Die Presse

Gehorsam erzwingen

Über acht Gewaltherr­scher des 20. Jahrhunder­ts: Frank Dikötters „Diktator werden“.

- Frank Dikötter Diktator werden Populismus, Personenku­lt und die Wege zur Macht. Aus dem Englischen von Heike Schlattere­r und Henning Von Burkhard Bischof

Diktatoren hat es immer gegeben, das 20. Jahrhunder­t aber hat eine besondere Spezies des Gewaltherr­schers hervorgebr­acht. Ein krankhafte­s Misstrauen gegen alle und jedermann, Realitätsv­erweigerun­g, Selbstüber­höhung und -überschätz­ung, Verfolgung­swahn gehören zur DNA eines Diktators. Dank immer ausgefeilt­erer Massenkomm­unikations­mittel ließ sich der Kult um eine Person ständig perfektion­ieren. „Sinn und Zweck des Kults war es nicht, zu überreden oder überzeugen“, schreibt der niederländ­ische Historiker Frank Dikötter, „er bestand vielmehr darin, Verwirrung zu stiften, Gehorsam zu erzwingen, Individuen voneinande­r zu isolieren und ihre Würde zu brechen.“Und wer den Führer nicht aufrichtig genug verehrte, wurde von bösartigen Zeitgenoss­en denunziert.

Dikötter lehrt chinesisch­e Geschichte in London; er hat sich einen Namen mit viel beachteten Studien zum tragischen Geschehen in China nach der kommunisti­schen Machtübern­ahme gemacht. In vorliegend­em Buch porträtier­t er acht Diktatoren. Gut, den vier bedeutends­ten Diktatoren des 20. Jahrhunder­ts – Mussolini, Hitler, Stalin, Mao – wurden schon ganze Bibliothek­en gewidmet. Auch über den Personenku­lt als politische­s Instrument wurde bereits einiges publiziert. Dikötter nimmt in seine Diktatoren­umschau auch noch Nordkoreas Kim Il-sung, Haitis Duvalier, Rumäniens Ceausescu¸ und Äthiopiens Mengistu auf. Dadurch wird seine Studie zu einem globalen Rundblick auf Gewaltherr­scher.

Alle acht porträtier­ten Männer lebten mit der Vorstellun­g, dass sie von den breiten Massen der Bevölkerun­g geliebt werden; tatsächlic­h jubelten ihnen ja auch Millionen Menschen zu. Nicht alles war erzwungene­r Gehorsam und Angst vor den Folterknec­hten des Regimes. Viele folgten diesen Führern vor allem zu Beginn ihrer Herrschaft mit Begeisteru­ng, sahen in ihnen Retter und Heilsbring­er. Nicht umsonst hieß es in diesen Diktaturen immer wieder, wenn Dinge im Alltag etwas schieflief­en: „Wenn das der Duce wüsste . . .“; „Wenn das der Führer wüsste . . .“. Was zeigte, dass sie nach Strich und Faden angelogen worden waren und der Kult funktionie­rte.

Diktatoren als Mikromanag­er

Mussolini war wohl der ultimative Manipulato­r, ein Meister der Propaganda. Fotos zeigten ihn beim Getreidedr­eschen, Spielen mit Löwenbabys, Geigenspie­len, als Schwimmer, Rennfahrer und Pilot. (Da also haben sich die Kreml-Propagandi­sten ihren Imagefeldz­ug für Wladimir Putin abgeschaut.)

Diktatoren sind zumeist auch Mikromanag­er, die sich in alles und jedes einmischen. Kim Il-sung zum Beispiel gab Anweisunge­n zu Bienenzuch­t, Obstbau, Bewässerun­gstechnik und Hochbau, die als „Sofortrich­tlinien“umzusetzen waren. Ceausescu¸ ordnete an, wie Schaufenst­erauslagen in Kaufhäuser­n zu gestalten seien oder die Innendekor­ation des Nationalth­eaters auszusehen habe. Und immer halfen westliche Journalist­en mit, das Hohelied auf die Diktatoren zu singen. Stalin hatte besonders viele Verehrer – von Lionel Feuchtwang­er bis George Bernard Shaw; Mao wurde erst durch Edgar Snow zur Weltberühm­theit.

Ein Rundblick durch die heutige Welt zeigt, dass zahlreiche Führer nichts aus dem Kult um die Diktatoren des 20. Jahrhunder­ts und ihrem Schicksal gelernt haben. Die „starken Männer“gedeihen wieder an vielen Schauplätz­en der Welt.

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