gartens, ich sah immer ein Stück vom grauen Himmel. Es war immerzu hell, aber nie so richtig. Ich schlief ein paar Stunden, wachte auf, nichtsahnend, ob gerade Tag oder Nacht war, schlief weiter. Wenn ich nichts oder sehr viel trank, spürte ich den Hunger weniger. Ich hatte eine Waschmuschel und trank viel.
Am dritten Tag konnte ich mich nicht einmal mehr zum Öffnen der Erbsendose überwinden. Je länger ich hungerte, desto angenehmer wurde das Hungergefühl. Am vierten Tag ging die dritte Erbsendose auf, mit Mühe brachte ich die Hälfte runter. Da war mein Magen schon in anderen Sphären. Die vierten Erbsen nahm ich wieder mit heim Ich war